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Leadership

Wenn jemand neu in ein Unternehmen kommt, besteht immer die Gefahr, dass er den unterschiedlichen Ansprüchen wider Erwarten nicht gewachsen ist. Oft trägt die Organisation eine Mitschuld daran.

Ja, es gab einen gewissen Medienhype um sie. Angelika Dammann war die erste Frau im SAP-Vorstand. Sie wurde als Powerfrau bezeichnet und als Managerin des Jahres gekürt. Sie war zu Gast bei „Hart aber Fair“ und schaffte es in die Bild. Auf dem Onlineportal der Zeitung konnte man im März 2011 zu ihrer Person Begriffe lesen wie: „Super-Karriere-Frau“ und „die neue Miss Wirtschaft“. Doch schon rund drei Monate später trat sie als Personalchefin des Software-Konzerns zurück – nach etwas mehr als einem Jahr in dem Job. Angelika Dammann ist bei SAP gescheitert. Es steht außer Frage, dass sie eine hervorragende HR-Managerin ist. Vor SAP war sie Personalchefin und Arbeitsdirektorin bei Unilever in Hamburg. An ihren fachlichen Fähigkeiten hat es nicht gelegen. Warum hat sie also hingeschmissen? Dazu schrieb sie damals in einem persönlichen Schreiben an die Mitarbeiter: „Die Ereignisse dieser Woche haben mich zutiefst getroffen, habe ich Euch und die SAP doch so erlebt, dass man sich gegenseitig unterstützt und an einem Strang zieht, nicht aber beschädigt.“ In einem späteren Interview bedauerte Dammann die öffentliche Diskussion über Details ihres Arbeitsvertrages. Diese würde sowohl für SAP als auch für sie selbst eine Belastung darstellen.

Besetzung mit Hilfe von Headhuntern

„Ein Detail“ betraf zum Beispiel die regelmäßige Nutzung des Firmenjets für die Flüge zu ihrem Wohnort in Hamburg. Dafür musste sie jede Menge Kritik einstecken. Ihr wurde vorgeworfen, die Bodenhaftung verloren zu haben.

Niemand scheitert allein. Wenn die Erwartungen und Ansprüche sich nicht erfüllen, ist in der Regel die ganze Organisation Schuld. Und gerade bei der Rekrutierung einer Spitzenmanagerin wie Dammann dürfte sich der Konzern die Personalauswahl nicht leicht gemacht haben. Denn „etwa 80 Prozent aller Spitzenmanager-Positionen werden mit Hilfe von Headhuntern besetzt, was in der Regel einen systematischen Suchprozess bedeutet“, sagt Walter Jochmann, Geschäftsführer von Kienbaum Management Consultants.

Ein ausgeklügeltes Suchverfahren ist letztendlich jedoch nur ein – wenn auch wichtiges – Element. „Gerade auf der Board-Ebene kann man schnell politische Fehler machen“, sagt Jochmann. Wenn Unternehmenskulturen sehr stark sind, sei es für Neuankömmlinge nicht einfach, hineinzufinden, so der Kienbaum-Geschäftsführer.

Starke Firmenkulturen sind ein Hindernis

Interessant in dieser Hinsicht ist, dass Angelika Dammanns Nachfolgerin Luisa Deplazes Delgado ebenfalls ziemlich schnell bei dem Software-Konzern die Segel gestrichen hat. Innerhalb von zwei Jahren musste SAP damit den Abschied von zwei Personalchefinnen hinnehmen. Vielleicht ein Indiz für eine nicht wirklich tolerante Unternehmenskultur?

Ganz allgemein haben es Leute von außen immer schwerer, als wenn die Position intern besetzt wird. Auch die Organisation tut sich natürlich leichter mit Mitarbeitern, die schon vertraut sind. Wenn Leute von draußen kommen, liege die Wahrscheinlichkeit, dass das Arbeitsverhältnis nicht länger als zwei Jahre dauert, bei 20 bis 30 Prozent, sagt Jochmann. Von wem die Kündigung ausgeht, hält sich dabei die Waage. Bei internen Besetzungen minimiert sich das Risiko um die Hälfte.

„Derjenige, der von außen kommt, hat das Problem, dass ihm Netzwerke fehlen, es fehlt der Stallgeruch. Das ist ein Handicap“, sagt der Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning, der als Professor an der Hochschule Osnabrück lehrt. Doch manchmal würde genau dieser fehlende Stallgeruch einem Unternehmen vielleicht guttun. Der Neue bringt neue Perspektiven mit und „stellt eventuell Dinge in Frage, die in der Organisation von allen schon lange einfach hingenommen werden“.

