„Es kommen neue Aufgaben für HR dazu“

Personalmanagement

Das Personalmanagement auf Basis von Kennzahlen und Datenanalysen ist auf dem Vormarsch. Was das für die Profession bedeutet und welches Potenzial Big Data birgt, sagt Torsten Biemann im Interview.

Er ist so etwas wie der „Rising Star“ unter den Personalforschern. Laut Personalmagazin gehört Torsten Biemann zu den 40 führenden Köpfen des Personalwesens. 2012 war er noch Juniorprofessor. Während des Telefongesprächs spricht der 38-Jährige ruhig und bedächtig. Er leidet noch unter einem Jetlag, weil er erst einen Tag zuvor von einer Konferenz in den USA zurückgekommen ist.

Herr Biemann, die Gretchenfrage am Anfang: Handelt es sich bei Big Data um einen Hype oder bedeutet es die Revolution?
Ich denke, es liegt irgendwo dazwischen. Man kann auch mit Big Data nicht jedes Verhalten, jede Kaufentscheidung präzise vorhersagen. Andererseits eröffnet eine große Menge an Daten Möglichkeiten, Vorhersagen zu verbessern. Es eröffnen sich durch neue Datenquellen auch neue Analyse-Bereiche, die man vorher nicht betrachten konnte.

Was genau ist Big Data?
Mit Big Data sind große Datenmengen gemeint, die früher in der Regel nicht vorlagen, beispielsweise durch das Internet oder unterschiedliche Tracking-Protokolle. Konventionelle Analyseverfahren scheitern oft, Muster in diesen großen Datenmengen zu erkennen. Scharf abgegrenzt werden kann der Begriff aber nicht.

Und was bedeutet Big Data für HR?
Zunächst einmal bedeutet es, große Datenmengen zu sichern, die beispielsweise bei Mitarbeiterbefragungen oder Performance-Bewertungen anfallen. Sie zu speichern und elektronisch verfügbar zu haben, ist ein erster Schritt. Der zweite Schritt ist dann die Analyse dieser großen Datenmengen. So viele neue Datenquellen gibt es im HR-Bereich noch nicht, allerdings haben viele HRler schon Probleme, die herkömmlichen Datenmengen adäquat auszuwerten.

Was ist eigentlich der Unterschied zum Personalcontrolling? Daten sammeln und auswerten ist im HR-Bereich nicht neu.
Im Personalcontrolling geht es häufig darum, Daten zu sammeln und Kennzahlensysteme aufzubereiten. Da werden zum Beispiel die durchschnittlichen Fehltage oder die Personalkosten pro Mitarbeiter erfasst. Möglichkeiten, die im Zusammenhang mit Big Data diskutiert werden, gehen auf zwei Wegen hierüber hinaus. Erstens sollen Vorhersagen zu einzelnen Individuen ermöglicht werden. Schaut sich ein Mitarbeiter beispielsweise häufig Stellenangebote auf entsprechenden Internetseiten an, lässt sich hieraus ein erhöhtes Risiko ableiten, dass dieser Mitarbeiter das Unternehmen verlässt. Diese individuellen Vorhersagen sind im klassischen Personalcontrolling eher unüblich. Zweitens werden in der Personalarbeit die Zahlen häufig nur zur Verfügung gestellt und aufbereitet, aber es wird kaum versucht, eigene Ableitungen und Kausalzusammenhänge aus den Daten herzustellen. Welche Mitarbeiter sind es denn, die in erster Linie unser Unternehmen verlassen? Sind es die High-Performer oder die Low-Performer? Das Personalcontrolling liefert häufig ein Kennzahlensystem, ohne jedoch zum Beispiel wirksame Stellschrauben zu identifizieren, wie ungewollte Mitarbeiterfluktuation verringert werden könnte.

Gibt es in Deutschland überhaupt Unternehmen, die im HR-Bereich auf Big Data setzen? Oder ist das alles noch ziemlich theoretisch?
Eine konsequente Umsetzung der Möglichkeiten, die Big Data bietet, geschieht in deutschen Unternehmen noch nicht, aber was es gibt, ist in manchen Bereichen ein systematisches Vorgehen, um spezifische Fragestellungen zu beantworten, zum Beispiel zur Wirksamkeit bestimmter HR-Praktiken. Und es drängen natürlich Dienstleister auf den Markt, die Big-Data-Anwendungen anbieten. Das ist häufig jedoch nichts, was über klassische Kennzahlensysteme hinausgeht.

