Führen heißt lehren und lernen

Leadership

Der Konsumgüterkonzern Henkel legt viel Wert auf seine Nachwuchsförderung. Ein Gespräch mit Personalvorstand Kathrin Menges über die Anforderungen an die heutigen Hochschulabsolventen, Führungskräfte als Talententwickler und die Triple-Two-Philosophie des Unternehmens.

Frau Menges, wenn junge Menschen ihre Karriere bei Henkel beginnen, müssen sie dann schon fertige Persönlichkeiten sein, oder darf sich die auch erst im Berufsleben so richtig entwickeln?
Ich glaube nicht, dass man Menschen mit Mitte 20 komplett verändern kann. Das wollen wir auch nicht. Wir achten jedoch bei der Einstellung schon darauf, dass sich neben den fachlichen Kompetenzen auch die richtigen persönlichen Kompetenzen zeigen. Henkel ist geprägt von einer starken Unternehmenskultur und es ist uns wichtig, dass bestimmte Grundeinstellungen, die jemand mitbringt, mit denen von Henkel übereinstimmen. Aber durch die Aus- und Weiterbildung sowie die Erfahrungen, die wir Berufseinsteigern ermöglichen, entwickelt sich natürlich auch die Persönlichkeit weiter.

Wie schaffen Sie den Spagat zwischen einheitlichen Wertestandards, denen sich die Mitarbeiter verpflichten sollen, und der Individualität der Mitarbeiter, die ja sicherlich auch gewollt ist? Muss es nicht auch Raum für Anderssein geben?
Das schließt sich aus meiner Sicht nicht aus. Henkel hat rund 47.000 Mitarbeiter weltweit. Jeder von ihnen ist unterschiedlich. Wir sind davon überzeugt, dass diese Vielfalt einen wesentlichen Beitrag zu unserem Unternehmenserfolg leistet. Henkel ist eines der am stärksten international ausgerichteten Unternehmen in Deutschland und das bringt zwangsläufig unterschiedliche Kulturen und Persönlichkeiten mit sich. Diese Internationalität und Unterschiedlichkeit ist für uns kein Problem, sondern ein Wettbewerbsvorteil. Umso wichtiger ist es aber, als globales Team gemeinsame Werte als Orientierungsmaßstab zu haben. Wir haben den Anspruch, dass alle Mitarbeiter weltweit unsere Unternehmenswerte kennen und verstehen. Nur so können sie tatsächlich in der täglichen Arbeit eine Entscheidungsgrundlage sein.
Darüber hinaus suchen wir grundsätzlich nach Mitarbeitern, die eine große Flexibilität mitbringen, die aufgeschlossen sind für neue Aufgaben und eine ständige Lernbereitschaft zeigen. Wichtig ist auch, dass sie Interesse an einem internationalen Arbeitsumfeld haben und dass sie leistungsorientiert sind. Außerdem ist uns eine starke Führungskultur ganz wichtig. Deshalb haben wir auch verbindliche Führungsprinzipien für alle Mitarbeiter mit Personalverantwortung entwickelt.

Sie sprachen unter anderem von Leistungsorientierung. Kann man das Ihrer Ansicht nach eigentlich lernen?
Leistungsorientierung kann man durchaus lernen. Sicherlich werden bestimmte Weichen in der Kindheit gelegt, wenn es um Fragen geht wie: Hat jemand hohe Ansprüche an die eigenen Ergebnisse? Setzt er oder sie sich ehrgeizige Ziele? Wenn jemand in seinem Leben immer nur Entschuldigungen anführt, warum etwas nicht geklappt hat, dann passt er vielleicht nicht zu uns. Wir erleben aber, dass es viele Menschen gibt, die wissen, was sie wollen und daran sehr zielorientiert arbeiten. Wir legen viel Wert auf Eigenständigkeit und übertragen deshalb Hochschulabsolventen schon früh eigenverantwortliche Aufgaben. Dadurch lernt man, Entscheidungen zu treffen.

Obgleich man sagt, dass Entscheidungen schwieriger werden, weil die Welt immer komplexer und dynamischer wird. Es fehlt immer etwas an Informationen.
Das ist ein Reifeprozess. Viele Mitarbeiter suchen in der Anfangsphase ihrer Karriere nach zusätzlichen Informationen und Absicherungen und möchten alle Fakten kennen, bis sie sich zu einer Entscheidung entschließen. Eine Führungskraft mit viel Erfahrung ist in der Lage, Entscheidungen auch auf Basis weniger – aber wichtiger – Informationen zu treffen. Das sage ich auch Kandidaten, die sich für die nächste Managementebene vorbereiten: Je höher die Führungsebene, desto weniger Vorbereitungszeit hat man und muss sich daher oft intuitiv entscheiden und sich auf das Urteil seiner Mitarbeiter verlassen. Hier zeigt sich schon recht früh, wer das Potenzial für Top-Führungspositionen hat.

