Führung à la Kant und Popper

Leadership

Führungskräfte befinden sich in einem Spannungsverhältnis unterschiedlicher Anforderungen – fachlichen, unternehmerischen, gesellschaftlichen, zwischenmenschlichen und persönlichen. An welchen Werten sollte eine gute Führungskraft ihre Entscheidungen ausrichten, um hier passende und angemessene Lösungen zu finden?

Eine gute Führungskraft motiviert, fördert Innovationen und Kreativität und verbessert Qualität, Effizienz und Umsätze. Neben diesen Werten orientiert sie sich an moralischen. Sie achtet beispielsweise ihre Mitarbeiter und sorgt für humane Arbeitszeiten beziehungsweise -bedingungen. Dies mag man dadurch rechtfertigen, dass moralisches Fehlverhalten kreatives und innovatives Denken blockiert, Mitarbeiter demotiviert oder (innerlich) kündigen lässt. Befindet sich ein Mitarbeiter aber beispielsweise in einer finanziellen Notsituation, wird er viel ertragen und dennoch versuchen gute Leistung zu bringen, aus Furcht seinen Job zu verlieren. Dennoch sollte eine Führungskraft dies nicht ausnutzen. Andernfalls würde sie die Forderung missachten, moralisch richtig zu handeln. Diese Forderung stellt sich an jedes menschliche Handeln, somit auch an das einer Führungskraft.

Wann handelt man moralisch richtig? (Moral-)Philosophen, wie Immanuel Kant (1724-1804), antworten hierauf detailliert. Kant formuliert ein oberstes Prinzip für moralisches Handeln, den kategorischen Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Folgt eine Führungskraft Kant, überlegt sie, von welcher Handlung sie (rational) wollen kann, dass jede andere Person ebenso handeln würde, das heißt, welche Handlung verallgemeinerbar ist.

Anschaulicher formuliert verbietet der kategorische Imperativ, Personen zu instrumentalisieren. Sie dürfen nicht bloß als Mittel zur Zielerreichung gebraucht werden, weil Personen eine Würde haben. Eine gute Führungskraft nimmt somit ihre Mitarbeiter, Geschäftspartner, Lieferanten und Kunden als gleichberechtige Gegenüber ernst. Sie behandelt ihre Mitarbeiter beispielsweise nicht wie Maschinen, die möglichst schnell, gut und effizient arbeiten und ansonsten nicht stören. Es geht um den respektvollen Umgang mit Menschen, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen oder professionellen Stellung. Wie dieser genau umgesetzt wird, hierfür mag es personen- und situationsabhängig unterschiedliche Möglichkeiten geben.

Kant betont, dass die ausschlaggebende Motivation hinter einer moralischen Handlung keine Neigung sein darf. Neigungen sind sinnliche Begierden, wie persönliche Präferenzen, Wünsche oder Emotionen. Persönliche Neigungen verändern sich aber, und nicht alle Personen haben die gleichen Neigungen. Hängt die Motivation, moralisch zu handeln, an einer Neigung und verändert sich diese, entfällt die Motivation, moralisch zu handeln. Um das Image ihrer Firma zu verbessern, mag eine Führungskraft beispielsweise ressourcenschonende Produktionsmethoden einführen. Doch was ist, wenn der Führungskraft das Image ihrer Firma egal wäre? Dann wäre sie nicht dazu motiviert, die Produktionsmethoden zu verändern. Aus moralischen Gründen sollte sie dies aber tun.

Nach Kant sollte die Erkenntnis, dass eine Handlung moralisch richtig ist, das eigentliche und ausreichende Handlungsmotiv sein, weil alle Menschen zu dieser Erkenntnis gleichermaßen fähig sind. Die eigentliche Motivation hinter einer Handlung zu erkennen erfordert Ehrlichkeit sich selbst gegenüber und Selbstreflexion, getreu dem Motto: Handle moralisch und reflektiere darüber. Für Führungskräfte kann es ratsam sein, sich nicht von ihren Neigungen leiten zu lassen. Hat ein Mitarbeiter das Gefühl, dass eine Führungskraft ihn moralisch korrekt behandelt, unabhängig von ihren persönlichen Präferenzen, Wünschen und Emotionen, vertraut er ihr vermutlich mehr und zeigt sich loyaler.

Die Mündigkeit des Einzelnen

Um die moralisch richtige Handlung zu erkennen, muss man keine übergeordnete Autorität konsultieren, weder familiär, staatlich noch religiös. Der kategorische Imperativ und vernünftiges Nachdenken genügt. Kant betont somit die Mündigkeit jedes Einzelnen. Gute Führungskräfte handeln somit mündig und selbstbestimmt und übernehmen nicht blind fremde Meinungen. Sie fordern und fördern auch mündiges Verhalten anderer durch günstige Rahmenbedingungen.

Auch Karl Popper (1902-1994) liefert Anregungen für gute Führung. Popper ist kein Moralphilosoph, sondern revolutionierte mit seinem Kritischen Rationalismus die Wissenschaftstheorie. Nach Popper sollte es schon aus logischen Gründen nicht das Ziel von empirischen Wissenschaften sein, die Wahrheit bestehender Theorien zu beweisen. Vielmehr sollte die Wissenschaft Theorien kritisch hinterfragen und versuchen sie zu widerlegen, um sie zu verbessern (Prinzip der Falsifikation). Dies erfordert eine Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und eine besondere Dialogkultur: Alle Beteiligten sollten Bestehendes kritisch hinterfragen, das Potenzial von Fehlern erkennen, gute, wohlbegründete Argumente vorbringen und sich offen gegenüber Neuem zeigen. Diese kritisch-rationale Kultur können auch Unternehmen umsetzen. Die Forschung zeigt, dass eine kritisch-rationale Kultur sich positiv auf Innovationen und Kreativität auswirkt.

Auch bei gesellschaftlich-politischen Fragen kritisiert Popper Theorien, die beanspruchen, den einzig richtigen Idealzustand einer Gesellschaft erkannt zu haben, wie der Nationalsozialismus oder Kommunismus. Popper sind Fragen nach Idealzuständen im Sinne absoluter Wahrheiten suspekt. Man sollte eher versuchen den Status Quo schrittweise zu verbessern (Stückwerk-Ansatz). Dadurch kann man immer wieder korrigierend eingreifen. Auch Führungskräfte sollten Veränderungen behutsam und schrittweise angehen. Ansonsten fühlen sich Mitarbeiter leicht übersehen, bevormundet und in ihrer bisherigen Arbeit missachtet.

Kant und Popper können somit gute Führung dahingehend inspirieren, wie eine Führungskraft ihre Entscheidungen und Handlungen an moralischen Werten ausrichten kann, indem sie gemäß dem kategorischen Imperativ handelt, Mündigkeit fordert oder kritisch-rationales Denken fördert. Dies ist der Kerngedanke des Modells der ethikorientierten Führung. Das Wertegerüst einer ethikorientierten Führungskraft dient ihr als Kompass, um im komplizierten Geflecht unterschiedlichster Anforderungen die richtige Lösung zu finden.

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Dieter Frey

Professor für Psychologie
Ludwig-Maximilians-Universität München

Lisa Schmalzried

Oberassistentin
philosophischen Seminar der Universität Luzern

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