„Kommunikation für eine sehr kleine Zielgruppe“

Recruiting

Christine Dingler, im Web auch bekannt als Punktefrau, hat ihr Stellengesuch über Social Media verbreitet. Heute arbeitet sie beim Schweizer Unternehmen Digitalstrom. Im Interview sprechen sie und ihr neuer Chef Martin Vesper über verändertes Recruiting in Zeiten von Blogs und Co. und über die Rolle der Personalabteilung dabei.

Frau Dingler, Sie haben Ihre Jobsuche auf Ihrem Blog veröffentlicht und über Social Media verbreitet. Warum?
Christine Dingler: Ich habe erst auf dem klassischen Bewerbungsweg nach einem neuen Job gesucht, dabei aber relativ schnell festgestellt, dass es sehr schwierig ist, den Anforderungen der Unternehmen zu entsprechen. Und man hat ja auch gewisse Vorstellungen von einem Job und von dem Umfeld, in dem man arbeiten möchte. Ich habe einfach auf diese Weise nicht das Passende gefunden. Daher war es für mich die logische Konsequenz, zu sagen, ich versuche einen anderen Weg und suche in dem Umfeld, in dem ich später auch arbeiten möchte.

Was war am schwierigsten bei dieser Art der Bewerbung?
Dingler: Man muss sich zunächst sehr klar darüber werden, was man sucht und dann in der Lage sein, dieses Stellenprofil zu verschriftlichen. Dann muss man einen passenden Weg finden, dies so zu kommunizieren, dass es die Unternehmen anspricht und man die Reichweite bekommt, die es braucht, um potenzielle neue Arbeitgeber anzusprechen.

In Ihrem Fall war die Resonanz enorm. Haben Sie das so abschätzen können?
Dingler: Nein, mit dieser Reichweite habe ich nicht gerechnet, aber man initiiert so eine Bewerbung ja, weil man darauf setzt, dass die sich viral verbreitet. Das ist das Ziel.

Herr Vesper, Frau Dingler hat über diesen Weg in Ihre Firma gefunden. Wie sind Sie auf sie aufmerksam geworden?
Martin Vesper: Eva Heringhaus, die Leiterin unserer Unternehmenskommunikation, ist über die sozialen Kanäle auf das Jobgesuch von Christine Dingler aufmerksam geworden und hat mich dann direkt kontaktiert, weil sie Frau Dingler und ihr offensichtliches Talent für Social Media für unser Unternehmen gewinnen wollte.

Und Sie waren in dem Moment tatsächlich auf der Suche nach einem Social-Media-Experten?
Vesper: Wir haben gesucht, ja. Aber wir rekrutieren generell schon ein bisschen anders. Wenn wir Kapazitäten in einem bestimmten Bereich benötigen, dann geht es uns darum, die entsprechenden Talente zu finden. Und wenn wir die haben, schneiden wir die Stellenprofile auf die Leute zu.

Was hat Sie dann an der Bewerbung von Frau Dingler so angesprochen, dass Sie sie kontaktiert haben?
Vesper: Dass sie einen anderen Weg gefunden hat, um ihre Zielgruppe zu erreichen. Sie hat sich Gedanken gemacht, das merkte man. Und wenn man in der Kommunikationsbranche arbeitet, geht es eben genau darum. Frau Dingler hat mit ihrer Bewerbung gezeigt, dass sie sehr gut kommunizieren kann und weiß, wie sie die Social Media Kanäle nutzen muss, um ihr Ziel zu erreichen.

Nun hatte Frau Dingler geschrieben, dass sie gern im Raum Köln bleiben wollte. Digitalstrom sitzt in der Schweiz. War das kein Problem?
Vesper: Die räumliche Dimension ist heute gar nicht mehr so maßgeblich. Wir suchen gute Mitarbeiter immer im gesamten europäischen Raum, obwohl unser Firmensitz in der Schweiz ist. Denn in Tätigkeiten, in denen man viel unterwegs ist, spielt der Bürostandort heute eigentlich keine Rolle mehr. Man nutzt die verschiedenen Medien, um Kontakte zu Kollegen aufrecht zu erhalten. Das erlaubt uns den Zugriff auf Ressourcen, die man sonst nicht kriegen würde. Dieses Modell gilt natürlich nur für die Positionen in unserem Unternehmen, bei denen die Aufgaben keine ständige Präsenz vor Ort und im Team erfordern.

