Außerordentliche Kündigung ist auch bei Diebstahl nur letztes Mittel

Arbeitsrecht

Die Mitnahme fremden Eigentums, auch von an für sich wertlosen Gegenständen des Arbeitgebers, stellt grundsätzlich einen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Mitarbeiters dar. Bei langjähriger unbeanstandeter Betriebszugehörigkeit und Fehlens eines messbaren Schadens kann gleichwohl zunächst eine Abmahnung erforderlich sein (LAG Berlin-Brandenburg v. 4. Juni 2015 – 5 Sa 190/15).

Der Sachverhalt
Der Kläger war seit 1997 bei der Beklagten beschäftigt. In deren Betrieb existierte eine Arbeitsanweisung bezüglich der Abgabe von nicht mehr verwendungsfähigem Arbeitsmaterial. Für den Fall, dass Mitarbeiter für die Entsorgung vorgesehenes Material mitnehmen wollten, war zuvor ein Materialpassierschein auszufüllen.

Im Juli 2014 entnahm der Kläger nach Dienstschluss eine Schaumstoffmatte aus einem Entsorgungscontainer auf dem Betriebsgelände der Beklagten. Er verbrachte diese in seinen Pkw. Dabei wurde er von einer Überwachungskamera gefilmt. Die Beklagte stellte den Kläger in einem gemeinsamen Gespräch mit der Personalabteilung zur Rede. Der Kläger räumte ein, die Schaumstoffmatte ohne Materialpassierschein mitgenommen zu haben.

Die Beklagte kündigte dem Kläger außerordentlich fristlos und hilfsweise mit einer sozialen Auslauffrist. Der Kläger erhob Klage vor dem Arbeitsgericht und hatte Erfolg. Die Beklagte legte Berufung ein.

Die Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) wies die Berufung zurück. Das LAG führt zunächst aus, gemäß §626 Abs. 1 BGB könne ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden könne. Das Gesetz kenne keine absoluten Kündigungsgründe. Es komme stets auf den jeweiligen Einzelfall an.

Das Gericht hat in dem Verhalten des Klägers einen an sich wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung gesehen. Dies gelte auch bei Sachen von nur geringem Wert, die darüber hinaus, wie vorliegend, zur Entsorgung vorgesehen seien. Die Beklagte habe der Mitnahme auch nicht eingewilligt, weil nach der im Betrieb maßgeblichen Arbeitsanweisung stets die Einholung eines Materialpassierscheins erforderlich gewesen sei, den der Kläger aber unstreitig nicht hatte.

Hingegen sah das Gericht eine außerordentliche Kündigung nach vorgenommener Interessenabwägung als nicht gerechtfertigt an. Das Maß des bewirkten Vertrauensverlustes, die wirtschaftlichen Folgen, der Grad des arbeitnehmerseitigen Verschuldens, eine mögliche Wiederholungsgefahr und die Dauer des Arbeitsverhältnisses seien in die Abwägung mit einzubeziehen. Diese Abwägung ging zu Gunsten des Arbeitnehmers aus. Ein messbarer Schaden sei der Beklagten nicht entstanden. Zudem habe der Kläger nicht den Kernbereich seiner arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt und habe auch nicht heimlich gehandelt. Die Vertrauensbeziehung zwischen den Parteien sei aufgrund der langen unbeanstandeten Betriebszugehörigkeit im Vergleich zur nicht so hoch erscheinenden Pflichtverletzung nicht unwiederbringlich zerstört.

Nach Ansicht des LAG wäre daher bereits eine Abmahnung des Arbeitnehmers geeignet und ausreichend gewesen, das Risiko künftiger gleichartiger Pflichtverletzungen auszuräumen.

Hinweise für die Praxis
Die außerordentliche Kündigung wegen Mitnahme geringwertiger Gegenstände („Bagatellkündigungen“) ist immer wieder Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen.

Zwar kann die Mitnahme an für sich einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen, hingegen ist an dieser Stelle die Prüfung einer rechtswirksamen Kündigung noch nicht beendet. Im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung ist immer zu ermitteln, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zumutbar ist. An diese Abwägung sind hohe Anforderungen zu stellen. Eine Kündigung und insbesondere eine außerordentliche Kündigung werden vom Gesetzgeber stets als letztes Mittel angesehen.

Dies mag insbesondere bei an für sich unzumutbar erscheinenden Verhaltensweisen eines Arbeitnehmers, wie einem Diebstahl, unverständlich erscheinen, sollte aber in der Praxis stets berücksichtigt werden. Vor Ausspruch einer, wenn auch gerechtfertigt erscheinenden Kündigung, sollte stets überlegt werden, ob nicht eine Abmahnung des Arbeitnehmers eher in Betracht kommt.

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Jörg Puppe, Foto: Privat

Dr. Jörg Puppe

Rechtsanwalt
Osborne Clarke
Jörg Puppe ist Rechtsanwalt bei Osborne Clarke.

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