Wie viele Führungsebenen braucht man wirklich?

Personalmanagement

Audi baut eine ganze Führungsetage ab – wie verändert das Organisation und Kultur? Professor Jens Grundei von der Quadriga Hochschule klärt auf.

Audis neuer Vorstandsvorsitzender Bram Schot hat letzte Woche beschlossen, jede zehnte Führungsposition zu streichen. Was ist los bei Audi?
Jens Grundei: Ja, es soll nach Medienberichten eine ganze Führungsebene wegfallen. Im Vordergrund der offiziellen Begründung stehen die Erhöhung der Effizienz durch Kostensenkung und ein Kulturwandel hin zu mehr Dynamik.

Wie ist dieser Schritt aus organisationstheoretischer Sicht zu beurteilen?
Leitungsebenen dienen der Koordination. Das bedeutet, dass sie die Aktivitäten hierarchisch nachgelagerter organisatorischer Einheiten wie Unternehmensbereiche, Abteilungen und Stellen durch Planung auf einander abstimmen. Oder sie lösen gegebenenfalls auftretende Koordinationsprobleme durch ad hoc-Entscheidungen, falls neue Entwicklungen die Pläne als überholt erscheinen lassen – wir sprechen dann auch von Improvisation.

Die Frage, ob eine Leitungsebene verzichtbar ist oder nicht, wird daher besser als Frage formuliert. Soll die Koordination hierarchisch oder nicht-hierarchisch funktionieren? Im zweiten Fall kommen organisatorische Einheiten direkt beziehungsweise in Ausschüssen zusammen, um gemeinsam zu planen oder zu improvisieren.

Sind flache Hierarchien nicht stets vorzugswürdig, weil sie Unternehmen schneller machen? Man will doch auch verkrustete Führungsstrukturen aufbrechen.
Sowohl pauschale Urteile als auch Metaphern werden gerne verwendet, um Reorganisationen ins rechte Licht zu rücken. Beides verklärt aber den Blick für die komplexen Effekte, um die es hier geht. Ein Unternehmen braucht daher nicht grundsätzlich flache Hierarchien, sondern die richtige Anzahl Ebenen für eine effiziente Koordination. Fehlt es an Koordination zwischen Unternehmensbereichen, so können sogenannte Interdependenzen, also Abhängigkeiten zwischen den Bereichen, zu Problemen führen.

Aber steigen mit der Anzahl der Ebenen nicht auch die Kosten?
Richtig: Im Kern sind das Personalkosten und Koordinationskosten. Beides scheint im Falle von Audi wichtig zu sein. Man muss jedoch auch die mit dem Entfallen einer Ebene verbundenen Nebenwirkungen berücksichtigen, insbesondere also den Verlust an Koordination. Man kann sich ja auch einfach einmal fragen, warum zehn Prozent der Führungskräfte plötzlich überflüssig sein sollen – was haben die denn bislang gemacht?

Außerdem sollte man bedenken, dass auch eine Selbst-Koordination zwischen Unternehmensbereichen nicht ohne Aufwand daherkommt, auch wenn man hier heute zeitgeistig gerne von Collaboration spricht. Jeder, der selbst schon an Sitzungen von Planungsausschüssen teilgenommen hat, in denen gleichberechtigte Bereichsleiter selbstbewusst ihre Interessen vertreten, weiß, wie langwierig eine Konsenssuche sein kann.

Man sollte somit immer Gestaltungsalternativen und relevante Zielkriterien in Betracht ziehen. Leider sind die relevanten Wirkungsbeziehungen nicht immer so eindeutig. Ich erinnere daran, dass zum Beispiel Siemens in der Vergangenheit zur Erreichung ähnlicher Ziele schon Hierarchieebenen eingefügt als auch wieder entfernt hat.

Welche Folgen hat das Vorgehen für die Unternehmenskultur des Big Players?
Es ist fraglich, ob eine einzelne Maßnahme, auch wenn sie sehr markant ausfällt, sogleich die Unternehmenskultur verändert. Hierfür bedarf es der aufeinander abgestimmten Veränderung verschiedener Instrumente – neben der Organisation zum Beispiel auch von Anreizsystemen, Karrierewegen und so weiter. Gewisse Rückwirkungen kann die Maßnahme aber potenziell haben: Verringert sich die Leitungstiefe, so erhöhen sich unter sonst gleichen Bedingungen die Führungsspannen, was grundsätzlich für eine höhere Delegationsnotwendigkeit spricht. Es wird sich zeigen, ob Audi sich damit wunschgemäß entwickelt.

(c) Quadriga Hochschule Berlin
c Quadriga Hochschule Berlin

Prof. Dr. Jens Grundei ist Professor für Corporate Governance & Organization an der Quadriga Hochschule Berlin; er ist dort verantwortlich für das Vertiefungsprogramm „Organization Design“

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