Die Psychologie der Personalauswahl

Personalmanagement

In Bewerbungsgesprächen sollten Personaler auf objektive Messkriterien und Situativfragen setzen, um subjektive Einflüsse auszuschließen. Das Bauchgefühl ist selten ein guter Ratgeber.

Wer kennt diese Situation nicht: der erste Eindruck des neuen Kollegen ist sehr überzeugend, doch im Nachhinein muss festgestellt werden, dass vieles nur Schall und Rauch war. Oft verlässt man sich bei der Einstellung zu sehr auf ein „Bauchgefühl“ und versucht, im Nachhinein die Fehlbesetzung einer Stelle gegebenenfalls noch mit den äußeren Umständen zu rechtfertigen. „Am Anfang hat er sich doch so bemüht“. Häufig überschätzen Personalleiter oder Geschäftsführer ihre Fähigkeiten und merken sich nur die positiven Erfahrungen einer gelungenen Einstellung. Doch für Entscheider ist es elementar, Fallstricke und Hürden frühzeitig zu erkennen, um Fehlentscheidungen möglichst zu vermeiden.

Verzerrung der eigenen Wahrnehmung

Was könnte in unserem Beispiel passiert sein? War der erste Eindruck, die anfängliche Euphorie nur Täuschung? Oder war der neue Kollege tatsächlich zu Beginn motivierter?

Der sogenannte „erste Eindruck“, oder auch Primacy-Effekt, ist genauer betrachtet ein psychologisches Gedächtnisphänomen, welches dazu führt, dass früher erfasste Informationen gegenüber später eingehenden Informationen bevorzugt werden. Wenn ein Personalleiter beispielsweise zu Beginn wahrnimmt, ein Bewerber sei egoistisch, dann wird sich diese Einschätzung auch dann hartnäckig halten, wenn er oder sie anschließend freundlich, offen und hilfsbereit ist. Der „erste Eindruck“ kann somit das gesamte Gespräch beeinflussen. Dieser Eindruck kann auch die anfängliche Arbeitsphase über anhalten.

So manch einer lässt sich des Öfteren dazu verleiten, allgemeingültige oder gar vage Aussagen auf sich selbst oder den Gegenüber zu beziehen, umso stets Wahrheit in solchen Behauptungen zu sehen. Ein einfacher Mechanismus unseres Gehirns, mit oft schweren Folgen. Allgemeingültige Aussagen, die auch noch positiv konnotiert sind, bewirken immer eine „zutreffende Aussage“. Dies ist jeden Tag im Horoskop nachzulesen. Oder würden Sie nicht behaupten, dass Sie gerne Lob hören, flexibel auf Situationen reagieren und gerne Harmonie haben. Bei solchen allgemeingültigen Aussagen, die eben gar nichts aussagen, „funktionieren“ die meisten Menschen gleich. Niemand würde in einem Vorstellungsgespräch diese „Unterstellung“ verneinen.

Ähnlich beliebt wie ineffektiv, sind die berühmten Fragen, nach den eigenen Stärken und Schwächen. Hierbei ist nämlich zu beachten, dass sich auch der Bewerber solche Phänomene zu Nutzen machen kann. Hierfür bietet sich besonders gut der Halo-Effekt an. Darunter wird die Tendenz verstanden, faktisch unabhängige oder nur mäßig zusammenhängende Eigenschaften von Personen oder Sachen fälschlicherweise als verknüpft wahrzunehmen. Einzelne Eigenschaften einer Person, beispielsweise ihre Attraktivität, ein Titel, Sportlichkeit oder ein Akzent, erzeugen einen positiven oder eben einen negativen Eindruck, der die weitere Wahrnehmung der Person „überstrahlt“ und so den Gesamteindruck unverhältnismäßig beeinflusst. Der Effekt tritt häufig dann auf, wenn sich der Bewerber durch besonders hervorstechende, ausgeprägte Eigenschaften oder Verhaltensweisen auszeichnet. Der Einfluss des Halo-Effekts ist besonders stark, wenn der Beurteiler speziell auf eine Verhaltensweise oder ein Merkmal Wert legt und dieses entsprechend überbewertet. So kann die Taktik eines besonders attraktiven Bewerbers darin bestehen, dies gekonnt auszuspielen, oder eben auf die Frage der Stärken und Schwächen, diesen Effekt für sich nutzen.

Der Halo-Effekt kann übrigens auch bei Objekten auftreten. So können auch Fragebögen, die im Einstellungsgespräch verwendet werden, betroffen sein. Einzelne Fragen können andere „überstrahlen“. Wenn beispielsweise die vorhergehende Frage bestimmte Gedanken oder Gefühle auslöst, kann dies Auswirkungen auf die Antwort der nächsten Frage haben. Darauf sollte beim Konstruieren eines Fragebogens für Bewerber geachtet werden.

Neben den Wahrnehmungstäuschungen, sollte auf die Art der Befragung beziehungsweise des Interviews geachtet werden. Dies ist sehr wichtig, denn Studien konnten beweisen, dass die Vorhersagbarkeit von konventionellen Interviews kaum über dem der Zufallswahrscheinlichkeit liegt. In anderen Worten, diese Zeit hätte man sich sparen können.

