Auch Haifische fürchten sich mal

Leadership

Das Thema „Führungskräfte und Angst“ ist bislang wenig erforscht, da kaum jemand darüber sprechen will. Ein starker Manager mit Ängsten – das passt für die meisten nicht zusammen.

Zupackend, entscheidungsfreudig, selbstbewusst – diese Attribute werden Führungskräften gern zugeschrieben. Ängste passen nicht in dieses Bild. Doch auch hochrangige Manager werden davon geplagt, nur spricht darüber kaum jemand. Die Düsseldorfer Psychologin Gabi Harding hat sich dieses kaum erforschten Themas angenommen und für ihre Doktorarbeit etwa 20 Geschäftsführer, Vorstände und Manager befragt. Sie wollte wissen, wovor sie sich fürchten und wie sie mit den Ängsten umgehen. „Die Ergebnisse sind auch für mich teilweise überraschend gewesen“, sagt Harding.

„Die wichtigste Bedingung für alle Beteiligten war Anonymität“, berichtet die Autorin, die ihre Ergebnisse in dem Buch „Topmanagement und Angst“ veröffentlicht hat und ergänzt: „Über Angst spricht man nicht gern, obwohl sie in vielen Lebensbereichen vorkommt. Wer hat schon gerne Angst?“ Angst habe auch immer etwas mit Unkontrollierbarkeit zu tun und diese sei in der Arbeitswelt nicht gerade nützlich.

Drei Gruppen von Ängsten hat die Arbeits- und Organisationspsychologin ausgemacht, darunter zunächst die allgemeine Angst vor dem Unbekannten. Sie tauche auf, wenn der Betroffene nicht mehr die Bestimmungsgewalt habe. „Wenn ein Manager plötzlich nicht mehr geschehen lassen kann, sondern ihm geschieht, etwa durch Entscheidungen unberechenbarer Vorstandskollegen, dann lässt sich das mit dieser Position nicht wirklich vereinbaren.“ Nicht mehr Herr der Lage zu sein, löse bei Führungskräften große Angst aus.

Darüber hinaus haben Hardings Interviewpartner von Existenzängsten berichtet. Einige fürchten, ihren hohen Lebensstandard nicht halten zu können. Verschärft werde diese Angst dadurch, dass die raren und begehrten Posten meist auch noch zeitlich befristet seien. Die Angst um den Statuserhalt habe nicht nur finanzielle Gründe. „Mit dem Status ist auch ein Image verbunden, auf dem Manager ihre Identität aufbauen“, sagt die Psychologin. Tröstlich immerhin die Erkenntnis aus ihren Interviews: Die Existenzängste nehmen mit dem Alter ab, wenn man schon alles erreicht hat.

An Erwartungen scheitern

Und schließlich werden Führungskräfte auch von Versagensängsten geplagt. „Das ist die große Sorge, an den Erwartungen zu scheitern, die an mich gestellt werden oder auch die ich selber an mich stelle“, sagt Harding. Erschwerend komme hinzu, dass sich die Betroffenen selten offenbaren wollen und von ihnen erwartet werde, dass sie Entscheidungen allein treffen. In solchen Situationen bestehe die Gefahr, dass jemand unter Druck unüberlegt handle. Fraglich sei dann, ob die Konsequenzen rechtzeitig behoben werden können.

Die Strategien der Angstbewältigung sind ganz unterschiedlich. Ein Gesprächspartner sorgte dafür, dass seine Firma nicht mehr auf Kredite angewiesen ist. „Er hat sich selbst Strukturen geschaffen, um den Druck von außen zu minimieren“, sagt Harding. Eine weitere Variante sei die intensive Vorbereitung auf wichtige Termine. Damit habe man zumindest das Gefühl der Sicherheit. Ein weiterer Geschäftsführer überlegt sich vor Bankterminen ganz genau, was er anzieht und wann er zum Friseur geht. „Es hilft auch, sich ein gewisses Image aufzubauen“, sagt Harding, die überrascht war, dass auch Männer so bedacht aufs Äußere sind.

Typisch sei es auch, die Strukturen und Abläufe in den Unternehmen zu ändern, besonders in gefährlichen Arbeitsbereichen. „Wenn es in einer Firma ein Unglück mit Toten gegeben hat, dann können natürlich auch schärfere Richtlinien installiert werden, um ein weiteres Unglück zu vermeiden.“

Mit den Kollegen über die Ängste reden? Das ist laut Harding das Letzte, was Manager machen würden. „Gerade im Führungskräftekontext gibt es ja ein Hauen und Stechen“, sagt die Psychologin. Oft herrsche das viel zitierte Haifischbecken vor. „Wenn man dort zeigt: ,Ich habe Angst‘, macht man sich sofort angreifbar, weil die anderen eine Schwäche wittern, die sie im richtigen Moment für sich ausnutzen können.“ Hier seien vielmehr Schauspielkünste gefragt, um die Ängste zu verbergen. Vielen gelinge das auch. Gern würden Ängste auch einfach mit „Stress“ gleichgesetzt. Der sei anerkannter und unterstreiche die Wichtigkeit einer Person.

Ansprechpartner für die Führungskräfte sind meistens Freunde, seltener die Partnerinnen. Einer ihrer Studienteilnehmer ruft auch Gott an. „Der Glaube und ein Wertesystem können durchaus auch noch einmal Kraft geben“, sagt Harding. „Auch ein Coach ist als erfahrener, unbeteiligter Dritter oft willkommen.“

Zunehmende Offenheit

Der Heidelberger Psychologe Roland Kopp-Wichmann ist einer der Coaches, die sich auf Führungskräfte und ihre Ängste spezialisiert haben. Er beobachtet seit einigen Jahren eine zunehmende Offenheit für das Thema. Die Teilnehmer seiner Gruppenseminare kämen oft aus den mittleren und oberen Führungsebenen in großen Unternehmen, sagt der Coach. Vorstände buchten in der Regel aber lieber ein Einzelcoaching. Zu groß sei die Angst, dass ihre Ängste publik werden könnten.

Dabei wirken Ängste nicht unbedingt nur negativ. „Ein bisschen Angst ist gut für alle und kann die Leistungsfähigkeit steigern“, sagt etwa Florian Neuhaus, Autor von „Angstbewusste Führung“. Er hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Wirkung Ängste auf die Leistungen von Mitarbeitern haben können. Zu viel Angst lähme sie und lasse die Leistungskurve steil sinken, betont er. Eine angstfreie Umgebung sei allerdings auch nicht unbedingt immer motivierend. „Die Wahrheit liegt eher in der Mitte“, ist Neuhaus überzeugt.

Das sieht auch Gabi Harding so. Sie plädiert daher für ein menschlicheres Arbeitsumfeld, in dem jeder „ein bisschen lockerer lässt“. „Wir müssen ja nicht gleich zusammen im Baumkreis sitzen und weinen, sollten aber auch nicht einen Teil unserer Persönlichkeit abspalten“, sagt sie. Auch sie sieht das Ideal zwischen diesen beiden Extremen.

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Anja Sokolow

Anja Sokolow

Journalistin

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