„Der Begriff lebenslanges Lernen ist verbrannt“

Leadership

Die Erforschung der Beschäftigungsfähigkeit ist ihre Paradedisziplin. Ein Gespräch mit Jutta Rump über die Notwendigkeit, an der eigenen Employability zu arbeiten und welche Aufgabe HR dabei hat.

Nett und sympathisch klingt Jutta Rump am Telefon. Sie ist ein Medienprofi. Obgleich sie Auto fährt, wirkt sie souverän und konzentriert. Nur einmal unterbricht sie das Gespräch für einen Moment – als sie ein Parkticket ziehen muss.

Frau Professor Rump, kann man sagen, dass die Loyalität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist?
Man kann sicherlich feststellen, dass wir mittlerweile eine Ökonomisierung von Loyalität haben.

Was heißt das?
Die Arbeitgeber haben schon vor vielen Jahren die lebenslange Loyalität zu ihren Beschäftigten aus ökonomischen Zwängen zurückgefahren. Auf Seiten der Arbeitnehmer erleben wir nun ebenfalls einen Rückgang der Loyalität. Das hat mit dem Fachkräfteengpass in manchen Bereichen des Arbeitsmarktes zu tun, aber auch mit einem allgemeinen gesellschaftlichen Wertewandel, der insbesondere bei den Nachwuchskräften zu beobachten ist. Sie fragen heute selbstbewusst, was sie geboten bekommen von den Arbeitgebern, zum Beispiel was die Förderung der Employability angeht. Zum einen ist also das Selbstbewusstsein von Arbeitnehmern gestiegen. Zum anderen aber auch die Erkenntnis, dass, wenn sie lebenslang beschäftigungsfähig bleiben wollen, eine Förderung der Jobfitness absolut notwendig ist. An einer solchen Förderung bemisst sich dann auch die Attraktivität eines Arbeitgebers.

Beobachten Sie auf Arbeitgeberseite eine solche Investition in die Employability der Beschäftigten?
Ich beobachte es vor allem in den Bereichen, wo wir Fachkräfteengpässe haben. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Situation auf dem jeweiligen Arbeitsmarkt und der Gestaltung von Employability zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität. Aber auch die Wissensintensität des Geschäftsmodells spielt eine Rolle.

Liegt nicht die Verantwortung für die Arbeitsmarktfähigkeit beim jeweiligen Individuum?
Absolut. Zu glauben, ich kann mich zurücklehnen und irgendjemand wird es für mich schon richten, ist fatal. Die Verantwortung zur Employability liegt auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite.

Was heißt das konkret? Ich muss schauen, welche Entwicklungen in meinem Beruf stattfinden? Jeden Monat ein Seminar besuchen?
Es bedeutet vor allem, dass ich regelmäßig für mich eine Standortbestimmung durchführe. Wenn Sie so wollen, ein jährlicher Kassensturz hinsichtlich des eigenen Kompetenzprofils. Was sind die Anforderungen, die an mich gestellt werden? Was könnte in den nächsten Jahren auf mich zukommen? Wie möchte ich mich weiterentwickeln? Und wie sieht meine Beschäftigungsfähigkeit momentan aus? Wo habe ich noch Handlungsbedarf? Wo kann ich noch Stärken stärken? Man sollte also nicht warten, bis die Führungskraft im jährlichen Beurteilungsgespräch sagt, wo ich mich noch verbessern muss. Sondern es gilt, sich selbst Gedanken zu machen. Ich finde, das ist eine Pflicht.

Der Verleger Hubert Burda hat beispielsweise mal in Bezug auf Journalisten gesagt: „Wer heute 20 Jahre alt ist und keinen Algorithmus kann, wird es künftig schwer haben.“ Das zeigt mir, an der eigenen Employability zu arbeiten, kann eine sehr anspruchsvolle Aufgabe sein.
Ja, aber es geht um einen evolutorischen und keinen radikalen Prozess. Gucken Sie sich die Sekretariatsarbeit von vor 15 oder 20 Jahren an. Das hat mit dem, was die Menschen heute in diesem Job können müssen, nur noch wenig zu tun. Es liegt eine lange Zeitspanne dazwischen. Es ist ein Entwicklungsprozess. Die wenigsten von uns müssen sich von jetzt auf gleich um 180 Grad drehen.

Kann man jobübergreifend allgemeine Fähigkeiten nennen, die für die Employability unabdingbar sind?
Es kommt natürlich auf unterschiedliche Faktoren an. Aber man kann sagen, dass eine gewisse Fachlichkeit das Fundament der Employability bildet. Hinzu kommen die überfachlichen Kompetenzen. Dazu gehören zum Beispiel ziel- und aufgabenorientiertes Denken, Anpassungsfähigkeit oder Veränderungsbereitschaft, die wiederum mit der Fähigkeit zu lernen in engem Zusammenhang steht. Aber auch soziale Kompetenzen wie Team- oder Kommunikationsfähigkeit sind wichtige Voraussetzungen für die Beschäftigungsfähigkeit.

