„Die Produktion wird volatiler“

Future of Work

Der Mittelstand ist grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber dem Thema Industrie 4.0, meint Christian Schröder vom Institut für Mittelstandsforschung. Welche Rolle HR dabei zukommt und warum Arbeitszeitkonten wichtiger werden, erzählt er im Interview.

Abgehängt, angstbehaftet, zu wenig aktiv. So wird oft über den Mittelstand und seinen Umgang mit Industrie 4.0 geredet. Diesen negativen Duktus vermeidet Christian Schröder. Er, der das Thema am Institut für Mittelstandsforschung wissenschaftlich begleitet, sieht die kleinen und mittleren Unternehmen zwar erst am Anfang, aber definitiv auf dem Weg hin zur vernetzten Produktion. Die Unaufgeregtheit, mit der er das Thema analysiert, tut der Debatte gut.

Christian SchröderHerr Schröder, empfinden Sie den Mittelstand als behäbig?
Der Mittelstand tut sich sicherlich mit Industrie 4.0 noch deutlich schwerer als die großen Unternehmen, die ganz klar Treiber dieses Themas sind. Aber es gibt nicht den einen Mittelstand, sondern große branchenspezifische Unterschiede. In manchen Branchen ist die Automatisierung schon sehr weit fortgeschritten, gerade in vielen Bereichen des verarbeiteten Gewerbes halten entsprechende Technologien Einzug. Aber man muss auch sehen, dass es bisher erst unter zehn Prozent aller mittelständischen Unternehmen sind, die sich schon ganz konkret auf diesen Weg gemacht haben. Viele wissen noch nicht wirklich etwas mit Industrie 4.0 anzufangen. Das Thema ist daher zwar noch deutlich ausbaufähig, aber es ist sicherlich durch die Medienpräsenz in den letzten ein bis zwei Jahren zunehmend ins Bewusstsein vieler Mittelständler gerückt.

In den Medien wird oft davon gesprochen, dass der Mittelstand abgehängt wird, dass er Angst habe vor der Digitalisierung. Sind das Horrorszenarien?
Das ist höchstens teilweise zutreffend. Wenn ich den deutschen Mittelstand mit anderen kleinen und mittelgroßen europäischen Unternehmen vergleiche, dann steht er, was die Nutzung der entsprechenden Technologien angeht, gut da. Den einzigen Rückstand, den wir in unseren Analysen ausmachen konnten, gibt es beim Cloud Computing. Der ist allerdings deutlich. In den sonstigen, sei es Enterprise Resource Planning oder Customer-Relationship-Management-Software, ist der deutsche Mittelstand, so er sich denn bereits um das Thema kümmert, gut aufgestellt.

Warum sieht es beim Cloud Computing vergleichsweise schlecht aus? Geht es da um Sicherheitsaspekte?
Das ist ganz eindeutig so. Der deutsche Mittelstand ist im internationalen Vergleich sehr innovativ unterwegs und damit auch Ziel von Wirtschaftsspionage. Da besteht sicherlich die erste Sorge. Aber ob das allein den großen Unterschied wie beispielsweise zu den skandinavischen Ländern erklärt, bezweifle ich, denn die sind ja ähnlich innovativ und vergleichbar bezüglich der Wirtschaftskraft. Kulturelle Unterschiede dürften da eine Rolle spielen.

Was müsste passieren, damit sich dies auch hierzulande ändert?
Man muss die Datensicherheit gewährleisten. Da wäre mit einheitlichen europäischen Datenschutzbestimmungen schon viel gewonnen. Und mit einer Zertifizierung der Cloud-Anbieter, so dass absolute Transparenz darüber besteht, was mit den Daten passiert, wo sie gelagert werden. Das ist entscheidend. Dann fallen sie auch unter die entsprechende Gesetzgebung.

Industrie 4.0 ist auch ein Hype-Thema, das von der Politik gepusht wird, wie zum Beispiel mit der Förderinitiative Mittelstand Digital. Wie hilfreich ist das?
Man kann schon sagen, dass es eine gewisse Art von Hype hat und dass da sicherlich aktuell mehr hineinprojiziert als kurz- und mittelfristig tatsächlich verändert wird. Aber klar ist, dass es eine Vernetzung der Produktion entlang der Wertschöpfungskette gibt und noch viel stärker geben wird. Daher haben die Initiativen der Politik in jedem Fall ihren Sinn, sie sensibilisieren den Mittelstand dafür. Denn es ist schon so, dass zahlreiche Studien eine Zurückhaltung der Unternehmen zeigen.

Das heißt, der Mittelstand kümmert sich aktuell eher widerwillig um das Thema?
Ich möchte ungern den Mittelstand gesammelt in eine Ecke drängen. Es gibt sicherlich Sorgen bezüglich der Tatsache, dass Industrie 4.0 große Veränderungen im Unternehmen hervorrufen wird, auch organisatorischer Natur. Veränderungen macht schließlich nicht jeder gleich gerne durch, so wird es auch dem einen oder anderen Unternehmer gehen. Aber grundsätzlich ist der Mittelstand aufgeschlossen. Ich teile daher nicht das eher negative Bild, das da so oft mitschwingt. Hinzu kommt, dass Industrie 4.0 nur Sinn ergibt, wenn man auch Vernetzungspartner hat.

