Hohes Diskriminierungsrisiko bei Schwerbehinderung

Arbeitsrecht

Für öffentliche Arbeitgeber gelten bei Bewerbungen schwerbehinderter Kandidaten andere Verpflichtungen als für private. Gerade wenn ein Bewerber nicht offensichtlich ungeeignet ist, sollte nicht auf eine Einladung verzichtet werden.

Erneut hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) über einen Entschädigungsanspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) entschieden. Der mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehinderte Kläger hatte sich im Jahr 2013 auf eine Stellenausschreibung einer Stadt beworben. Die Stelle war als „Techn. Angestellte/n für die Leitung des Sachgebiets Betriebstechnik“ ausgeschrieben. In der Stellenbeschreibung hieß es insbesondere: „Wir erwarten: Dipl.-Ing. (FH) oder staatl. gepr. Techniker/in oder Meister/in im Gewerk Heizungs-/Sanitär-/Elektrotechnik oder vergleichbare Qualifikation. …Schwerbehinderte Menschen werden bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt“.

Der Kläger war ausgebildeter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer sowie staatlich geprüfter Umweltschutztechniker im Fachbereich „Alternative Energien“. Er bewarb sich auf die Stelle und fügte seinen Bewerbungsunterlagen zwar keine Zeugnisse, dafür jedoch einen ausführlichen Lebenslauf sowie seinen Schwerbehindertenausweis bei. Die Stadt erteilte dem Kläger eine Absage und verwies darauf, einen besser qualifizierten Bewerber ausgewählt zu haben. Zu einem Vorstellungsgespräch war der Kläger zuvor nicht eingeladen worden. Mit seiner Klage verlangte der Kläger deshalb wegen einer Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern. Er vertrat dabei die Auffassung, dass bereits aufgrund der fehlenden Einladung zu einem Vorstellungsgespräch davon auszugehen sei, dass die Ablehnung seiner Bewerbung wegen seiner Schwerbehinderung erfolgte. Die Beklagte bestritt dies und stellte insbesondere darauf ab, dass der Kläger für die zu besetzende Stelle offensichtlich ungeeignet gewesen sei.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 24. April 2014, Az. 21 Ca 8338/13) gab der Klage statt und sprach dem Kläger die begehrte Entschädigung zu. Das Landesarbeitsgericht Hessen (Urteil vom 2. Juni 2015, Az. 8 Sa 1374/14) bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts dem Grunde nach, reduzierte jedoch die Höhe der Entschädigung auf ein Bruttomonatsgehalt. Es führte in seiner Entscheidung insbesondere aus, dass die Beklagte den Kläger benachteiligt habe, indem sie ihn in die Auswahlentscheidung nicht mit einbezogen und ihm so eine Chance versagt habe.

Die Entscheidung:
Das BAG bestätigte die Entscheidung beider Vorinstanzen und sah hier ebenfalls die Vermutung begründet, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung abgelehnt und damit diskriminiert worden sei. Hierbei stellte das BAG insbesondere darauf ab, dass öffentliche Arbeitgeber wie die beklagte Stadt nach § 82 Satz 2 SGB IX dazu verpflichtet seien, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn diese nicht offensichtlich ungeeignet für die Stelle seien. Verstößt der öffentliche Arbeitgeber gegen diese gesetzliche Pflicht, begründet dies die Vermutung, dass der Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert wurde.

Um diese Vermutung zu widerlegen, muss der Arbeitgeber im Prozess konkrete Tatsachen dafür vortragen, dass der schwerbehinderte Bewerber tatsächlich offensichtlich ungeeignet für die Stelle war und deshalb keine Verpflichtung bestand, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Hierfür reicht es allerdings nicht aus, wenn lediglich Zweifel an der Eignung des Bewerbers bestehen; die fachliche Eignung muss vielmehr offensichtlich ausgeschlossen sein. So ging das BAG trotz der Tatsache, dass der Kläger seiner Bewerbung keine Zeugnisse beigefügt hatte, in diesem Fall nicht davon aus, dass dem Kläger die erforderliche fachliche Eignung offensichtlich gefehlt habe. Die in der Bewerbung des Klägers vorhandenen Angaben betrachte das BAG vielmehr als ausreichend, um eine offensichtlich fehlende Eignung zu verneinen, und bestätigte damit den Entschädigungsanspruch des Klägers.

Fazit:
Wenn sich schwerbehinderte Arbeitnehmer auf eine ausgeschriebene Stelle bewerben, gelten für öffentliche und private Arbeitgeber unterschiedliche Verpflichtungen. Während private Arbeitgeber schwerbehinderte Bewerber auch nach sogenannten weichen Kriterien bewerten können, dürfen öffentliche Arbeitgeber nur nach „harten Auswahlkriterien“ entscheiden, sonst droht ihnen der Vorwurf der Diskriminierung. Maßgeblich ist insbesondere die fachliche Eignung. Ist ein schwerbehinderter Bewerber demnach nicht offensichtlich ungeeignet für die Stelle, muss er auch zu einem Vorstellunggespräch eingeladen werden. Dies kann der öffentliche Arbeitgeber auch nicht umgehen, indem er die Stellenausschreibung – wie in diesem Fall – hinsichtlich der Anforderung so offen wie möglich formuliert. Dies ist für ihn sogar nachteilig, denn je ungenauer die Vorgaben in der Stellenausschreibung sind, umso schwieriger wird es später für den Arbeitgeber, sich bei der Frage nach einer Diskriminierung auf die angeblich fehlende Eignung des Bewerbers zu berufen.

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Joachim Huber, Foto: Privat

Joachim Huber

Dr. Joachim Huber ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Dr. Huber Dr. Olsen in München.

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