Die E-Mail-Horror-Picture-Show

Leadership

In Unternehmen werden heutzutage zu oft E-Mails gedankenlos hin und her geschrieben. Viele ertrinken in einer Flut von Benachrichtigungen, die nicht sein muss. Nicht selten ein Zeichen dafür, dass es an einer wirklichen Vertrauens- und Verantwortungskultur mangelt.

Erhalten Sie jeden Tag im Job Dutzende von E-Mails und wissen nicht mehr, wie Sie diese Flut noch bewältigen sollen? Bringt es Sie auf die Palme, wenn jede Menge E-Mails in Kopie, also als „carbon copy“ (cc) eintreffen, die eigentlich völlig belanglos sind? Macht es Sie richtig wütend, wenn zu allem Überfluss noch E-Mails in Blindkopie, also als „blind carbon copy“ (bcc) dazukommen, bei denen man nicht weiß, wer sonst noch diese Mails empfangen hat?

Sie haben dreimal mit „Ja“ geantwortet? Die gute Nachricht vorab: Sie sind nicht alleine mit Ihrem Frust, viele andere leiden unter der gleichen gefühlten E-Mail-Ohnmacht wie Sie. Die schlechte Nachricht aber gleich hinterher: Genau das ist das Problem. Wir alle sind im Laufe der vergangenen Jahre Teil einer Unkultur geworden – oder haben uns zu einem Teil dieser Unkultur gemacht, wenn man es genau nimmt. Gegensteuern ist dringend angezeigt.

Das gedankenlose Versenden von E-Mails ist nur bedingt Folge der technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts. In Wahrheit steckt bei genauer Betrachtung in vielen Organisationen das Fehlen einer belastbaren Vertrauens- und Verantwortungskultur dahinter. Vielleicht wird diese Entwicklung indirekt durch das Internet-Zeitalter begünstigt. Vielleicht aber auch nicht und die Entwicklung ist Ausdruck anderer Zusammenhänge, zum Beispiel einer gefühlten Machtlosigkeit im Angesicht der zunehmenden Komplexität als Folge des globalen Wettbewerbs oder schlichtweg einer mangelnden Fehlerkultur als Folge von unzureichender Führung.

Viel zu viele Informationen werden jeden Tag in der Welt produziert, um nur annähernd noch den Überblick zu behalten. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen man als Chef oder Mitarbeiter alles wissen musste (oder überhaupt wissen konnte). Es bedarf stattdessen bewusster Entscheidungen, wer heute welches berufliche Wissen selber haben muss und wer welches Wissen durch andere abdecken lässt, beispielsweise durch die Kollegen oder Mitarbeiter. Viel Vertrauen in diese ist das Gebot der Stunde, denn sie können (und müssen) die eigenen Wissenslücken kompensieren. Zugleich gilt es, das Verantwortungsbewusstsein bei den gleichen Kollegen und Mitarbeitern so zu entwickeln, dass sie vor dem Aussenden von E-Mails genau überlegen, ob die zu sendende Information wirklich Relevanz für den Empfänger hat.

Mit dem Absender reden

Das ist alles deutlich leichter gesagt als getan, denn es wird immer wieder Situationen geben, in denen eine eintreffende E-Mail vielleicht doch nicht relevant ist. Dann bietet es sich an, dieses einfach zu löschen und kurz mit dem Absender über die Gründe der Irrelevanz zu reden und auch kurz zu hinterfragen, warum er oder sie es doch für relevant hielt. Das fördert Kommunikation sowie gegenseitiges Vertrauen und Verständnis – und vielleicht haben Sie selbst die Relevanz ja noch gar nicht erkannt und holen die E-Mail aus dem elektronischen Papierkorb gleich wieder heraus.