Die richtige Vorgehensweise

Bei der Auswahl des richtigen Bewerbers sind unstrukturierte Interviews sowie Vertrauen auf das eigene Bauchgefühl selten zielführend. Aus diesem Grund muss ein Personalverantwortlicher versuchen, möglichst objektive Messkriterien zu entwickeln und diese konsequent bei jedem Bewerber einzuhalten, damit eine zuverlässige Bewertung der Kandidaten gewährleistet werden kann. Um diesem Problem zuvorzukommen bieten sich Interviews an, die sogenannten Situativfragen beinhalten: „Wir haben bei uns folgendes Problem…, wie würden Sie in dieser Situation reagieren, was würden Sie genau machen?“ Wichtig ist nun darauf zu achten, dass der Kandidat keine Worthülsen präsentiert, wie beispielsweise: „ich würde sehr motivierend wirken…, ich würde meine Mannschaft motivieren, ich würde deeskalierend wirken“, und vieles ähnliches mehr. Die Situativfragen sollten jedoch nicht willkürlich sein, sondern tatsächliche Probleme beschreiben. Bei Führungskräften ist es besonders wichtig, Situativfragen betreffend den Umgang mit den Mitarbeitern zu stellen. Alle Fragen sollten offen und nach System gestellt werden, quasi wie ein Roter Faden. Dies bietet zugleich Struktur und Flexibilität, und vor allem eben eine Vergleichbarkeit der Bewerbungsgespräche.
Grundsätzlich sollte der Befragte den größten Redeanteil haben, sodass ein Maximum an Informationen gewonnen werden kann – dies ist in den meisten Bewerbungsgesprächen jedoch nicht der Fall.

Zusammenfassend muss noch einmal betont werden, dass Urteilsfehler ausgeschlossen werden sollten, um so vorurteilsfrei ein „halbstrukturiertes“ Bewerbungsgespräch zu führen. Denn oft wird eine „Fehlbesetzung“ erst nach sechs Monaten, oder gar unmittelbar nach der Probezeit deutlich. Am zielführendsten sind objektive „Messverfahren“. Dadurch wird nicht nur ein fairer Wettbewerb garantiert, sondern im Endeffekt jede Menge Kosten gespart. Ein ständiger Mitarbeiterwechsel demotiviert alle Beteiligten.

Das richtige Messverfahren

Viele Unternehmen verwenden hausinterne Messverfahren oder Assessment-Center. In den seltensten Fällen wird allerdings auf die Gütekriterien geachtet. Hierbei haben wir den gleichen Erfolg wie bei einem konventionellen Interview: wir interpretieren. Die Zuverlässigkeit, Messgenauigkeit und Objektivität eines Tests, sind immer Grundlage für eine gewisse objektive Betrachtungsweise. Ist dies wirklich gewährleistet – was bei nahezu 85 Prozent der verwendeten Verfahren nicht der Fall ist -, sollte der objektiv gewonnene Eindruck nicht mehr subjektiviert werden. „Herr Müller machte doch einen guten Eindruck, ich glaube wir versuchen es dennoch…“ hilft weder Unternehmen noch Bewerbern weiter.

Bei der Entscheidung nun, welcher Test verwendet wird, müssen einige Punkte beachtet werden. Die arbeitsrechtliche Absicherung des verwendeten Verfahrens sollte im vornhinein stattgefunden haben. Es sollten allgemein nur Merkmale erhoben werden, die unmittelbar mit der Arbeitstätigkeit zu tun haben. Eine zu umfangreiche Erhebung der Persönlichkeit ist oft nicht zulässig und kann juristisch angefochten werden. Bedachtsamkeit ist deshalb auch bei fremdstaatlichen Tests geboten. Sind diese für den deutschen Raum rechtlich geprüft? Ist die korrekte Übersetzung sichergestellt?

Ein neuer Trend sind die „Tests“ die online durchgeführt werden können. Als Vorzüge dieser Variante werden oft weniger Belastung für das Personalwesen und die günstige Durchführbarkeit für den Bewerber angegeben. Doch leider existiert keine Garantie, dass der Bewerber den Fragebogen tatsächlich selbst ausfüllt. Es ist außerdem nicht ausgeschlossen, dass sich der Befragte nebenher über den Test informiert und ihn somit nach Belieben verfälschen kann. Die größte Sicherheit besteht dann, wenn der Bewerber vor Ort befragt wird. Dieser Aufwand sollte gemacht werden, vor allem auch um zu sehen, wie sich der potenzielle Abteilungsleiter in Belastungssituationen verhält.

Wer vor einem Bewerbungsgespräch intensive Vorbereitung leistet, sich die möglichen Wahrnehmungsfehler ins Gedächtnis ruft und seriöse Tests verwendet, der bewahrt sein Unternehmen vor folgeschweren Konsequenzen und gibt potenziellen Mitarbeitern eine faire und vor allem objektive Chance.

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Rüdiger Maas

Berater
Maas Beratungsgesellschaft mbH

Marco Nitzschner

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