Im Neuland vernetzt

Future of Work

Online-Kurse mit tausenden Teilnehmern können die Fort- und Weiterbildungskultur in Unternehmen revolutionieren. Doch dazu müssen sich zunächst die HR-Manager einem Wandel unterziehen.

Birgit Klesper hat ihren Mitarbeitern erst einmal großzügig Urlaub bewilligt. „Das hatten sie sich richtig verdient“, sagt die Managerin, die bei der Telekom stellvertretende Leiterin des Bereichs Transformational Change ist, so etwas wie ein Versuchslabor für neue Erkenntnisse in der betrieblichen Fort- und Weiterbildung. Klespers Team, das aus Personalern, Vertrieblern und Marketing-Experten besteht, hatte an Deutschlands erstem Corporate Massive Open Online Course (MOOC) manches Mal bis spät in den Abend hinein gearbeitet: Die Telekom-Mitarbeiter konzipierten Video-Vorträge von Experten, betreuten die Teilnehmer online und luden Fragebögen und Knobelaufgaben hoch.

Das Telekom-Team sammelte erste Erfahrungen damit, eine riesige digitale Fortbildungsserie zu organisieren. Die Anzahl der Teilnehmer war nach oben offen. Jeder Telekom-Mitarbeiter durfte mitmachen. „Wir rechneten mit nicht mehr als 500 Teilnehmern“, erinnert sich Klesper. Letztendlich nahmen 3.600 der über 200.000 Mitarbeiter teil, die weltweit für die Telekom tätig sind. „Wir haben Neuland bei der Mitarbeiter-Fortbildung betreten“, beurteilt Klesper ihre Erfahrung mit dem Kurs, der nach dreimonatiger Laufzeit am 30. Juni endete.

MOOCs sind eine noch junge, aber für Unternehmen und Universitäten vielversprechende Form der Lehre. Die Online-Kurse, bei denen Teilnehmer statt im Hörsaal vor dem Laptop sitzen, entstanden vor zwei Jahren an amerikanischen Universitäten. Seitdem locken die kostenlosen Uni-Veranstaltungen Teilnehmer aus aller Welt, an Kursen von Hochschulen weltweit teilzunehmen, ohne ins Flugzeug steigen zu müssen. Besonders beliebt sind Kurse von Star-Professoren aus amerikanischen Elite-Universitäten wie Harvard und Stanford. Sie halten MOOCs mit über 150.000 Teilnehmern.

Viele Experten sagen: Solche Online-Kurse werden die Art, wie und wo Menschen lernen, in Zukunft radikal verändern. Deshalb versuchen mit ihnen seit Kurzem auch Unternehmen, ihre Fort- und Weiterbildungsprogramme zu revolutionieren. Sie wollen ihr E-Learning aufwerten – oder gleich ganz ersetzen. Denn MOOCs bieten die Möglichkeit zur Zusammenarbeit und Vernetzung unter den Mitarbeitern. Diese Interaktion gepaart mit elektronischer Wissensvermittlung ist dem klassischen E-Learning bei Weitem überlegen, das im Ruf steht, nur die digitale Variante vom verstaubten Büffeln im Schulbuch zu sein.

Besonders IT-Unternehmen wie Google sind bei der digitalen Wissensvermittlung für ein Massenpublikum Vorreiter. In Deutschland bietet SAP mit „openSAP“ eine Lernplattform, auf der Anwender weltweit den Umgang mit SAP-Programmen trainieren können.

Digitale Unterrichtsräume und Vernetzung

Ein MOOC ist also eine Veranstaltung im Internet, bei der tausende Teilnehmer Online-Vorträgen von Experten folgen, Aufgaben bearbeiten und an gemeinsamen Projekten zusammenarbeiten können. MOOCs lassen sich in zwei verschiedene Arten einteilen: Bei extension MOOCs, sogenannte xMOOCs, nehmen Lernende an einer digitalen Vorlesungsreihe teil und müssen am Ende eine Prüfung bestehen. Der Hörsaal wird dabei in den digitalen Raum erweitert (daher der Namenszusatz „extension“). Bei cMOOCs, auch connectionist MOOCs, geht es um die Vernetzung und Zusammenarbeit unter den Teilnehmern. Die cMOOC-Veranstalter begleiten dabei den Kurs, indem sie Material zur Verfügung stellen, als Ansprechpartner fungieren und moderieren.

Noch Zukunftsmusik, aber durchaus beachtenswert, sind Personalized Open Online Courses. Bei den sogenannten POOCs soll jeder Lernende durch individuell gestaltete Aufgaben in seinem Tempo ans Ziel kommen – nicht in dem Tempo, das der Dozent vorgibt. Die Aufgabengestaltung könnte dabei ein Computer-Algorithmus übernehmen, der den Fortschritt der Lernenden registriert und daran die Schwierigkeit der nachfolgenden Aufgaben bemisst.

