Die Evolution der smarten Führung

Leadership

Moderne Unternehmenskulturen brauchen interne Social-Media-Plattformen. Mit digitalen Werkzeugen sind vernetzte Zusammenarbeit und Vertrauen möglich. Trotzdem müssen sich Menschen auch weiterhin real begegnen.

Im Zeitalter der Digitalisierung ist unsere Umwelt vielschichtig, mehrdeutig, widersprüchlich und wird von sprunghaften Veränderungen erschüttert. Unsere Welt lässt sich treffend als VUCA-Umwelt bezeichnen.

VUCA, ein Akronym aus dem amerikanischen Militärjargon, steht für Volatility (Sprunghaftigkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Und damit für die Zeichen unserer Zeit.
Bereits seit 2010 untersuchen wir an der Hochschule RheinMain im Rahmen der Enterprise-2.0-Studienreihe fortlaufend den aktuellen Stand und die zeitliche Entwicklung des Einsatzes von Social-Media und Social-Collaboration-Plattformen in deutschen Unternehmen. An der aktuellen Studie haben 145 Studienteilnehmer verschiedener Funktionsbereiche, Branchen und Unternehmensgrößen teilgenommen.

Illustration: Thinkstock
Illustration Thinkstock

Ein Ergebnis ist dabei kaum verwunderlich: 70 Prozent dieser Unternehmen stellen starke und sehr starke Auswirkungen der Digitalisierung fest. Aber nur 47 Prozent fühlen sich angemessen auf die Konsequenzen der digitalen Transformation vorbereitet. Der digitale Reifegrad der Führungskultur wird sogar am geringsten eingeschätzt.

Mit der Abkürzung zum Ziel

Verändert sich ständig das Umfeld, wird Führung zunehmend schwieriger. Wie kann sie dennoch gelingen? Durch VOPA+. Auch bei VOPA+ handelt es sich um eine Abkürzung. Sie steht für Vernetzung, Offenheit, Partizipation, Agilität plus Vertrauen (vgl. Abb. 1). Eine zunehmende VUCA-Umwelt erfordert eine „VOPA+“-Führung.

In einem dynamischen und komplexen Umfeld ist das Prinzip des Versuch und Irrtums, des Trial and Error, oft erfolgreicher als detaillierte Analyse und Planung. Führung muss zwar beweglicher und agiler sein, Führungskräfte müssen aber weiterhin eine grundsätzliche Richtung vorgeben. Sie sollten mit Lösungsansätzen experimentieren und aus den gemachten Erfahrungen – inklusive Fehlern – lernen.

Vor dem Hintergrund der ständigen Veränderungen unserer Zeit wäre es vermessen zu glauben, dass Unternehmen noch rein zentral steuerbar sind. Führungskräfte kommen in unserer schnelllebigen Zeit rasch an die Grenzen ihrer Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit. Genau aus diesem Grund sollten Führungsaufgaben viel stärker verteilt und die gesamte kollektive Intelligenz im Unternehmen genutzt werden.

Eine Voraussetzung für die höhere Beteiligung und Selbststeuerung der Mitarbeiter ist eine ausgeprägte Vernetzung innerhalb der Unternehmen. Deswegen müssen Chefs die Bildung von Netzwerken fördern und die Zusammenarbeit jenseits von Abteilungen, Regionen oder Funktionen unterstützen.

Eine Führungskraft sollte im Digitalzeitalter offen kommunizieren, offenes Feedback geben und auch selbst offen für Kritik sein. Wenn Führung vernetzter, offener, partizipativer und agiler werden soll, dann müssen Führungskräfte ihren Mitarbeitern vertrauen. Das gilt sowohl im Hinblick auf deren Motivation als auch deren Kompetenzen.

Raumschiff Enterprise 2.0

Die Entwicklung einer VOPA+, also einer auf Vertrauen basierten Führungskultur, ist ein zentraler Aspekt der digitalen Transformation. Doch wie kann eine solche Kultur gefördert und unterstützt werden?

