Die Firma, der Spielplatz

Leadership

Gamification ist der neue Trend bei der Mitarbeitermotivation. Eine gute Sache mit Tücken. Wie bei jedem Spiel gilt auch hier: Man muss es ernst nehmen.

Es ist ein Traum für Liebhaber des gepflegten Büro-Chats: Wer am meisten in den Kommentarspalten abhängt, bekommt bei DATEV die Goldmedaille. Gut, Kommentieren alleine reicht nicht, es sollten auch eigene Beiträge gepostet werden und von möglichst vielen Kollegen gemocht werden. Das beim Nürnberger Datenverarbeitungsunternehmen vor einem dreiviertel Jahr eingeführte firmeninterne System hat das Prinzip Facebook ein wenig abgewandelt: Statt gefühlter Meinungsführerschaft gilt ein klar quantifizierbares Punktesystem für die beste Diskussionsleistung. Und noch etwas unterscheidet die DATEV-Plattform von herkömmlichen sozialen Netzwerken. Die Angestellten sind nicht angehalten, es heimlich zu nutzen, sondern möglichst oft und gerne zeitintensiv. Ist ja gut für die Firma.

Die DATEV ist ein Unternehmen mit 6.000 Mitarbeitern und für Personalabteilungen und Steuerberater fester Bestandteil des Arbeitsalltags – das Unternehmen verkauft Software für Betriebs- und Gehaltsabrechnungen. Gefragt sind da effektive IT-Lösungen und damit kreative ITler. Die zu fördern, dafür ist in der Nürnberger Firmenzentrale Steffen Henne zuständig. Er ist Innovationsmanager. Die Innovationsplattform bei DATEV wurde von ihm ins Leben gerufen und er berief sich dabei auf eine Methode, die in immer mehr deutschen Unternehmen das Motivationsmittel erster Wahl wird: Gamification. Der Gedanke dahinter: Mitarbeiter wollen motiviert werden. Und am liebsten wollen sie spielen. Und beides geht zusammen.

Punkte und Ranglisten 

Gamification bezeichnet die Übertragung des Konzeptes Spiel auf ein nichtspielerisches Umfeld, nicht nur, aber auch im unternehmerischen Kontext. Belohnungssysteme, die sonst bei Spielen aller Art zum Einsatz kommen, werden in den Unternehmensalltag integriert. Punkte, Ranglisten, Verfolgungsjagden. Der Vorteil ist dabei, dass ein menschlicher Trieb genutzt wird, um Unternehmensziele zu erreichen. Intrinsische Motivation nennt man das, im Gegensatz zur extrinsischen, wie sie zum Beispiel durch Geldprämien hervorgerufen wird.

Steffen Henne von DATEV wollte den Trend, der aus Amerika kommt und langsam in Deutschland Anklang findet, nutzen, um einem Grund-Dilemma kreativer Tätigkeit entgegen zu wirken. „Bei komplexen Ideen liegt man mit der ersten Einschätzung nicht immer im Schwarzen“, sagt er. Nötig sei ein Diskussionsprozess mit reger Teilnahme. Damit dies nicht in sattsam bekannten und ermüdenden Konferenztisch-Schlachten endet, wollte Henne die entfesselnde Kraft des Spieles und Wettbewerbs aktivieren. Installiert wurde eine Plattform, sozusagen ein virtuelles Ideen-Labor, und dazu ein differenziertes Punktesystem. Punkte bekommt, wer eine neue Idee präsentiert oder eine andere kommentiert oder bewertet. Wird die eigene Idee wiederum gut benotet, gibt es weitere Punkte. Es entsteht eine Rangliste, deren Spitze mit einer goldenen Münze versehen ist. Eine einfache Spielerei, bei der bereits 1.300 DATEV-Kollegen mitmachen. Henne ist sicher, dass an einem simplen Aufruf, dem eigenen Unternehmen innovative Ideen zu präsentieren, weit weniger Mitarbeiter teilnehmen würden. „Es gibt viele Kollegen, die richtig heiß darauf sind, auf der Liste ganz vorne zu stehen.“