Haben Sie das Gefühl, dass über die Bewerbung via Social Media der „Fit“ zwischen Arbeitnehmer und -geber leichter zu finden ist?
Dingler: Definitiv. Man selektiert stärker und kommuniziert auf eine sehr kleine Zielgruppe hin. Dessen muss man sich bewusst sein. Denn allein dadurch, dass ich nur online rekrutiere, liest meine Ausschreibung nicht jeder. Aber wenn ich in dieser Form schon ganz klar meine Anforderungen skizziere, wird mich auch nur derjenige kontaktieren, den das, was ich anzubieten habe und was ich will, anspricht.

Heißt das, dass Sie jetzt öfters auf Social Media nach neuen Mitarbeitern suchen?
Vesper: Social Media funktioniert nicht wie eine Suchmaschine. Man ist vernetzt. Und der virale Effekt ist ja eben der, dass man so etwas wie die Jobsuche von Frau Dingler zugetragen bekommt. Von daher ist der Begriff „Suche“ nicht ganz passend. Das tun Sie bei Google oder bei Monster. Aber grundsätzlich suchen wir geeignete Mitarbeiter auch in sozialen Medien und sind selbst auch dort präsent, wenn wir Talente suchen.

Frau Dingler, Sie haben am Anfang gesagt, dass Sie sich auch auf klassischem Wege beworben haben. Was sehen Sie als entscheidend dafür an, dass es auf diese Art nicht geklappt hat, Ihre Social-Media-Bewerbung dann aber so erfolgreich war?
Dingler: Ich glaube, die Zielgruppe ist auch da entscheidend. Und klassische Bewerbungen landen per se immer in der Personalabteilung. Da ist meine Erfahrung, dass die meisten Personaler die Kompetenzen, die Stellen im Online-Bereich erfordern, nur schwer abschätzen können. Sie können nicht richtig beurteilen, welche Qualifikationen jemand mitbringt und wo er Stärken und Schwächen hat. Das ist für sie weniger greifbar, als wenn sie beispielsweise einen Vertriebler suchen sollen.

Meinen Sie, dass diese Art der Bewerbung jetzt einen Hype erfahren wird?
Vesper: Auf jeden Fall. Viele Prozesse werden durch das Web immer direkter. Das gilt auch für den Bereich des Recruiting. Ich werde viel eher auf Menschen aufmerksam, die „öffentlich“ sind, weil sie beispielsweise Blogs haben. Dann sehe ich auch, dass sie auf Stellensuche sind. Findet man dann als Firma und Mensch zusammen, kommt die Personalabteilung anschließend dazu, um den Einstellungsprozess zu finalisieren. Wir nehmen quasi eine Instanz raus beim Prozess des Suchens und Bietens.

Die Personalabteilungen werden also unwichtiger?
Vesper: Nein, das bedeutet nur, dass sie beim Thema Talentsuche weniger involviert sind, anders gesagt, dass sich der jeweilige Fachbereich, der auf der Suche nach Unterstützung ist, viel direkter um die Rekrutierung kümmern muss. Die weitere Betreuung, sei es die Gehaltsabrechnung oder vertragliche Themen, erfolgt natürlich nach wie vor durch die Personalabteilung. Aber das Besetzen von offenen Stellen im Sinne des Findens von Talenten ist etwas, das direkter stattfindet.

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Kathrin Justen

Kathrin Justen ist Verantwortliche für People and Culture bei der Digitalberatung Digital Dna und arbeitet nebenberuflich als freie Journalistin.

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