Drei Varianten modernen Recruitings

Employer Branding

Viele Unternehmen stellen ihr Recruitung auf neue Beine, um den Ansprüchen einer neuen Bewerbergeneration gerecht zu werden. Drei Beispiele aus der Praxis.

Es wird schwer fallen, heute noch Unternehmen zu finden, die sich nicht im Internet präsentieren. Und doch ist es möglich, mit der Firmen-Webseite herauszustechen, wenn es um das Anwerben von Talenten geht. Seit sieben Jahren gibt es die Best-Recruiters-Studie des österreichischen Karriere- und Wirtschaftsverlags Career.

Studienleiterin Agnes Koller weist Unternehmen auch heute eine Vorreiterrolle zu, wenn sie sich in der Tiefe mit der Digitalisierung befassen. Die Studie erfasst die 1500 größten Unternehmen im deutschsprachigen Raum und mündet jährlich in ein Ranking der besten Recruiter. „Es gibt immer noch eine Schere zwischen denen, die ein digitales Profil einfach nur bereitstellen und jenen, die es dann auch tatsächlich zur aktiven Kontaktaufnahme mit potenziellen Bewerbern nutzen“, sagt Koller.

Die Studie wird in Zusammenarbeit mit dem Institut für Personalmanagement der Wirtschaftsuniversität Wien erstellt. Und sie ist aufwendig. So werden beispielsweise stichprobenartig Bewerbungen an Unternehmen geschickt, um dann zu schauen, ob in einer angemessenen Zeit Absagen oder Einladungen zu Bewerbungsgesprächen kommen. „Wir nehmen die Bewerbersicht ein“, betont Agnes Koller. Sie ist überzeugt, dass der Bewerberblick zuerst auf die Onlineauftritte der Unternehmen geht.

Wie zugänglich sind die Karrierewebseiten und Onlineausschreibungen aufgebaut? Wie groß ist die Präsenz in den sozialen Netzwerken? In welchem Maß gibt es Möglichkeiten des Mobile Recruiting? Nach diesen Kriterien werden in der Studie die besten Recruiter gekürt. Und natürlich auch danach, ob diese digitalen Angebote ein festes Fundament haben. Sprich, ob hierüber ein wirklicher Austausch zwischen Arbeitgebern und Bewerbern stattfindet.

Dass das Thema Recruiting generell an Bedeutung gewinnt, das zeige die Studie recht deutlich, sagt Agnes Koller. Einhundert Punkte können Unternehmen erreichen, der Durchschnittswert habe sich in den vergangenen Jahren auf mittlerweile 59 Prozent erhöht. Vor allem beim Recruiting über Soziale Medien habe es eine deutliche Steigerung gegeben; in diesem Jahr allein um neun Prozentpunkte. So nutzten heutzutage nur noch sechs Prozent aller der für die 2016er/2017er-Studie untersuchten Unternehmen gar keinen Social-Media-Kanal zum Recruiting, jede zehnte Firma hingegen sieben oder mehr Kanäle.

Zentral für ein gutes Recruiting sei es, mit potenziellen Bewerbern auf Augenhöhe zu kommunizieren, sagt Agnes Koller. Transparenz und Wertschätzung seien zentral. Welche Unternehmen diesen Anspruch beim Kampf um die besten Köpfe laut der Best-Recruiters-Studie vorbildhaft umgesetzt haben, stellen wir in drei Best-Practice-Beispielen vor.

Individuelle Ansprache

Die zeb Unternehmensberatung mit Sitz in Münster beschäftigt europaweit etwa eintausend Berater – und ist damit in der Branche einer der kleineren Mitspieler. In der Best-Recruiter-Studie wurden unter anderem die „innovativen, spritzigen Kampagnen“ gelobt und ein „starkes Employer Branding“.

Man müsste sich eben etwas einfallen lassen, wenn man sich im Wettbewerb mit größeren, reicheren und bekannteren Unternehmen befindet, sagt Burkhard Hanke. Hanke ist bei der zeb für Recruitung und Employer Branding zuständig und verantwortet derzeit wohl eines der größten Innovationsprojekte im zeb-Recruitung der vergangen Jahre. Etwa 600 Ideen schwirren durch das Unternehmen.