Ein Ansatz ist die Etablierung von Social-Collaboration-Ansätzen, also die Vernetzung der Mitarbeiter durch soziale Medien innerhalb eines Unternehmens. Denn: Je größer die Auswirkungen der Digitalisierung sind, desto stärker setzen sich Unternehmen mit dem Thema der vernetzten Zusammenarbeit auseinander. Das ist auch das Ergebnis der aktuellen Studie Enterprise 2.0 der Hochschule RheinMain.

Das Schlagwort Enterprise 2.0 ist angelehnt an den Begriff des Web 2.0 als Evolutionsstufe des Internets, die auf nutzergenerierten Inhalten und multilateraler Interaktion basiert (Social Media). Enterprise 2.0 steht damit für den Einsatz von Social Media zur Verbesserung der unternehmensinternen Kommunikation und Zusammenarbeit.

Enterprise-2.0-Ansätze zielen auf die Entwicklung einer „VOPA+“-Kultur. Sie sollen Mitarbeiter stärker vernetzen und ihnen eine offene Kommunikation und einen offenen Informationszugang ermöglichen. Das ist eine geeignete Basis für eine ausgeprägte Beteiligung aller Mitarbeiter und ermöglicht schnelles und flexibles Arbeiten und Entscheiden. Die Ergebnisse der Studie zeigen: Virtuelles Arbeiten kann eine agilere Unternehmenskultur entstehen lassen, abteilungsübergreifende Zusammenarbeit unterstützen und zu einem partizipativen Führungsstil führen (vgl. Abb. 2).

Illustration: Quadriga
Illustration Quadriga

Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Die Studienergebnisse zeigen aber auch, dass zwischen Erwartungshaltung und Wirklichkeit eine zum Teil erhebliche Lücke klafft. Gerade im Hinblick auf eine stärker ausgeprägte Agilität und einen partizipativeren Führungsstil sind die Erwartungen in vielen Unternehmen nicht erfüllt.

Zwar beurteilen 70 Prozent der Unternehmen ihre Enterprise-2.0-Maßnahmen als „erfolgreich“, allerdings nur zehn Prozent davon als „sehr erfolgreich“. Die Veränderung der Führungskultur in Unternehmen ist und bleibt ein langwieriger Prozess, der mehrere Jahre in Anspruch nimmt und eine kontinuierliche Arbeit am Wandel erfordert.

Ohne echte Begegnung kein Vertrauen

Social Collaboration- beziehungsweise Enterprise-2.0-Plattformen sind nur ein Baustein der digitalen Transformation von Unternehmen. Sie sollten als Teil eines größeren Transformationsprogramms betrachtet werden. Zur Unterstützung einer „VOPA+“-Kultur eignen sich auch partizipative Workshopmethoden wie Open Space, World Café oder Barcamp und agile Managementansätze wie Scrum, Design Thinking oder Lean Startup.

Eines sollte man allerdings nie vergessen: Die Vernetzung darf nicht allein über Social-Media-Plattformen stattfinden. Menschen müssen sich auch weiterhin physisch begegnen. Ansätze wie Early Bird Café oder Learning Lunch, also regelmäßig angebotene Lern-, Vernetzungs- und Austauschplattformen zu unterschiedlichen Tageszeiten und Themen, sind eine Möglichkeit. Denn: Der Mensch braucht weiterhin die physische Anwesenheit anderer Menschen.

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Thorsten Petry, Foto: Privat

Thorsten Petry

Professor für Strategie, Organisation und Personalmanagement
Hochschule RheinMain
Prof. Dr. Thorsten Petry lehrt Unternehmensführung an der Hochschule RheinMain. Als Managementberater und Trainer unterstützt er Unternehmen bei der Bewältigung der Herausforderungen der Digitalisierung.

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