Und dann wird es auch immer wieder mal Situationen geben, in denen man sich im Nachhinein gewünscht hätte, eine E-Mail bekommen zu haben, weil doch relevante Informationen darin enthalten waren. Hinterher ist man ja immer schlauer, und wem ist es nicht schrecklich peinlich, wenn der eigene Chef davon ausgeht, dass man längst diese Information verfügbar hat und man sich dann anhören muss, man habe „seinen Laden nicht im Griff“?

Wenn dieser Fall eingetreten ist, empfehle ich Ihnen eindringlich, sich jetzt vor Ihre Kollegen oder Mitarbeiter zu stellen. In einer Vertrauens- und Verantwortungskultur passieren Fehler. Das ist gut, denn in einer guten Fehlerkultur kann man aus diesen Fehlern lernen und sukzessive Informationen noch zielgerichteter und bewusster teilen. Wenn Sie demjenigen, der die Information – aus welchen Gründen auch immer – nicht an Sie geleitet hat, jetzt Vorwürfe machen und die Schelte Ihres Chefs gleich durchreichen, werden Sie garantiert in Zukunft wieder deutlich mehr E-Mails bekommen. Das wollen Sie sicher nicht.

Ein kleiner Tipp an dieser Stelle: Eigentlich ist dies eine einmalige Gelegenheit, um jetzt auch Ihren Chef von Ihrer neuen, e-mail-reduzierenden Herangehensweise zu überzeugen – er kriegt nämlich auch zu viele E-Mails und braucht dazu dringend Ihre Hilfe!

Blindkopien vermeiden

Und dann sind da noch die Blindkopien. Das größte Übel der Neuzeit. Was sagt eine Blindkopie über die Vertrauens- und Verantwortungskultur einer Organisation aus? Alles! Im Akzeptanzbereich der Blindkopie wird niemand arbeiten wollen – oder sogar können. Was für eine Botschaft – unabhängig vom Inhalt – vermittelt eine Blindkopie? Die Botschaft des Misstrauens – sonst gar nichts. Selbst für denjenigen Empfänger, der sich durch den Erhalt der E-Mail zunächst vielleicht geschmeichelt fühlt. Wieso sieht sich jemand gezwungen, eine Aussage an einen unbekannten Verteilerkreis zu schicken, wenn er oder sie in einer Organisation mit offenem Visier, Vertrauen und Verantwortung arbeitet? Die einzige zulässige Ausnahme für eine E-Mail mit Adressaten in bcc ist eine Massenmail, die Informationen für einen bestimmten Kreis von Leuten enthält, deren individuelle Verteilung zu aufwendig wäre, die aus Vertraulichkeitsgesichtspunkten jedoch nicht voneinander wissen dürfen. Für alles andere müsste die Funktion bcc gesperrt werden – um den Menschen vor sich selbst zu schützen.

Fazit: Die Zahl eingehender E-Mails kann ein ausgezeichneter Indikator für den Stand der Vertrauens- und Verantwortungskultur in Ihrem Unternehmen sein. Viele erhaltene E-Mails, noch mehr in cc und die pure Existenz von bcc lassen nichts wirklich Gutes erahnen.

Machen Sie den Rücken gerade, wenn Ihr Chef erwartet, dass Sie alles wissen und alles selbst entscheiden. Das tut er nämlich auch nicht (mehr). Lassen Sie das Vertrauen in Ihre Leute und in deren Verantwortungsbewusstsein nicht dadurch erschüttern, dass Sie in alte Gepflogenheiten zurückfallen, wenn etwas schief gegangen ist. Ihr elektronischer Posteingang wird es Ihnen dauerhaft danken.

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Udo Fichtner

Konzern-Personalleiter
Hirschvogel Automotive Group
Udo Fichtner ist Konzern-Personalleiter der Hirschvogel Automotive Group. Zudem leitet er die Fachgruppe "Strategisches Personalmanagement" innerhalb des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM). Ein ausführlicher Beitrag von Udo Fichtner zu diesem Thema ist im HR Consulting Review unter dem Titel 'Don't "mess" it up: Die TOP 10 der schlechtesten HR-Kennzahlen' erschienen.

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