25 Interviews hat das Beratungsunternehmen im vergangenen Jahr geführt und ausgewertet. Befragt wurden Mitarbeiter und Bewerber. Auch solche, die ein Stellenangebot abgesagt hatten. Die Unternehmensberatung wollte herausfinden, welche Ansprüche potenzielle neue Mitarbeiter an den Bewerbungsprozess haben – und was sie abschreckt. Die Auswertungen mündeten in insgesamt fünf fiktive Personen, sogenannte „Candidate Personas“. Da gibt es „Justus“, einen selbstbewussten BWLer, der noch überzeugt werden muss, sich zu bewerben. Im Gegensatz zur „proaktiven Sarah“, einer gelernten Bankkauffrau mit nebenberuflichem Studium. „Einen berufserfahrenen Netzwerker, den wir für uns Michael getauft haben, müssen wir in seinem Bewerbungsprozess anders abholen, als einen noch unerfahrenen Studenten der Naturwissenschaften“, fasst Hanke zusammen.

Dabei gehe es nicht darum, Bewerber von vornherein in eine Schublade zu stecken. Vielmehr wolle man bereits im Bewerbungsprozess das zur Verfügung stellen, was sich Bewerber wünschen: viel Feedback über den laufenden Bewerbungsprozess oder eine Beschränkung auf das Nötigste; je nachdem, was gewünscht ist. E-Mail und Telefonkontakt für die einen, eine spezielle App für die anderen. „Das bringt die Bewerber in die komfortable Situation, ihre candidate journeys selbst festzulegen“, sagt Hanke.

Zur individualisierten Bewerberansprache gehört es auch, dass die zeb schon vor der Bewerbung deutlich macht, was potenzielle Kandidaten im Unternehmen erwartet. So wurden diverse Kurzvideos produziert, in denen zeb-Berater über ihre Arbeit berichten. Vor Kurzem wurde das erste Mal ein Whats-App-Tag auf die Beine gestellt. An diesem Tag konnten sich Interessenten in einer Whats-App-Gruppe mit einem Berater zusammenschließen, der dann live einen Tag über seine laufende Projektarbeit berichtete. Einhundert Teilnehmer habe es gegeben, sagt Hanke.

Solche Projekte, von denen in den kommenden Jahren wohl noch wesentlich mehr erprobt werden, bedeuteten natürlich auch erhebliche Mehrarbeit für die Berater, so Hanke. Doch sei ein gutes Recruitung unabdingbar, um zeb zukunftsfest zu machen. „Berater, die nur in ihren Projekten arbeiten, mögen dem Unternehmen aktuell mehr Geld bringen. Aber jeder muss seinen Beitrag leisten, dass wir auch neue Leute von uns überzeugen.“

360° Rundumblick

Stihl ist ein Hersteller von Motorsägen. In dem Video auf der Karrierewebseite des Unternehmens, setzt das Unternehmen jedoch auf Behutsamkeit. Fast an die Hand nimmt einen die junge Frau, die Job-Interessenten in dem zweieinhalbminütigen Film durch einen virtuellen Raum führt, an dessen Ende die zentrale Botschaft verkündet wird: „Unser Bewerbungsprozess ist einfach und unkompliziert.“

360-Grad-Video nennt sich das, weil der User während des Rundgangs quer durch den Raum scrollen und klicken kann. Unter anderem auf Stihl-Kollegen. Sei es der Facharbeiter, die Personalerin, die Marketing-Mitarbeiter, der ITler oder die Werksstudenten. Sie alle haben in kleinen Videos ebenfalls etwas zu sagen – wenn es den User interessiert. Denn das ist die zweite Ebene hinter der 360-Grad-Formulierung des in der Recruiter-Studie gelobtem Videoprojekts. Sämtliche Bewerber, die sich vorstellen können, eine Bewerbung abzugeben, sollen sich angesprochen fühlen. „Jeder Kandidat soll sich aussuchen können, zu welchem Bereich er tiefergehende Informationen haben möchte“, sagt Carolin Buchmaier, die das Personalmarketing verantwortet. „Denn jugendliche Bewerber haben andere Interessen als erfahrene Elektroingenieure.“