Industrie 4.0 als Schneeballprinzip?
Richtig. Ausgehend von den großen Unternehmen wird es über die mittelgroßen zeitlich versetzt verästeln zu den kleinen Unternehmen.

Wenn ich als kleines Unternehmen anfange, mich mit dem Thema Digitalisierung zu befassen, wie gehe ich am besten vor?
Da gibt es nicht den einen Königsweg. Es kommt wirklich für jedes Unternehmen darauf an, zu gucken, wo welche Prozesse digitalisiert werden können und auch, welche neuen Geschäftsmodelle sich ergeben. Es gilt, eine fundierte digitale Strategie zu entwickeln, schließlich ist das gesamte Unternehmen betroffen. Das ist Aufgabe der Unternehmensführung. Und leider hapert es oft genau daran.

Welche Rolle hat HR dabei?
Die gesamte Produktion wird volatiler. Es wird kleinere Losgrößen geben, eine individualisierte Produktion und größere Auftragsschwankungen. Das erfordert eine höhere Flexibilität der Mitarbeiter.

Wie erreicht man die?
Arbeitskonten sind ja schon heute gang und gäbe, aber dieses Instrument ist sicher eines der entscheidenden und wird man noch ausweiten müssen. Es wird auch eine höhere räumliche Flexibilität geben müssen von Seiten der Unternehmen. Da denke ich an die Möglichkeit für Home Office oder – was immer mehr im Kommen ist – „Office-as-a-Service“, also dezentrale Büros, die mit allem Nötigten ausgestattet sind und in der Nähe des Zuhauses der Mitarbeiter liegen. Natürlich wird auch die Weiterbildung ein großes Thema sein. Insgesamt gilt es, sich intelligente Konzepte zu überlegen, die all dies vereinen. So könnte man nach Auftragsspitzen, wenn weniger Arbeit anfällt, mehr Zeit in die Weiterbildung investieren.

In Stellenausschreibungen spielt der Begriff Industrie 4.0 bisher kaum eine Rolle. Ist das nicht ein großes Versäumnis?
Man darf nicht vergessen, dass wir noch ganz am Anfang stehen. Vielen Unternehmen ist noch nicht so klar, was das für sie bedeutet. Das Ganze ist ein Prozess, nirgendwo werden die Maschinen und die Organisation über Nacht umgerüstet sein auf 4.0. Dementsprechend werden sich die Anforderungen an die Mitarbeiter punktuell ändern. So werden Soft Skills wie Teamfähigkeit noch wichtiger werden, denn Industrie 4.0 funktioniert nur durch Kooperation. Außerdem wird dezentraler gearbeitet werden, da ist Selbstständigkeit und Eigenverantwortung gefragt.

Es geht doch aber nicht nur um Soft Skills, sondern auch um die konkreten Fähigkeiten, mit der Automatisierung und der Digitalisierung und dem neuen Produktionsablauf umzugehen.
Ein wesentliches Merkmal von Industrie 4.0 ist die Erzeugung vieler Echtzeitdaten, die in nachgelagerten Dienstleistungen ausgewertet werden müssen. Dazu braucht es kompetente Datenanalysten, und davon gibt es auf dem Arbeitsmarkt nicht so viele. Hier wird der Mittelstand in einen harten Wettbewerb mit den Großunternehmen treten müssen. Das ist eine große Herausforderung. Verändern werden sich aber insbesondere auch die Ausbildungsberufe und Studiengänge. Sie werden sich vermischen, beispielsweise braucht ein Maschinenbauer auch Informatikfähigkeiten.

Daneben geht es auch um einen Mentalitätswandel für die gesamte Organisation.
In jedem Fall werden die Unternehmen fluider werden. Das müssen sie auch. Und um dahin zu kommen, wird es nicht zu vermeiden sein, Dinge auszuprobieren und auch Fehlschläge zu erleiden. Es ist daher wichtig, dass der Mittelstand offen dafür ist und dies weiß. Aber es gibt keine Alternative.

Industrie 4.0
Für die Digitalisierung der industriellen Produktion hat sich in Deutschland der Begriff Industrie 4.0 etabliert. Damit wird auf die vierte industrielle Revolution verwiesen, in der sich die Gesellschaft aktuell aufgrund der technologischen Entwicklungen befindet. Industrie 4.0 steht demnach für eine immer enger werdende Verbindung zwischen der klassischen Produktion und moderner Informations- und Kommunikationstechnik. Branchen, die bereits früh Prozesse automatisiert haben und daher auch zu den Vorreitern bei der Digitalisierung gelten, sind der Automobilsektor und der Maschinenbau.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren

Kathrin Justen

Kathrin Justen ist Verantwortliche für People and Culture bei der Digitalberatung Digital Dna und arbeitet nebenberuflich als freie Journalistin.

Weitere Artikel