Laut einer Studie der amerikanischen Unternehmensberatung Software Advice hegen bereits Mitarbeiter vieler Unternehmen Interesse, sich über MOOCs fortzubilden. Personaler könnten die Video-Vorlesungen sogar nutzen, um gegen den Fachkräftemangel vorzugehen. Denn vor allem junge Arbeitnehmer könne man mit den Online-Kursen begeistern, verkünden die Studienmacher: Für rund die Hälfte der Befragten zwischen 18 und 34 Jahren böten Corporate-MOOCs einen Anlass, sich bei einem bestimmten Arbeitgeber zu bewerben. Sind MOOCs also eine Win-Win-Situation für Angestellte und Personaler? Lernen Mitarbeiter bald alle nur noch in digitalen Veranstaltungen und brüten gemeinsam mit Kollegen weltweit über Aufgaben?

Nein, meint Armin Weinberger, Professor für Bildungstechnologie an der Universität des Saarlandes. „Viele Unternehmen müssen erst einmal die nötigen Voraussetzungen erfüllen.“ Damit Unternehmen MOOCs zur Fortbildung nutzen können, müssen Personaler umdenken und Altgewohntes zurücklassen: „Unternehmen brauchen Bildungstechnologen im Personalwesen, die Inhalte multimedial aufbereiten und Online-Umgebungen für vernetztes Lernen gestalten können“, sagt Weinberger. HR-Manager müssten demnach zu Begleitern der Lernenden werden.

Zugang zu geeigneter IT ist Voraussetzung

Wie nötig das Know-how in der Bildungstechnologie für den Erfolg eines Online-Kurses dieser Größe ist, hat auch Telekom-Managerin Klesper bei der Organisation ihres MOOCs erfahren. Etwa als sie mit ihrem Team vor der Herausforderung stand, Teilnehmer, die auf der ganzen Welt arbeiten, in 140 Arbeitsgruppen aufzuteilen. Nicht alle sprachen gleich gut Englisch, was die Kommunikation erschwerte. Und nicht nur die Teilnehmer brauchten Anleitung, sondern auch das Lehrpersonal: „Manche Dozenten wollten eine einstündige Vorlesung halten“, konstatiert die Telekom-Managerin. „Viel zu lang für eine Online-Vorlesung.“ Gemeinsam mit den Lehrenden hat Klespers Team dann Vorträge konzipiert, die Botschaften in kurzen Videos vermitteln. Sie waren täglich damit beschäftigt, zu beraten, zu koordinieren und zu motivieren.

Für einen MOOC brauchen Unternehmen zunächst Zugang zu geeigneter IT. Es gibt mehrere Plattformen, auf denen Universitäten und Unternehmen Online-Kurse veranstalten können. Zu den bekanntesten Anbietern zählen Coursera und Udacity. Mittlerweile gibt es auch erste deutsche Plattformen, etwa Iversity. Die Telekom kooperiert mit der Leuphana Universität Lüneburg und dem MOOC-Anbieter Candena, bei dem Unternehmen nur die technische Infrastruktur einkaufen und ihr eigenes Corporate Design nutzen können.

Die konzeptionelle Arbeit blieb bei Klespers Team. Die Telekom-Mitarbeiter mussten dabei radikal von dem Kurs abweichen, wie Fortbildungen für Angestellte sonst häufig in Unternehmen veranstaltet werden: Anstelle eines klassischen Seminars mit einem hochkarätigen Experten und Klassenraumatmosphäre entwickelte Klesper mit ihren Kollegen ein individuelles Curriculum mit verschiedenen Themen – von der Strategie der Telekom bis zu Kundenorientierung und Corporate Responsibility. Außerdem brauchte es für jedes Thema Redner und Aufgaben, die die Mitarbeiter gemeinsam lösen mussten. Ein ganzes Seminar im Internet – für tausende Teilnehmer.

MOOCs ermöglichen trotz der unpersönlichen Natur des Internets gemeinsames Lernen für sehr viele Teilnehmer. Entscheidend für den Erfolg ist dabei das Konzept. Die Telekom veranstaltete einen Mix aus xMOOC und cMOOC, einen sogenannten hybriden MOOC. Wie bei einem xMOOC konnten Mitarbeiter dabei Video-Vorlesungen von internen und externen Experten sehen. Darüber hinaus mussten sie sich über das hauseigene soziale Netzwerk verbinden und gemeinsam Aufgaben lösen. Ein typisches Feature von cMOOCs. „Unsere Mitarbeiter haben sich so fortbilden können und dabei weltweit Know-how geteilt“, erklärt Klesper. „So haben sie sich noch nie zuvor kennenlernen können.“

Zusammenarbeit, Vernetzung und standortunabhängiger Wissenstransfer unter den Teilnehmern sind die größten Vorzüge einer interaktiven Online-Veranstaltung gegenüber dem klassischen E-Learning. Schließlich kritisieren Experten am E-Learning immer wieder, dass ein Großteil der Übungen auch ohne Computer funktioniere. Aufbau und Aufgabenstellungen gleichen oft denen eines Schulbuchs – nur pauken die Lernenden am Bildschirm, nicht im Heft.