Mit dem Video signalisiert das Unternehmen ganz nebenbei auch digitale Innovationsfähigkeit. In einem Bereich also, für den die Firma in den kommenden Jahren viele neue Fachkräfte braucht, und zwar nicht als einziges Unternehmen in der Region Stuttgart. Der Erfolg des 360-Grad-Videos jedenfalls sei spürbar, sagt Carolin Buchmaier. Um rund 20 Prozent sei die Zahl der Bewerber gestiegen, seit man das Video vor einem Jahr online gestellt habe.

Bei Stihl wird derzeit an einem Talent Relationship Management-Programm gearbeitet. Dabei geht es nicht darum, Interesse bei Bewerbern zu wecken, sondern den Kontakt zu den Kandidaten zu halten, die sich bereits beworben hatten, und trotz guter Qualifikation keine Stellen angeboten bekommen konnten. In einem enger werdenden Fachkräftemarkt könne man es sich kaum noch leisten, fast schon passgenaue Bewerber ziehen zu lassen, nur weil es gerade keine Stelle gebe, sagt Carolin Buchmaier.

Bereits seit zehn Jahren gibt es ein ganz ähnliches Programm: Hier werden Studenten, die als Praktikanten oder Werksstudenten im Unternehmen tätig waren, regelmäßig kontaktiert und zum Beispiel zu Waldexkursionen oder Seminaren eingeladen. Fünfzig Studenten befänden sich derzeit im Programm. Und sie werden, so die Hoffnung, zu einem großen Teil für ihre künftige Tätigkeit bei Stihl vorbereitet.

Mitarbeiterbindung

Geht es ums Recruiting, kann man die Bechtle AG, das größte IT-Systemhaus Deutschlands, durchaus traditionell nennen. Im vergangenen Jahr wurde im Unternehmen ein ehemaliger Auszubildender zum Geschäftsführer ernannt. Die erste Frau, die vor 30 Jahren in einem IT-Beruf bei Bechtle ihre Ausbildung machte, ist auch heute noch im Unternehmen.

Mitarbeiterbindung war hier schon immer ein Thema, sagt Manuela Schmiedeknecht. Sie ist Teamleiterin für HR-Marketing,
Recruiting und Ausbildung bei dem Neckarsulmer Unternehmen mit etwa 7.200 Beschäftigten in ganz Europa. „Wir machen nicht jeden Hype im Recruiting mit“, fasst Schmiedeknecht die Recruiting-Philosophie zusammen. Das Unternehmen ist auf ein bodenständiges Image fokussiert. Die Bemühungen der vergangenen Jahre zielen vor allem darauf ab, die Attraktivität als Ausbildungsbetrieb bei den Jüngsten in der Region zu festigen.

Seit 2011 bloggen Azubis und duale Studenten über ihren Arbeitsalltag bei Bechtle, um so das Interesse anderer Schüler zu wecken. „Nur so gelingt es uns, den steigenden Bedarf an Azubis zu decken“, sagt Schmiedeknecht. 2015 wurde ein Online-Karriereportal eingerichtet, das Bewerbern unter anderem garantiert, stets Rückmeldungen über den Stand ihrer Bewerbungen zu bekommen und sich mobil zu bewerben.

Das sei unverzichtbar, um diejenigen anzusprechen, die nicht nur mobiles Internet gewohnt sind, sondern durch soziale Medien auch schnelles Feedback. „Uns war klar, dass unser Bewerbungsprozess deshalb auch einfach, schnell, bequem und wertschätzend sein muss“, sagt Schmiedeknecht.

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Thomas Trappe

Thomas Trappe

Freier Journalist
Thomas Trappe lebt in Berlin und schrieb unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit und die F.A.Z. Heute berichtet er vor allem über Gesundheitspolitik aus der Hauptstadt. In Leipzig studierte Trappe Journalistik und Politikwissenschaften. Er schreibt seit Jahren regelmäßig für den HRM.

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