Ein Massenphänomen in der deutschen Unternehmenslandschaft ist Gamification noch nicht, eine Randerscheinung nicht mehr. Neben DATEV setzt zum Beispiel auch die Bayer AG auf Gamification, wie Unternehmenssprecherin Elke Ickenstein erklärt. So wurde für die interne Fortbildung das Online-Planspiel „International Management Simulation“ entworfen, in dem „spielerisch betriebswirtschaftliche Kenntnisse vermittelt werden“, so Ickenstein. „Teilnehmer bilden Teams und versuchen, ein virtuelles Unternehmen erfolgreich zu führen. Die besten Teams werden ausgezeichnet.“ Ähnlich dem DATEV-Projekt habe es bei Bayer im Herbst einen Ideen-Wettbewerb gegeben, „bei dem die Mitarbeiter über das interne Social Network Ideen einreichen und von anderen bewerten lassen konnten. Aktuell wird überlegt, wie die besten Vorschläge umgesetzt werden können.“ Derzeit prüfe Bayers Innovationsabteilung außerdem, wie Arbeitsprozesse durch Gamification effizienter gemacht werden können; allerdings, so Ickenstein, befinde man sich hier noch in der Testphase.

Das gilt wohl generell für deutsche Unternehmen. Rüdiger Zarnekow ist Inhaber des Lehrstuhls für Informations- und Kommunikations-management an der TU Berlin und beschäftigt sich seit längerem mit dem Thema Gamification im Unternehmenskontext. Es ist ein relativ neues Forschungsfeld. Aus der Welt der Computerspiele heraus trat Gamification laut Zarnekow vor vier Jahren in Amerika auf den Plan, um nun auch langsam in Deutschland wahrgenommen zu werden. Es seien zunächst triviale Konzepte gewesen, so zum Beispiel bei SAP in den USA. Dort sollten die Vertriebsmitarbeiter animiert werden, disziplinierter Kundenanfragen weiterzuleiten. In die Firmensoftware wurde deshalb ein Spiel integriert, bei dem Kundenwünsche in Form eines Golfballs und mittels eines virtuellen Golfschlägers zum richtigen Kollegen „geputtet“ werden mussten. Anfänge, die an den Fliegenaufkleber im Urinal erinnern. Inzwischen ist man weiter.

Vergleich mit Kollegen 

„Es reicht nicht mehr, einfach nur ein nettes, kleines Tool anzubieten“, sagt Zarnekow, „vielmehr sind nachhaltige und meist komplexe Konzepte nötig“. Das Problem von zu einfachen Spielkonzepten erkennt jeder, der einmal den letzten Tetris-Level erreicht hat. Ist ein Spiel nicht mehr schwierig und kein neues Ziel mehr erreichbar, wird nicht mehr gespielt. „Allzu simple Spielkonzepte sind nicht langfristig attraktiv. Deshalb dürfen Gamification-Tools nicht zu einfach sein.“ Allerdings auch nicht zu schwer. Das erhöht das Frustrationspotenzial und damit die Quote vorzeitigen Ausstiegs.

Beim Spiel mag Spaß im Vordergrund stehen, aber es geht auch – man erinnere sich bitte kurz an einen Monopoly-Abend – um Anerkennung und, negativ formuliert, Überlegenheit gegenüber den Spielpartnern. Gamification-Anwendungen, die integriert in einem sozialen Netzwerk stattfinden und den Vergleich mit Kollegen zulassen, erhöhen daher laut Zarnekow deutlich die Bereitschaft zur dauerhaften Teilnahme. Dabei geht es auch um das Feedback der Kollegen. Punkte für eine gute Idee erhöhen das Selbstwertgefühl – und letztlich auch den Marktwert im eigenen Unternehmen.

Ein Beispiel für gelungene Gamification ist die Internetseite fit-for-uae.de, die von der FVW-Mediengruppe im Auftrag mehrerer arabischer Fluggesellschaften und deutscher Reiseanbieter betrieben wird. Die Seite wendet sich an Mitarbeiter deutscher Reisebüros, sie können sich dort registrieren und ihre Kenntnisse über die Vereinigten Arabischen Emirate (UAE) vertiefen. In einem Multiple-Choice-Test beantworten sie Fragen über das Land – es geht unter anderen um arabische Trinkschokolade und Dubaier Künstlerviertel. Die besten Teilnehmer bekommen ein Zertifikat als „Reiseexperte“ und können zudem einen Ausflug in die Emirate gewinnen. Eigentliches Ziel des Spiels: Die Beratung im Reisebüro über die UAE zu verbessern.