Sie haben am Anfang Ihrer Berufslaufbahn zwei Jahre als Lehrerin gearbeitet: Wie viel Pädagogik steckt eigentlich in Talent-Management-Programmen? Müssen Führungskräfte, die in der Regel als erste Talententwickler gelten, auch pädagogische Fähigkeiten haben?
Der Kontext von Schule und Wirtschaftsunternehmen ist sehr unterschiedlich, aber es gibt inhaltlich durchaus Parallelen. In beiden Fällen geht es auch darum, Menschen weiterzuentwickeln. Manager müssen in gewisser Weise auch Lehrer sein. Sie müssen Wissen vermitteln können und Menschen dazu bringen, lernen zu wollen. Wichtig ist außerdem die Fähigkeit, Menschen fair zu bewerten – wie in der Schule.

Talententwicklung ist nicht etwas, was man einfach so kann. Ist nicht manche Führungskraft damit überfordert?
Wenn jemand mit Talententwicklung überfordert ist, ist er nicht der Richtige für eine Führungsaufgabe. Das sage ich ganz deutlich. Die Führungskraft, die nebenbei ein Team führt und eigentlich lieber als reiner Spezialist arbeiten möchte, wird nicht erfolgreich sein. Ein großer Teil der Zeit muss eine Führungskraft, neben der fachlichen Arbeit, der Führung und der Entwicklung ihres Teams widmen. Das führt dazu, dass man vieles delegieren kann, was unabdingbar ist. Und dann bleibt auch genug Freiraum, sich um die Talententwicklung zu kümmern.

Kann man Führung lernen?
Davon bin ich überzeugt. Wir bereiten künftige Führungskräfte durch gezielte Trainings und Weiterbildungen auf ihre Herausforderung vor. Gleichzeitig muss man jedoch auch bereit sein, zu führen. Ich kann niemanden als Führungskraft entwickeln, der eigentlich lieber ausschließlich fachlich arbeiten will.

Vielen jungen Menschen scheint es nicht mehr so wichtig zu sein, Führungsverantwortung zu übernehmen und bis zum Anschlag zu arbeiten. Wie sehen Sie die Generation Y in Bezug dazu?
(lacht) Über diese Generation Y wird ja momentan sehr viel geschrieben. Das scheint eine ganz besondere Generation zu sein. Aber im Ernst: Jede Generation hat ihre besonderen Ansprüche und Charakteristika. Wir machen nicht die Erfahrung, dass sich die Generation Y grundsätzlich davor scheut, Führungsverantwortung zu übernehmen.

Aber es ist eine andere Art der Führung.
Aber es muss vielleicht auch eine andere Art von Führung sein. In der zukünftigen Arbeitswelt sind Teams immer häufiger virtuell aufgestellt. Projektführung wird an Bedeutung gewinnen. Ich kann mir gut vorstellen, dass manche junge Führungskraft nicht die Ambition hat, zehn Jahre lang die klassische Führungsleiter aufzusteigen, dafür jedoch mit Begeisterung die Führung eines Projektteams für einen bestimmten Zeitraum übernimmt. Die junge Generation ist flexibel und offen für wechselnde Tätigkeiten. Sie wollen immer wieder etwas Neues machen und sind sehr lernbereit. Um diese Zielgruppe anzusprechen, müssen wir als Unternehmen Karrierepfade noch abwechslungsreicher und individueller gestalten.

Können Sie sich für die Zukunft vorstellen, dass so etwas wie „Führung auf Zeit“ eine größere Rolle spielen wird?
Das kann ich mir durchaus vorstellen. Es ist gut, wenn die Karriere von verschiedenen Herausforderungen geprägt ist und man immer wieder unterschiedliche Aufgaben übernimmt. Die Zeiten, in denen Führung als reines Statussymbol wahrgenommen wird, sind vorbei. Irgendwann wird es ganz normal sein, dass mancher für ein paar Jahre Führung übernimmt und sich danach stärker wieder einer fachlichen Aufgabe widmet. Natürlich muss die Wertigkeit dieser Aufgabe dann auch passen. Es gibt aber auf der fachlichen Ebene durchaus hochqualifizierte Tätigkeiten.

Und ein solcher Wechsel darf nicht als Scheitern wahrgenommen werden.
Das ist das Wichtige dabei. Das ist jedoch eine Kulturfrage. Wenn in einem Unternehmen gilt, „nur wer Führungskraft ist, hat’s geschafft“, dann ist so was schwer umzusetzen.

