Die Festanstellung – Ein Relikt aus der Vergangenheit?

Future of Work

Die Erwerbsarbeit befindet sich in einem radikalen Wandel. Festanstellungen werden immer weniger. Für bestimmte Berufsgruppen könnte diese Art der Beschäftigung sogar aussterben.

Was haben Geobotanik und die Arbeitswelt gemeinsam? In der Geobotanik steht der Begriff „Relikt“ für Pflanzenarten, die in der Vergangenheit verbreitet und an frühere klimatische Bedingungen angepasst waren. Infolge von Klimaveränderungen haben sich diese Pflanzenarten entweder an so genannte Überdauerungsorte zurückgezogen oder sind ausgestorben. Ersetzt man das Wort „Pflanzenart“ durch „Beschäftigungsform“, zeigen sich erstaunliche Parallelen. Auch am Arbeitsmarkt ändern sich momentan die klimatischen Bedingungen – und zwar extrem. Die Festanstellung ist dabei auf dem Weg an einen Überdauerungsort. Oder stirbt sie gar aus?

Sicher ist, dass sich das Modell Erwerbsarbeit mitten in einem radikalen Wandel befindet – wahrscheinlich dem radikalsten, den die Arbeit je erfahren hat. Vorboten dieses Wandels sind seit einigen Jahren hochqualifizierte Wissensarbeiter, die zugleich Motor und Treibstoff für die Weiterentwicklung unserer Dienstleistungsgesellschaft sind.

Fast ein Viertel aller Erwerbstätigen sind heute bereits sogenannte atypische Beschäftigte. Politik und Gewerkschaften färben den Begriff „atypisch“ in Diskussionen seit langem negativ. Unter dem Strich bedeutet „atypisch“ jedoch schlicht und ergreifend abseits der Norm. Aber was ist die Norm in Zeiten des Umbruchs? Und ist es von evolutionärem Vorteil, unbeirrt an einer (veralteten) Norm festzuhalten?

Fluide Organisationsformen fördern Dynamik

Tatsache ist, dass atypische Beschäftigungsformen stark zunehmen – auch und insbesondere im Bereich der hochqualifizierten Wissens- und Projektarbeiter. Der kürzlich verstorbene Wissenschaftler Norbert Walter prognostizierte in seiner vielzitierten Studie „Deutschland 2020“ eine kooperative Wertschöpfung in temporären Projektorganisationen. Die Unternehmen haben dabei keine festen Grenzen mit eindeutig zugehörigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr, sondern bauen ihre Organisation für das Zusammenwirken von Wissensarbeitern unterschiedlichster Couleur um. Auch Trendforscher wie etwa Sven Gábor Jánszky, Autor des Buches „2025 – so arbeiten wir in Zukunft” gehen davon aus, dass die heute noch dominierenden, langfristig orientierten Anstellungsverhältnisse ab dem Jahr 2020 auf ein Niveau von etwa 30 bis 40 Prozent aller Erwerbstätigen absinken werden. Zugleich erwartet er, dass sich der Anteil der (Solo)-Selbstständigen in etwa verdoppeln und damit bis zum Jahr 2025 auf etwa 20 Prozent aller Erwerbstätigen ansteigen wird.

Für die größte Veränderung in der Arbeitsrealität sorgen jene Menschen, die im Jahr 2025 als Freiberufler arbeiten oder mit befristeten Verträgen zum Beispiel über Personaldienstleister vermittelt werden. Dieser Personenkreis wird Jánszky zufolge bis zu 40 Prozent aller Erwerbstätigen ausmachen. In der IT-Branche, seit jeher Vorreiter in Sachen neue Beschäftigungsformen, sind laut einer Etengo-Studie aus dem Jahr 2012 bereits heute 20 Prozent aller in der IT Beschäftigten als Freelancer tätig.

Permanenter Wandel für den Einzelnen

Die so entstehenden Patchwork-Biografien sind den Wissens- und Projektarbeitern aber keineswegs aufgezwungen – auch wenn Gewerkschaften und Politik uns das gerne glauben machen wollen. Projektarbeitende haben dabei verschiedenste Motive: die Suche nach herausfordernden Aufgaben, der Wunsch nach selbstbestimmter Flexibilität, die Vereinbarkeit der Erwerbstätigkeit mit dem eigenen Wertekanon, Hobbys und der Familie, sowie die stetige und rapide Weiterentwicklung des Fachwissens und damit einhergehend des künftigen Marktwertes. Unternehmen, die sich früh um die Zusammenarbeit mit diesen flexiblen, temporär engagierten Wissensarbeitern bemühen, können flexibel und schnell auf Veränderungen des Marktes reagieren. Ihnen gelingt es regelmäßig, die für ein Projekt notwendigen Experten erfolgreich in einem temporären Team zusammenzubringen.

Bei der Entscheidung für oder gegen ein Projekt steht meist die persönliche und fachliche Herausforderung der Aufgabe im Vordergrund. Sinnstiftende Projekte stehen hoch im Kurs, und auch das temporäre Team spielt bei der Entscheidung eine tragende Rolle. Die Arbeitsrealität der Zukunft wird dabei von steter Veränderung geprägt sein. Dies fordert von allen Akteuren ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit. Strukturen, Prozesse und Kompetenzen werden in einen Fluss des permanenten Wandels übergehen. Der wesentliche Unterschied zum Auslaufmodell der klassischen, langfristig orientierten Festanstellung ist, dass so die eigene Ausgestaltung der Arbeit flexibler und dynamischer und damit insgesamt weniger fremdbestimmt ist.

„War for Talents“ in IT und Engineering

Gerade in den Bereichen Informationstechnologie und Ingenieurswesen hat sich der vom Fachkräftemangel geprägte Arbeitsmarkt schon heute zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt, charakterisiert durch einen Zuwachs an Selbstbewusstsein, Wahlfreiheit und gesteigerter Verhandlungsmacht seitens der Fachkräfte. Bei IT- und Engineering-Experten mit akademischem Hintergrund wird für lange Zeit Vollbeschäftigung und damit ein „War for Talents“ angesagt sein. Wahrscheinlich werden diese Wissensarbeiter im Verlauf ihrer Erwerbsbiografie mehrfach die Beschäftigungsform wechseln und zwischen Projektengagements auf selbständiger oder temporärer Basis und Festanstellungen wechseln. Vor allem dann, wenn sie von einer Lebensphase in eine andere wechseln.

Die Festanstellung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich schon bald ein Relikt aus der Vergangenheit sein. Sie wird weniger häufig vorkommen. Fluide Erwerbsbiografien und Unternehmensorganisationen werden die neue Norm sein. Wenn wir diesen Paradigmenwechsel proaktiv angehen und gestalten, kann er seine positive Wirkung entfalten und ist kein Schreckgespenst.

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Nikolaus Reuter

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