Sie plädieren generell für ein evidenzbasiertes Personalmanagement. Ist Big Data für Sie eine Konkurrenz?
Big Data ist eher Ergänzung als Konkurrenz. Wissenschaftliche Theorien sind nur dann nützlich, wenn sie die Realität wiedergeben. Und dieser Realitätscheck kann über Big Data erfolgen. Genau dies spiegelt den Kern des evidenzbasierten Personalmanagements wider. Man entscheidet sich nach empirischen Analysen für die Maßnahmen, die sich in der Praxis als wirksam erwiesen haben. Die wissenschaftlichen Theorien und Erkenntnisse sind allerdings wichtige Basis für diese Analysen. So hat Google zum Beispiel vor ein paar Jahren im Rahmen des Projektes Oxygen sehr viele Daten von allen Führungskräften im Unternehmen gesammelt, um so herauszufinden, was eine gute Führungskraft ausmacht. Diese Daten wurden aufwändig ausgewertet. Die Ergebnisse spiegelten dann allerdings hauptsächlich das wider, was man in der Führungsforschung schon länger weiß.

Würden Sie sagen, dass HR grundsätzlich immer mehr datengetrieben ist?
Die Entwicklung ist da und sie ist auch zu begrüßen. Im Personalmanagement werden noch zu viele Entscheidungen nach Bauchgefühl und Intuition getroffen.

Was manchmal auch nicht schlecht ist.
Ja, als Ergänzung. Es geht nicht darum, die Intuition vollkommen durch Daten zu ersetzen. Aber der Mensch überschätzt sich häufig, zum Beispiel, wenn es um die Bewertungen von Mitarbeitern oder Jobkandidaten geht. Da wäre weniger Bauchgefühl manchmal gut.

Das Business fordert immer öfter Kennzahlen von HR, um zu sehen, welchen Mehrwert die Personalmaßnahmen bringen. Denken Sie, dass so die Entwicklung zu mehr Evidenz auf Basis von Daten vorangetrieben wird?
Ja, absolut. Wenn man heute Trainingsmaßnahmen oder Selektionsmethoden intuitiv auswählt, hat man Probleme, deren Nutzen zu kommunizieren. Der Personalmanager, der mit dem CEO und dem CFO am Tisch sitzt und keine Zahlen liefern kann, die den Mehrwert einer Maßnahme belegen können, hat es ziemlich schwer.

Wenn Daten, Kennzahlen und Algorithmen im HR-Bereich eine immer größere Rolle spielen, inwieweit verändert sich dadurch das Profil von HR?
Die zunehmende Analyse von Daten wird das HR-Profil nicht revolutionieren, aber es kommt ein wichtiger Bereich hinzu. Die Fertigkeiten, die notwendig sind, sind allerdings unter Personalern noch nicht sehr verbreitet.

Welche Fähigkeiten meinen Sie genau?
Dies sind vor allem analytische Fähigkeiten und statistische Verfahren. Wir bieten in Mannheim zum Beispiel die Mastervorlesung „HR Analytics“ an, bei der wir den Studenten zunächst zeigen, wie sie selber wissenschaftliche Evidenz zu Personalthemen sammeln und anschließend mit Daten aus dem eigenen Unternehmen wichtige Fragestellungen überprüfen können. Sie müssen dazu einen großen Unternehmensdatensatz auswerten und in Teams analysieren, ob bestimmte Trainingsmaßnahmen tatsächlich zu höherer Leistung geführt haben oder welche Einflussfaktoren auf Fehlzeiten identifiziert werden können.

Nimmt die Nachfrage von Unternehmen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen Ihrer Erfahrung nach zu?
Mein Eindruck ist, dass es bei den Unternehmen ein großes Interesse gibt. Allerdings ist die Idee, Daten zur Entscheidungsfindung zu benutzen, natürlich nicht ganz neu und bestand auch schon lange vor der Diskussion zu Big Data.

Es gibt einen allgemeinen Trend zur Automatisierung im HR-Bereich, der auch dazu führt, dass Personalabteilungen verkleinert werden. Wird Big Data Ihrer Meinung nach den Trend fortsetzen?
Routinetätigkeiten können durch intelligente Algorithmen vielleicht ersetzt werden, aber man wird gleichzeitig vermehrt Analysespezialisten brauchen, die die Auswertung von Big Data vornehmen können. Es ist nicht so, dass ein großer Datensatz automatisch gesammelt wird und dann drückt man drei Knöpfe und hat das Ergebnis. Es steckt noch wesentlich mehr dahinter, gerade wenn es darum geht, die Ergebnisse zu interpretieren. Die Aufbereitung der Daten im klassischen Personalcontrolling lässt sich vermutlich weiter automatisieren. Bei den Schritten, die danach folgen, geht das nicht. Und man sieht ja auch in manchen Konzernen, dass sich Personalabteilungen zwar verkleinern, jedoch gleichzeitig eine neue Einheit für HR-Analyseverfahren entsteht. Es kommen also neue Aufgaben hinzu.

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