„HR muss sich breiter aufstellen“

Leadership

HR und andere Management-Funktionen wachsen immer mehr zusammen. Personaler müssen das Business kennen. Und in der Linie braucht man HR-Skills. Jörg Ritter postuliert das seit Jahren. Der Wissenschaftler und Egon Zehnder-Berater spricht im Interview darüber, wie HR sich profilieren kann und was das Besondere an dem MBA-Studiengang Human Resources and Leadership der Quadriga Hochschule ist, den er verantwortet.

Herr Professor Ritter, ich habe neulich in einem Artikel gelesen: „Man möchte nicht in der Haut eines Personalers stecken. Sie müssen Top-Manager finden, zugleich die Buchhaltung machen und den Mensa-Plan entwerfen. Kein Wunder, dass HR-Kräfte oft scheitern und einen miesen Ruf haben.“ Wie viele solcher Artikel, die auf HR einprügeln, haben Sie schon gelesen?
Sehr viele, vor allem in letzter Zeit. Man hat sich auf HR eingeschossen. Teilweise ist das unfair und undifferenziert. Man kann aber an der Kritik auch erkennen, dass HR-Positionen immer noch nicht mit generalistisch-geprägten Top-Führungskräften besetzt werden. Gleichzeitig verzeichnen wir einen Trend, dass Manager, die aus der Linie kommen und beispielsweise Leiter Vertrieb oder Leiter eines Werkes im internationalen Rahmen gewesen sind, zum Head of HR ernannt werden. Insbesondere bei Familienunternehmen und einer Reihe von größeren Unternehmen kann man das gegenwärtig beobachten. Diese Führungs-kräfte haben eine andere Sicht auf die HR-Funktion, richten ihr HR-Team anders aus und arbeiten auf Augenhöhe mit dem CEO und dem CFO zusammen.

Die Kaminkarriere in HR ist endgültig passé?
Ja, das ist so. Wir brauchen eine Rotation von guten HR-Experten und Führungskräften in andere Unternehmensfunktionen, denn leider verfolgen viele immer noch eine Kaminkarriere. Ich habe an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin unter anderem fünf Jahre einen Master mitgestaltet und mir sind sehr viele junge Menschen begegnet – insbesondere Studentinnen –, die von Anfang an das Ziel verfolgen, ihr Berufsleben in den Funktionsbereichen von HR verbringen zu wollen. Als wir argumentierten „Sie sollten auch in anderen Funktionsbereichen Erfahrungen sammeln“ wurde das eher als Risiko denn als eine Chance gesehen.

Sie haben mal gesagt, die Möglichkeiten zur Profilierung von HR waren nie größer als heute. Wo kann HR sich vor allem profilieren?
HR muss sich breiter aufstellen. Ein zukünftiger HR-Bereich definiert sich aus der Verantwortung als Architekt einer strategiekonformen Organisation sowie der proaktiven Identifizierung, Evaluierung und Entwicklung des dafür notwendigen Personals auf allen Ebenen. Das heißt, ein zukünftiger „Chief Organisation & People Officer“ ist zuständig für die Bereiche Organisationsentwicklung, Performance Measurement, Kommunikation, Legal & Compliance, Risk Management, IT und Infrastruktur und verantwortet ein effizient arbeitendes Shared Service Center. Hinzu kommen Aufgaben in bestimmten Gremien sowie ein von der Bedeutung zunehmendes Stakeholder-Management.

Geht es da auch um Innovation?
Sicherlich, absolut. Nehmen Sie das Thema der Digitalen Transformation. Nachdem fast alle Unternehmen E-Commerce-Channel etabliert haben, sind viele gegenwärtig dabei den Funktionsbereich Sales & Marketing auf einen digitalen Kundenzugang und Produktions-bereiche auf „4.0“ einzustellen. Letztlich werden sich aber die Geschäftssysteme insgesamt in den nächsten Jahren in vielen Unternehmen verändern, wofür aus meiner Sicht die Chance zur Transformation der HR-Bereiche selbst besteht. Auch die Tatsache, dass im Durchschnitt der Umsatzanteil an Forschung und Entwicklung in den meisten der sogenannten deutschen Hidden Champions in den letzten Jahren aus unterschiedlichen Gründen gesunken ist, sollte zu einem Weckruf in den Organisations- und HR-Abteilungen führen. Neue Formen wie ein Innovations-Campus, Startup-Allianzen, globale vernetzte Center of Excellence für Forschung und Entwicklung, etc. führen zu völlig neuen Anforderungen im Talent- & Diversity Management sowie in der Akzeptanz neuer Arbeitswelten innerhalb einer Unternehmenskultur.

Was ist in Zukunft noch HR? Es gibt zum einen immer mehr Schnittstellen zu den anderen Funktionen. Zum anderen übernehmen die Fachbereiche teilweise viele HR-Themen selbst. Was ist also die Identität von HR?
Ich finde das 1975 eingeführte „7S-Modell“ eine sehr treffende Beschreibung für das zukünftige Anforderungsprofil eines Organisations- und HR-Bereichs. Seine sieben Elemente Shared Values, Strategy, Style, Staffing, Skills, Structure und Systems sind miteinander untrennbar verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Diese sieben eine Organisation charakterisierende Elemente immer im grünen Bereich zu wissen, ist die Hauptaufgabe und – wenn Sie so wollen – die Identität von HR.

