Auf der Suche nach Vorbildern

Leadership

Manager sehen sich heute oft starker Kritik ausgesetzt. Doch mehr Demokratie im Unternehmen kann die daraus entstehenden Probleme nicht lösen. Es braucht andere Führung. Dabei können auch Personaler helfen.

Man will Thomas Sattelberger nicht so recht zustimmen: Führung wird komplexer und anspruchsvoller. Ja. Aber wird der Einzelne zum Arbeitgeber, begegnen sich Unternehmen und Mitarbeiter mindestens auf Augenhöhe? Eindeutig Nein. Es kann nicht jeder und es will gar nicht jeder in die erste Reihe und in die Verantwortung für andere treten.

Anforderungen steigen

Wir erleben eine wachsende Demokratisierung in Unternehmen. Der durch die Generation Y weiter forcierte Wertewandel sowie die Etablierung der Wissens- und Kreativökonomie schaffen mündige Mitarbeiter. Die Verantwortung unserer Unternehmen hinsichtlich Nachhaltigkeit oder „mehr Sinn“ sind virulent. Resultate sind ein sehr elaboriertes Menschenbild und konkrete Ansprüche an differenziertes Führungsverhalten.

Die Wirtschaft wird immer schneller, fordert Entscheidungstempo. Die sie einbettende Gesellschaft wird immer komplexer und pluralistischer mit immer zeitaufwendigeren Verfahren zur Entscheidungsfindung. Der Anspruch an Demokratie in den Unternehmen beißt sich mit der Dynamik der ökonomisch-technischen aber auch psychosozialen Entwicklung – das eine braucht Zeit, das andere frisst sie. Nach Hartmut Rosa gibt es eine sich verschärfende De-Synchronisation der verschiedenen Zeiteinheiten – Alltagszeit, Berufszeit, Lernzeit, Mußezeit etc. Führungskräfte sind in diesem Spannungsfeld gefangen, gilt es doch, die Synchronisation für sich selbst zu realisieren und es Dritten – Mitarbeitern und der Organisation an sich – recht zu machen.

Manager stehen in der Kritik

Fredmund Malik sagt, Manager ist ein Beruf, den man erlernen kann und es ist möglich, zwischen guten und schlechten Managern zu unterscheiden. Es gibt aber eigentlich niemanden, der auf den oberen Unternehmensetagen durchweg gute Noten bekommt. Spätestens wenn einem Manager – kann auch weiblich sein – Erfolg attestiert wird, unterscheidet man noch zwischen Manager und Leader und es kommt zu Zweifeln an den Leadership-Qualitäten. Der Manager sorgt für die Arbeit und das Funktionieren der Organisation – da trennt sich das erste Mal die Spreu vom Weizen. Der Leader kümmert sich zusätzlich um die Lust an der Arbeit und die Freude in der Organisation – das geht nur mit emotionaler Intelligenz. Genau die wird spätestens dann abgestritten, wenn das Einkommen der Manager mit den Durchschnittsverdiensten seiner Arbeitnehmer verglichen wird. Ein Topmanager kann es niemandem Recht machen – verdient er zu viel, ist er nicht gut genug, verdient er zu wenig, verdient er nicht was er verdient.

Viele Gründe für fehlende Akzeptanz und das Scheitern sind beschrieben und Verbesserungsvorschläge benannt; es lohnt alleine Reinhard Sprenger und Martin Wehrle anzuführen, die nicht loslassen, den salzigen Finger in die Wunde zu legen.

Nicht jeder kann

Manager übernehmen Verantwortung für andere; das bedeutet, Mitarbeiter zu haben, ihnen Ziele zu setzen, sie anzuleiten, sie zu informieren, sie zu motivieren, sie zu fordern und zu fördern. Das ist anspruchsvoll, zeitintensiv und unbequem, gilt es doch, sich mit anderen auseinanderzusetzen, sich in deren Lage zu versetzen, sie zu sanktionieren, sie bei der Stange zu halten, sie eben zu führen. Und es gibt nicht nur gute, einsichtige und intrinsisch motivierte Kollegen, sondern auch renitente Low Performer, die man zum Jagen tragen muss. Das zu kommunizieren und dann Konsequenzen umzusetzen ist eine undankbare Aufgabe und dabei machen Manager durchweg eine schlechte Figur.