Nichtsdestotrotz liegen wesentliche Gründe für das Scheitern eines Managers oft auch in der Person selbst. Kanning betont, dass Studien hierzu immer wieder ähnliche persönliche Defizite zutage gebracht haben. Mängel in der sozialen Kompetenz zum Beispiel, in der Personalführung oder in den Managementfähigkeiten. In jedem Fall seien das in den meisten Fällen Kriterien, die in einer Personalauswahl abgeklopft werden müssten, sagt Uwe Kanning. Der Psychologieprofessor hält die Personalauswahl aus diagnostischer Sicht in vielen Unternehmen für mangelhaft. Oft würde nur aus vergangenen Erfolgen des Kandidaten der zukünftige Erfolg abgeleitet. Dabei sei eine ganz wichtige Basis das Durchführen von Anforderungsanalysen. Bei der Mehrheit der mittelständischen Unternehmen fehle diese beispielsweise, sagt Kanning. „Oder man beschränkt sich darauf, dass sich das jemand ausdenkt. Da werden dann immer wieder dieselben unspezifischen Dimensionen benutzt wie zum Beispiel ‚führen können‘. Richtiger wäre zu fragen: Was bedeutet Führung bei uns?“

Keine realistische Aufgabenbeschreibung

Markus Frosch, Partner der Talent Management-Beratung Promerit, sieht die angewandten diagnostischen Verfahren als überbewertet. „Das ist oft eine sehr akademische Übung, über theoretische Konstrukte versucht man Persönlichkeit und Kompetenzen zu bestimmen“, sagt er. Vieles werde jedoch gar nicht ausgeleuchtet: Was sind eigentlich die Präferenzen der Kandidaten? Sind private und berufliche Herausforderungen in der Kombination zu bewältigen? Hinzu komme, dass von Seiten des Arbeitgebers häufig keine realistische Aufgabenbeschreibung vorgenommen werde, betont Markus Frosch. Die Diagnostik stößt in seinen Augen also zwangsläufig an Grenzen. Deshalb spielt für ihn die Probezeit eine viel größere Rolle. „Und da müssen Kandidaten enger begleitet werden.“ Das gilt für alle Neuankömmlinge – insbesondere jedoch für Jungmanager.

Bei dem Süßwarenhersteller Ferrero versucht man den Neuen diese Unterstützung zu geben. Möglich ist in dem Unternehmen eine vierwöchige Einarbeitung. „In dieser Zeit kommt der neue Mitarbeiter mit den Stakeholdern zusammen und er kann in unterschiedliche Bereiche reinschauen, für die er vielleicht gar nicht zuständig ist, die aber für das Unternehmen von großer Bedeutung sind“, erklärt Head of Talent Management Frauke Hofsommer, „das ist für das Gesamtverständnis wichtig und es entstehen Kontakte, die später für ein schnelles Funktionieren nötig sind.“

Doch nicht jeder neue Mitarbeiter kommt bei Ferrero in den Genuss einer solchen Einarbeitungszeit, in der er mehr über die Schnittstellen lernt und über den Tellerrand hinausschauen kann. „Das hängt sehr von der Führungskraft ab, ob sie das zulässt und bei HR hinsichtlich einer Unterstützung bei der Einarbeitung anfragt.“ Nicht jede Führungskraft macht das.

Dabei kommt es generell gerade auf die Integrationskraft des Vorgesetzten an, wenn der oder die Neue erfolgreich im Unternehmen ankommen soll. Die Führungskraft muss dem Mitarbeiter klar machen, dass man aktiv nachfragen und Beziehungen gestalten sollte. Gleichzeitig muss sie aber auch bereit sein, neue Impulse des Mitarbeiters aufzunehmen und ihm Zeit zu geben.

Und die Organisation könnte zusätzlich einen Mentor an die Seite stellen. „Gerade Nachwuchsführungskräfte brauchen einen Kulturversteher“, sagt Frauke Hofsommer, „der kann zum Beispiel etwas zu den ‚Hidden Agendas‘ sagen, die es in jedem Unternehmen gibt oder wie mit bestimmten Erwartungen umzugehen ist.“ Besonders junge Menschen tun sich nämlich schwer, zu verstehen, dass nicht alle Erwartungen gleichbedeutend mit Aufgaben sind und versuchen alles zu erfüllen. Grundsätzlich gilt, wovon Hofsommer und wohl auch andere Experten überzeugt sind: „Auch die Organisation scheitert, wenn sie es nicht schafft, das Individuum zu befähigen, anzukommen und in dem Job Leistung zu bringen.“

Auf dem Karriereweg hilft Selbstreflexion

Mentoren-Programme sind in immer mehr Unternehmen zu einem unverzichtbaren Instrument der Personalentwicklung geworden, von dem auch Mitarbeiter profitieren, die schon länger im Unternehmen sind. Denn grundsätzlich können auch Nachwuchsführungskräfte, die das Unternehmen schon lange kennen, scheitern, wenn sie auf eine neue Position wechseln beziehungsweise mehr Verantwortung bekommen. „Menschen streben danach, den nächsten Schritt zu machen“, sagt Markus Frosch, „sie unterschätzen jedoch häufig, was das bedeutet.“ Der Berater kann deshalb dem Personalentwicklungskonzept des Jobenrichment beziehungsweise der Stretch-Jobs viel abgewinnen. Dabei gibt man einem Mitarbeiter mehr Aufgaben, um zu schauen, ob er damit zurechtkommt.