Was ist mit der Einstellung? „Hire for Attitude” ist ja ein Postulat, das weiter an Bedeutung gewinnt.
Die Einstellung des Beschäftigten ist ein wichtiger Baustein. Eigenverantwortung und -initiative sind wesentliche Eigenschaften für die individuelle Employability. Wenn jemand eher ein passiver Mensch ist, dann ist das für die Beschäftigungsfähigkeit wenig förderlich. Unser Institut hat das sogenannte magische Dreieck der Jobfitness entworfen, an dem sich viele Unternehmen orientieren. Dieses besteht, erstens, aus Kompetenzen und Qualifikationen, zweitens, der Motivation – erst wenn Kompetenz mit Motivation verknüpft wird, bekommt man die Handlung. Und drittens kommt die Gesundheit dazu. Denn Motivation und Kompetenz nützen nichts, wenn man nicht gesund ist.

Was ist eigentlich aus den vielen Employability-Konzepten in den Unternehmen geworden? Zumindest ist in Bezug auf die betriebliche Weiterbildung nicht mehr so viel davon die Rede.
Es gehört in vielen größeren Unternehmen mittlerweile zum Standardgeschäft. Man benutzt nur den Begriff nicht mehr allzu oft.

Welche Aufgabe hat HR beim Thema Employability?
HR hat zunächst einmal die Aufgabe, ein Konzept zu entwerfen. Und HR kann die Handlungsfelder und die Instrumente identifizieren sowie die nötigen Prozesse professionalisieren. HR ist der Gestalter des Rahmens. Aber die tatsächliche Employability-Förderung findet immer im Austausch statt – zwischen dem Mitarbeiter, dem Vorgesetzten und den Kollegen. Wenn es zum Beispiel um Gesundheitsmaßnahmen geht, ist es die Führungskraft, die diese an die Mitarbeiter heranträgt. HR kann vielleicht eine Sensibilisierungskampagne dazu starten. Aber das Thema ins Bewusstsein der Mitarbeiter zu bekommen, ist Sache der Führung.

In eine ähnliche Richtung wie Employability geht der Begriff des „lebenslangen Lernens“. Mein Eindruck ist, dass dieser ein bisschen zur Worthülse verkommen ist. Wie sehen Sie das?
Da bin ich bei Ihnen. Eigentlich ist „lebenslanges Lernen“ ein sehr schönes Wort, weil es die Thematik gut erfasst. Doch der Begriff ist verbrannt. Bei vielen Menschen fällt mittlerweile sofort das Rollo, wenn sie „lebenslanges Lernen“ hören. Nichtsdestotrotz geht es genau darum, nämlich vom ersten bis zum letzten Tag jobfit zu sein, das heißt, sich lebenslang in einem persönlichen Veränderungsprozess zu bewegen. Nichts anderes bedeutet Lernen. Ich denke, dass die Menschen mit dem Begriff des „lebenslangen Lernens“ auf Kriegsfuß stehen, hat damit zu tun, wie sie sozialisiert wurden. Mit Lernen wird eben meistens das schulische Lernen assoziiert: ein grauer Schulraum, Bänke, die hintereinandergereiht sind, einer erzählt was, alle anderen schreiben mit. Und am Ende gibt es eine Prüfung. Das ist bei vielen nicht immer positiv belegt. Ich glaube, man muss den Menschen klarmachen, dass Lernen nichts anderes ist als ein Transfer von Wissen, der in einem dialogischen Prozess stattfindet. Wenn ich also mit dem Kollegen in der Kaffeeecke stehe und über ein Projekt spreche, dann ist das in diesem Moment Lernen.

Es geht also nicht nur darum, Zertifikate zu sammeln.
Nein, es geht vor allem um das informelle Lernen. Dafür muss man offen und neugierig sein. Und wer die Gespräche mit den Kollegen sucht, hat jeden Tag ein Lernfeld. Das muss in die Köpfe rein. Im Übrigen kann Lernen an ganz unterschiedlichen Orten stattfinden, im beruflichen, aber auch im privaten Umfeld beispielsweise im Rahmen eines Hobbys oder eines Ehrenamts.

Wie sieht es eigentlich mit der Employability der Personaler aus? Was müssen die tun, um jobfit zu sein?
Sie sollten zum Beispiel versuchen, nicht im täglichen operativen Geschäft unterzugehen. Personaler sollten sich immer auch einen kleinen Freiraum lassen, um jenseits der Routinen über den Tellerrand hinauszuschauen. Welche Entwicklungen sind zum Beispiel im Business und im HR-Bereich zu erwarten? Wir haben einige Megatrends, die das Thema Personal extrem beeinflussen werden. Nie war so viel in Bewegung wie momentan. HR muss wissen, wohin die Reise geht, um aktiv gestalten zu können. Personalmanager sollten also das Thema Employability für sich selbst beherzigen, bevor sie den Rahmen für die Mitarbeiter entwerfen. Erst dann sind sie glaubwürdig.

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