Ein prominentes Beispiel: Im Prinzip gute Führungsinstrumente wie zum Beispiel das Forced-Ranking werden zweckentfremdet und als institutionelle Allzweckwaffe der Führung deklariert. Leistungsanspruch, Feedback, Qualifizierungsbedarf und Gehaltsdiskussion werden qua Zeitdruck des Führenden miteinander kombiniert und in einem einzigen Jahresgespräch in 60 Minuten abgearbeitet. Da kann der Chef nur verlieren – Intention gut, Durchführung schlecht.

Interessant ist dabei die Beobachtung, dass Meritokratie und Feedback heutzutage nicht nur akzeptiert sind, sondern ganz im Gegenteil eingeklagt werden. Unsere voyeuristische Gesellschaft schafft Sehnsucht nach Resonanz, die in der unternehmerischen Leistungskultur sozialisierten Mitmenschen sind süchtig nach Standortbestimmung. Verlangt wird Fairness, dann nimmt man eine harte Ausdrucksweise billigend in Kauf. Dabei den richtigen Ton treffen, kann nicht jeder. Die Anforderungen sind hoch: Situative Führung bedarf Intelligenz, transformationale Führung eine gehörige Portion Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen.

Nicht jeder will

Laut dem Manager Barometer 2013 von Odgers Berndtson führen vor allem junge Männer und Frauen weniger gern. So steht Selbstverwirklichung bei der beruflichen Tätigkeit an erster Stelle der Karrieremotivation und Karriere wird nüchtern definiert als Zeitanteil, der für den Beruf aufgewendet wird – da wird heute anders priorisiert als früher.

Basis für diese Werteverschiebung ist, dass sich die Motivationsbasis „unseren Kindern soll es einmal besser gehen“ in unseren Breitengraden überlebt hat. Wir sind vielmehr konfrontiert mit der endzeitlichen Hoffnung, „unseren Kindern soll es einmal nicht schlechter gehen“. Bezogen auf Führung und Verantwortung für andere heißt das: Aus Schaffensdrang wird Konsumentenmentalität frei nach dem Motto: „Die erste Generation gründet ein Unternehmen, die zweite baut es auf und aus, und die dritte verprasst das Vermögen.“

Woran liegt das? Die nachwachsende Führungsgeneration ist in Elternhäusern der Baby Boomer sozialisiert, dementsprechendes liberales Wohlfühlklima prägt die soziale Interaktion und eine niedrige Frustrationstoleranz gepaart mit einem quasi unendlichen Optionenraum führt zu der permanenten Suche nach dem Weg des geringsten Widerstands. Böse gesprochen: wenn es einmal nicht so läuft, wechselt man weiter. Kritik ist willkommen, aber sich anziehen will man den Schuh nicht.

Die nachwachsende Führungsgeneration weiß um die Schwierigkeiten der Aufgabe. Sie übt sich in Vermeidungsverhalten. Theoretisch wissen sie, worauf es ankommt, theoretisch können sie die Welt verbessern (hier: die Unternehmen durch Mitarbeiterführung) praktisch wollen sie die materielle Sicherheit und den erreichten Sozialstatus perpetuieren und meiden das Risiko. Imitationslernen ist Kernkompetenz, deren Anwendung wird aber nur praktiziert, wo die Opportunitätskosten gering sind.

Warum will jetzt keiner „an die Front“?

Verantwortung heißt „Lieferverpflichtung“. Verantwortung übernehmen heißt dann auch Konsequenzen erleiden und Verantwortung für andere auf sich nehmen, heißt Sanktionen gegen andere durchsetzen. Das bedarf im heutigen rechts- und soziopsychischen System besonderer Könnens- und Wollens-Komponenten. Die Wenigsten sind bereit, das alles auf sich zu nehmen.

Entweder ist es doch nicht so schlecht (es geht immer schlimmer), oder die Nachwuchskräfte haben resigniert und ergeben sich dem Schicksal. Vielleicht liegt es daran, dass sie „nicht mehr hungrig“ sind; sie haben sich eingerichtet, sammeln Wissenszertifikate und begnügen sich mit der Kritik am System aus der geschützten Position des gehobenen Lebensstandards.

Oder die Traute schwindet ob der Abstrafung durch passiven Widerstand oder aktiven Liebensentzug der Mitarbeiter – die vermeintlich größte Strafe in der kommunikationsöffentlichen Gesellschaft.