Die Verweildauer in einer Position ist bei Spitzenmanagern in den vergangenen Jahren stark gesunken. Woran liegt das Ihrer Meinung nach, dass sie immer kürzer im Amt sind? Hat das auch mit schlechtem Talent Management zu tun?
Ich glaube das nicht. Ich denke, die psychische und physische Belastung ist einfach enorm geworden. Zudem weiß man, dass es im Durchschnitt nach acht bis zehn Jahren aus unterschiedlichen Gründen sinnvoll ist, einen CEO-Wechsel einzuleiten. Dabei sehen wir sehr wohl Unterschiede zwischen börsennotierten und Familienunternehmen. Bei Letzteren ist die gewollte Verweildauer eines CEO im Durchschnitt länger, was besondere Anforderungen an die Kandidatenauswahl stellt. Blickt man auf die vergangenen acht Jahre zurück, dann musste ein Unternehmenschef in diesem Zeitraum zunächst einmal eine der härtesten Wirtschaftskrisen aller Zeiten managen, was zu nicht einfachen Kapazitätsanpassungen und Reorganisationsprojekten geführt hat. Danach kamen die zweite und die dritte Welle der digitalen Transformation auf ihn und die Organisation zu. Nicht zu vergessen die steigende Anzahl politischer Krisenherde und der Druck neuer Wettbewerber in den Wachstumsmärkten unserer globalen Welt. Diese gestiegene Komplexität verlangt eine ständige Anpassung der Organisationsstrukturen und die Erlangung notwendiger Kompetenzen durch Führungskräfte und Mitarbeiter. Allein daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer neuen Dimension für HR und die Forderung eines neuen Zuschnitts dieses Funktionsbereichs.

Sie sind nicht nur Berater bei Egon Zehnder, sondern auch Professor an der Quadriga Hochschule Berlin. Dort verantworten Sie unter anderem einen neuen MBA-Studiengang für Leadership & Human Resources, der im September startet. Warum trägt der Studiengang beide Begriffe im Namen? Konnten Sie sich nicht für eine Richtung entscheiden?
Das Angebot an Leadership orientierten, kommunikationsbasierten sowie berufs-begleitenden MBAs ist ein Markenkern der Quadriga Hochschule. Wenn Sie in unser Curriculum schauen, dann sehen Sie viele Leadership bezogene Module, wodurch wir in den Interviews mit den Kandidaten gefordert sind, auf bestehende Führungserfahrungen und Leadership-Potenzial besonders zu achten. Im Studium werden dann unter anderem Techniken, Instrumentarien, Methodiken und insbesondere Business Cases entlang der gesamten Wertschöpfungskette gelehrt, mit denen die Absolventen in die Lage versetzt werden, eine Organisation strategiekonform auszurichten, effizient arbeitende Teams zu bilden, unterschiedlichste Anforderungsprofile für Positionen besser zu verstehen sowie Mitarbeiter und Führungskräfte kontinuierlich kompetenz- und potenzialbasiert evaluieren und weiterzuentwickeln zu können. Der Begriff Human Resources in der MBA-Bezeichnung ist deshalb nicht nur für Personaler interessant, sondern soll Nachwuchsführungskräften aus anderen Funktionen das notwendige Rüstzeug an die Hand geben, ihre Führungsverantwortung im Bereich Vertrieb, Supply Chain Management oder Produktion funktionsübergreifend besser wahrnehmen zu können.

Ist ein Studiengang mit so einem Titel auch eine Botschaft, nämlich zu sagen, dass eine Trennung zwischen Leadership und HR keinen Sinn macht beziehungsweise dass HR einen Führungsanspruch stellen sollte?
Ja, das ist durchaus eine Message, vor allem an HR. Ich bin davon überzeugt, dass wir in diesem Funktionsbereich dringend eine Weiterentwicklung in der von mir skizzierten Form benötigen. Meinungen wie „Wir brauchen kein HR“ beziehungsweise „Das kann der CFO im Rahmen eines Shared Service Bereiches mitübernehmen“ stehen aus meiner Sicht im groben Widerspruch zu den Anforderungen unserer Zeit. Aber die für die Organisations- und HR-Bereiche zuständigen Führungskräfte benötigen eine generalistische Business-Erfahrung, um HR zu einem wirklich akzeptierten Business Partner entwickeln zu können. Gerade in diesem Studiengang, der von exzellenten Führungskräften aus allen Wertschöpfungsfunktionen und Branchen im Rahmen eines Beirats mitverantwortet und -gestaltet wird, bestehen die Vorrausetzungen diese Absolventen zu derartigen Führungskräften für ihre Unternehmen entwickeln zu können.

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