Der Anteil der Teilnehmer, die den Kurs bis zu Ende verfolgten, lag beim Telekom-MOOC laut eigenen Angaben bei 72 Prozent. Das ist eine sehr hohe Zahl im Vergleich zu anderen MOOCs, besonders denen, die als xMOOCs, also als reine Video-Vorlesung, angeboten werden. Viele Interessenten treten trotz Anmeldung gar nicht erst an. Oft bricht zudem über die Hälfte der Lernenden vor Ende des Kurses ab. „Die größte Herausforderung ist es, die Teilnehmer zum stetigen Weiterlernen anzuhalten“, sagt Wissenschaftler Weinberger. Denn wie beim E-Learning müssen MOOC-Teilnehmer selbstorganisiert lernen.

An diesem Problem setzt Weinbergers Forschung an. Er entwickelt Strukturen für kooperatives Lernen. „Dozenten von großen Kursen können nicht jeden Lernenden persönlich anleiten“, sagt der Bildungsforscher. Besonders nicht bei Online-Kursen mit mehreren tausend Teilnehmern. Weinberger möchte daher, dass sich Lernende untereinander weiterhelfen. Etwa indem Dozenten Einzelaufgaben vergeben, die jeder Lernende allein bearbeitet und die Ergebnisse dann gemeinsam mit anderen Teilnehmern auswertet. Oder mit dem sogenannten Peer Grading. Dabei bewerten Lernende die Hausaufgaben ihrer Kollegen und geben sich gegenseitig Verbesserungsvorschläge. „Lernende brauchen Anleitung und ein gewisses Maß an Struktur zum richtigen Zeitpunkt“, sagt Weinberger. „Nur so können sie letztlich selbstgesteuert weiterlernen.“

MOOCs bieten dabei eine gute Möglichkeit, Teilnehmern Selbstkontrolle zu bieten. Denn MOOC-Macher können per Datenanalyse ihren Teilnehmern den Lernprozess verdeutlichen. Mit sogenannten Knowledge-Awareness-Tools kann man zum Beispiel die Zeit analysieren, die Teilnehmer mit dem Lernen verbringen. In einem Ranking können sie sich miteinander vergleichen und erhalten eine Nachricht, wenn sie das Training haben schleifen lassen – ein digitaler Tritt in den Hintern.

Unternehmen sollten Kontrollverlust riskieren

Ungefähr so macht es auch Microsoft. Seit vergangenem Jahr bietet das IT-Unternehmen Online-Schulungen über die Microsoft Virtual Academy (MVA) an. Die Kurse richten sich an Programmierer und IT-Profis, die Programme und Apps für Windows-Betriebssysteme schreiben – und auch Neueinsteiger können dort kostenlos das Programmieren lernen. Die mehr als 48.000 in Deutschland registrierten Teilnehmer hält Microsoft am Ball, indem das Unternehmen sie für die Teilnahme mit Punkten belohnt. In einem Ranking werden die Top-Teilnehmer aufgeführt. „So können sich Teilnehmer untereinander vergleichen“, erklärt Dennis Gassen, der die deutschen Microsoft-Online-Schulungen betreut. „Der Wettbewerb spornt an, weiter zu machen.“

Im Gegensatz zum Telekom-MOOC sind die Kurse von Microsoft frei für jeden zugänglich. Zusätzlich bietet Microsoft Live-Events an, bei denen Experten Vorlesungen halten. Allerdings arbeiten die Teilnehmer in den Kursen immer alleine. Sie können auf der Plattform nicht zusammenarbeiten. Jochen Robes, Berater für Corporate Learning, hält das für zu kurz gedacht. „Nur Videos zu zeigen ist nichts anderes als klassisches E-Learning“, meint Robes. „Unternehmen sollten den Teilnehmern zusätzlich die Möglichkeit geben, sich untereinander zu vernetzen.“ Der Telekom-MOOC sei ein mutiges Einzelbeispiel. Viele Unternehmen wagten laut Robes diesen Schritt noch nicht. Die Vernetzung der Teilnehmer bedeutet stückweit die Kontrolle über die Inhalte zu verlieren. Robes rät Personalern diesen Kontrollverlust zu riskieren: „Nur so entsteht ein Mehrwert.“

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Marvin Milatz

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