Oder der Job als Führungskraft (im Extrem: Arbeitgeber) stellt keine wirkliche Alternative dar – wer will schon so in der Öffentlichkeit stehen, coram publico quasi von jedem angefeindet werden, keine Freizeit mehr haben, für alles seinen Kopf hinhalten, und das bei Außerkraftsetzen aller Umgangs-formen und Enttabuisierung aller Vorgehensweisen?

Es braucht andere Führung

Kein Mensch braucht prominente Sozialkrüppel oder Psychopathen in der Führungsetage. Aber auch keine Manager, die sich wie Sozialarbeiter aufführen. Bei Despoten an der Spitze reüssiert Kadergehorsam, bei falsch verstandener demokratischer Führung wird aus dem „mündigen Mitarbeiter“ ein renitenter Zögling – beides ist nicht Ziel wirtschaftlichen Zusammenlebens und -arbeitens.

Könnte es denn sein, dass die Nachwuchs-Führungskräfte nicht mehr Diskussion wollen, sondern inkompetente Manager leid sind, die einerseits mühelos von einem Ressort zum anderen wechseln können, andererseits nicht in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, sie so zu begründen, dass sie verstanden werden und diese sauber zu kommunizieren?

Könnte es sein, das Klarheit, Wahrheit, Stringenz (wieder) ein hohes Gut ist, ganz nach dem Motto Alfred Herrhausens: „Wir müssen das, was wir denken, auch sagen. Wir müssen das, was wir sagen, auch tun. Und wir müssen das, was wir tun, dann auch sein“. Wäre diese Authentizität nicht ehrlicher, einfacher und effizienter und damit genau das, was vermisst wird? Kann es sein, dass „weniger Demokratie = mehr Führung“ ist und dies genau das ist, was fehlt und das ist, was gerade den Nachwuchskräften, die jetzt an der Startlinie stehen, nicht geboten wird?

Es fehlen Vorbilder

Wäre die Annahme richtig, bräuchten wir einen neuen, eigentlich ganz alten Typus Manager: Vorbilder, zu denen man aufschauen kann, die man zitieren möchte, denen es nachzueifern lohnt.

Auswertungen von Mitarbeiterzufriedenheitsanalysen sowie Bottom-up-Feedbacks zeigen dezidiert, dass es Topmanager mit Vorbildcharakter gibt respektive erkannt werden, wenn man sich explizit darum kümmert und es darauf anlegt, sie zu identifizieren.

Hier schlägt die Kritik auf die eigene Zunft. Warum? Sind nicht wir Personaler mit genau den Kompetenzen ausgestattet, die es erlauben, gute von schlechten Managern zu unterscheiden? Personaler sind Menschenfänger, können aktiv zuhören, haben Ambiguitätstoleranz, kennen die Kriterien der Leistungs- und Potenzialbeurteilung und damit die Erfolgsfaktoren für Karriere, können die Klaviatur des Vergütungssystems und damit die Tonleiter der Incentivierung.

Gute Personaler haben Lebens- und Berufserfahrung, die richtige Balance zwischen Idealismus und Pragmatismus. Vor allem aber haben sie gelernt, andere an sich vorbeiziehen zu lassen. Das tut weh. Wenn man aber einmal gelernt hat, wirklich gute Kollegen uneigennützig zu protegieren, ist man an-gekommen. Diese selbstlose Einstellung ist langfristig erfolgreicher als Egoismus. Adam Grant hat es aufgeschrieben: Geber-Qualität schlägt Nehmer-Mentalität – eine uralte Personalerweisheit.

Die nachkommende Generation Z hat eine klare Vorstellung von dem, wie mit ihnen umgegangen werden soll und was sie bereit ist, für Karriere „zu zahlen“. Sie wissen um ihre Position auf dem Arbeitsmarkt und spielen die Klaviatur des Machterhalts. Sie fragen sich: Warum hat keiner identifiziert, dass die da oben es nicht können oder sie sich nicht belehren lassen? Oder warum traut sich keiner mehr, sie zu entmachten? Warum lassen wir alle das zu? Kann ich das ändern?

Sie sehen Betriebswirtschaftslehre als Soziologie der Unternehmensführung. Es ist wichtig, ihnen den Gang an die Spitze zu zeigen, sie zu fördern und zu unterstützen, Wissen zu vermitteln und Kompetenzen auszubilden, die unser System als Ganzes nach vorne bringt. Mit Sinn im Gepäck melden sich vielleicht auch wieder mehr, die wollen und dann beweisen, dass sie auch können.

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Andreas Kricsfalussy

Professor für HR und Organisation
ISM International School of Management

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