Jürgen Mayer sieht Gamification bei fit-for-uae.de vorbildlich umgesetzt. Mayer ist Geschäftsführer und Gesellschafter der Erfurter plazz entertainment AG, einer der ersten deutschen Dienstleister von Gamification-Anwendungen in Unternehmen. „Es gibt in dem Bereich großes Potenzial“, sagt Mayer, zu dessen Kunden unter anderem das ZDF gehört, für die er ein Mainzelmännchen-Jump-and-Run entwarf. Mayer warnt davor, Gamification als kleine Spielerei zu sehen. „Man kann viel verkehrt machen“, sagt er. „Damit aus dem Spaßmoment auch ein Produktivitätsmoment wird, ist eine gute Vorbereitung unerlässlich.“

Interaktion ist wichtig 

Jedes Unternehmen ist anders, und so ist jede Gamification anders. „Das Produkt, das angestrebte Ziel oder das Event und die zugehörigen Abläufe müssen genau analysiert werden, um dann eine passgenaue Anwendung zu entwerfen.“ Herrschen im Unternehmen strenge Hierarchien und bietet sich es deshalb an, Pseudonyme zuzulassen? Soll eher der Wettbewerb oder die Kooperation gefördert werden? Welche Übung haben die Mitarbeiter, die erreicht werden sollen, beim Umgang mit Computerspielen? „Gamification verlangt zunächst eine intensive Vorbereitung und danach eine ständige Überprüfung, um dauerhaft erfolgreich zu sein.“

So war es auch bei DATEV, erinnert sich dort Innovationsmanager Steffen Henne. Da habe man in der einjährigen Probephase feststellen müssen: Zu spezielle, technische Problemstellungen hätten nur wenig Diskussionen hervorgerufen.

Berater Mayer verweist zudem darauf, dass die ganze Firma mitspielen muss. Was nicht heißt, dass die Teilnahme bei der Gamification verpflichtend sein sollte – das Gegenteil ist ratsam. Doch sollten sich alle Abteilungen und Hierarchien des Unternehmens möglichst einig sein, dass Gamification sinnvoll ist. „Wenn das nur von einem Teamleiter umgesetzt wird, kann das in der Firma zu Missverständnissen führen“, sagt Mayer. „Und die Bereitschaft mitzuspielen, erhöht es sicher auch nicht.“ Sinn und Zweck der Gamification sollte deshalb „sehr gut kommuniziert“ werden. „Allerdings ist man dank des digitalen Wandels in den Unternehmen meistens sehr aufgeschlossen für diese neue Motivationsmethode.“

Zumal es nach jetzigen Erkenntnissen kaum Risiken zu geben scheint. So haben Christian Scheiner vom Lehrstuhl für Industrielles Management der Universität Erlangen-Nürnberg und Maximilian Witt von der TU Braunschweig im Rahmen einer dreimonatigen Studie kürzlich untersucht, wie Gamification am besten funktioniert. Und eines konnten sie danach ausschließen, so Maximilian Witt: Dass Gamification für jene Teilnehmer, die sich am Ende einer Rangliste befinden, demotivierend wirkt. „Wichtiger ist das Feedback, die Interaktion.“ Was freilich nicht heißt, dass die Platzierung unerheblich ist.

Er empfiehlt deshalb, wird mit Ranglisten gearbeitet, nicht die Top-Ten-Liste, sondern das Ausschnittsverfahren. Teilnehmer sehen dabei immer nur die unmittelbar vor und hinter ihnen Platzierten. Christian Scheiner: „So sind Erfolgserlebnisse viel einfacher möglich.“

Für Steffen Henne von DATEV ist die firmeneigene Innovationsplattform auf jeden Fall ein Erfolgserlebnis. Dank ihrer gebe es einen Kulturwandel im Unternehmen. „Es arbeiten nun Leute zusammen, die vorher nicht zusammen gearbeitet hätten.“ Die Rangliste ist dabei nicht viel mehr als – eine Spielerei. 

 

von Thomas Trappe

 

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Thomas Trappe

Thomas Trappe

Freier Journalist
Thomas Trappe lebt in Berlin und schrieb unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit und die F.A.Z. Heute berichtet er vor allem über Gesundheitspolitik aus der Hauptstadt. In Leipzig studierte Trappe Journalistik und Politikwissenschaften. Er schreibt seit Jahren regelmäßig für den HRM.

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