Bei Henkel wird viel Wert auf Jobrotationen gelegt. Warum sind die im Rahmen des Talent-Management-Prozesses wichtig?
Zum einen, weil Henkel so vielfältig ist. Wir haben drei unterschiedliche Unternehmensbereiche, in denen die Aufgaben wiederum sehr vielfältig sind. Neben dem Konsumentengeschäft mit Wasch- und Reinigungsmitteln sowie Beauty Care, sind wir – und das ist einigen Lesern vielleicht nicht so bekannt – Weltmarktführer im Bereich Klebstofftechnologien. Zudem sind wir in fast 80 Ländern tätig. Wir glauben, dass Mitarbeiter, die das Potenzial für weitergehende Managementaufgaben haben, die Breite und Tiefe unseres Geschäfts verstehen müssen. Wir merken, dass die Rotationen in neue Aufgaben und Themen die Perspektive der Betreffenden erweitern, was wiederum wichtig ist für die Urteilskraft und die Fähigkeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ein weiterer Vorteil der Jobrotationen ist, dass wir dadurch Mitarbeiter lange an das Unternehmen binden können, weil wir ihnen abwechslungsreiche Karrierepfade und stets neue Herausforderungen bieten können.

Bei Henkel gibt es die sogenannte Triple-Two-Philosophie: Die jungen Leute arbeiten in Ihrem Unternehmen mindestens in zwei Funktionen, in zwei Ländern und in zwei Unternehmensbereichen. Wie verbindlich ist das?
Triple Two ist ein wichtiger Bestandteil unserer Talententwicklung. Mitarbeiter, denen wir das Potenzial für weitergehende Aufgaben zusprechen, durchlaufen dieses Triple Two im Rahmen ihrer Karriere. Manche kommen sogar auf drei Rotationen pro Bereich. Wir nennen es aber bewusst Philosophie. Es ist kein festes Programm.

Wie viel Lust haben die jungen Menschen, heute international zu arbeiten Ihrer Beobachtung nach?
Die Mobilität ist leider nicht immer so hoch, wie ich mir das wünschen würde. Viele junge Menschen waren im Rahmen ihrer Schul- beziehungsweise Hochschulausbildung im Ausland und haben das Gefühl, das reicht für die Karriere. Uns kommt es aber nicht nur darauf an, mal in einem anderen Land gelebt zu haben, sondern auch, dass man den Business-Kontext und die jeweilige Kultur versteht. Ein sechsmonatiges Auslandsstudium ist eine wichtige Erfahrung, aber nicht ausreichend.

Henkel ist zuletzt vor allem in den Schwellenländern gewachsen und will das auch in Zukunft. Was bedeutet das für das Talent Management Ihres Unternehmens? Ist das Rekrutieren, beispielsweise in Asien, grundsätzlich schwieriger?
Es ist insofern schwieriger, als der Arbeitsmarkt in diesen Ländern stark umkämpft ist. Viele Unternehmen sind in solchen Wachstumsmärkten an den Talenten interessiert. In manchen Ländern ist auch die Anzahl derjenigen, die die richtige Qualifikation haben, noch sehr begrenzt. Der Talentpool ist also kleiner. Hinzu kommt, dass wir in den Schwellenländern zwar mit unseren starken Marken, aber als Unternehmen nicht so bekannt sind wie in Deutschland und Europa. Die Arbeitgebermarke muss erst einmal aufgebaut werden. Das tun wir unter anderem durch die gezielte Kooperation mit Top-Universitäten und Lehrstühlen.

In Deutschland kooperiert Henkel zum Beispiel mit einem Lehrstuhl der WHU in Vallendar und hat gemeinsam mit der Hochschule das Henkel Center for Consumer Goods gegründet. Welches Ziel verfolgt Ihr Unternehmen mit diesem Engagement?
Das ist eine sehr erfolgreiche und innovative Partnerschaft und ein Gewinn für beide Seiten. Wir kooperieren intensiv im Bereich der Forschung. Gleichzeitig haben wir die Gelegenheit, frühzeitig talentierte Hochschulabsolventen kennen zu lernen.

Gehört eine solche Kooperation zum Talent Relationship Management?
Ja, durchaus. Wir verfolgen beim Recruiting einen gezielten Ansatz. Dazu gehört, dass wir mit ausgewählten Universitäten und einzelnen Lehrstühlen zusammenarbeiten. Und das weltweit. Solche inhaltliche Kooperationen sind für uns sehr interessant. Es geht darum, Talente für Henkel zu gewinnen, aber auch gemeinsam an interessanten Projekten zu arbeiten.

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