Zudem hilft beim weiteren Karriereweg sicherlich ebenfalls ein gesundes Maß an Selbstreflexion. Gerade bei vielen Mitarbeitern, die am Anfang ihrer Karriere stehen, gibt es da Nachholbedarf. Die Förderung der Selbstreflexion spielt im Rahmen der Personalentwicklung von Unternehmen eine große Rolle. Dabei sollen sich die jungen Menschen Fragen stellen wie: Was macht mich stark? Wie stelle ich mir meine Zukunft vor? Wie kann ich Wirkung erzeugen? „Ein hoher Grad an Selbstreflexion ist gut, um sich vor möglichem Scheitern besser zu schützen“, ist sich Frauke Hofsommer sicher. „Wenn die nicht da ist, merkt die Person auch nicht, wenn Impulse kommen, dass sie sich auf dem falschen Weg befindet.“

Allerdings: Damit der für den Job Passende im Unternehmen überhaupt die Stelle antreten kann, muss er oder sie erst einmal gefunden werden. Doch das ist in vielen Unternehmen gar nicht so einfach. Denn eine große Mehrheit der Personalabteilungen ist laut einer Befragung der Beratung ROC Deutschland unter HR-Managern für das Feld Talent Management nicht gut aufgestellt. Bisher verfügt nur ein Drittel der Firmen über aussagekräftige Daten zu Qualifikationen der eigenen Mitarbeiter. So wird eine erfolgversprechende Stellenbesetzung schwierig. „Eine saubere Nachfolgeplanung ist längst nicht gang und gäbe“, sagt Walter Jochmann von Kienbaum, „im Gegenteil. Ich kenne viele große Mittelständler, bei denen keine Potenzialtransparenz weltweit vorliegt. Da weiß niemand, wo die jungen Talente im Unternehmen sind.“ Als Gründe dafür sieht Jochmann neben mangelhaften Systemen auch die fehlende Identifizierung der Talente durch die Führungskräfte sowie deren mangelnden Willen, viel versprechende Talente an die Organisation abzugeben.

„Halte Dich fest, solange wie es geht“

Noch wichtiger als ein funktionierendes System ist allerdings eine Kultur, die Scheitern möglich macht – ohne dadurch einen Reputationsschaden zu riskieren. Oder besser gesagt, fehlt es in der deutschen Unternehmenslandschaft an einer Alternative zum „Up-or-out-Prinzip“. Dann müsste die Organisation nicht erst warten, bis jemand scheitert, wenn sie eine Neubesetzung vornehmen will. Zwar hat sich in Sachen Führungs- und Projektlaufbahn einiges getan, doch vorherrschend ist in den meisten Firmen nur ein Weg – und der geht eben nach oben. „Und dort gilt: ‚Halt Dich fest, solange wie es geht‘“, sagt Jochmann, „Energien werden auf Absicherung gelenkt; dabei gehört die Kraft doch in den Markt.“ Nach seiner Meinung bräuchte es dynamischere Modelle, die auch Führung auf Zeit möglich machen. „Drei oder vier Jahre oben und dann geht man wieder runter beispielsweise wegen der Familie. Das dürfte nicht als Scheitern gesehen werden.“

Auch Markus Frosch würde eine solche Entwicklung begrüßen. „In Deutschland wird das ‚Zurückgehen‘ als Gesichtsverlust gesehen. Das ist schade.“ Der Promerit-Vorstand würde es sogar gut finden, wenn ein solches „Rücktreten“ schon nach kurzer Zeit unproblematisch wäre. Denn erst die Realität zeige doch, ob Job und Kandidat wirklich zusammenpassen, wie er betont.

Das würde auch der Entwicklung Rechnung tragen, wonach ein mögliches Scheitern gerade von Spitzenkräften heute leichter möglich ist. Die Anforderungen an Manager sind gestiegen. Ihre Verweildauer ganz oben hat sich im Vergleich zu früheren Jahren um einiges verkürzt. Das sieht auch Jochmann so: „Du musst international sein, divers sein, du musst Geschäftsmodelle verstehen und viele davon sind im Umbruch. Man kann heute richtig viele Fehler machen.“

Und mancher Fehler ist ein politischer. In Unternehmen gibt es eben immer auch Machtspiele, Neid und Missgunst. Darüber kann jemand auch schon mal stolpern, oder eben sagen: „Nein, darauf habe ich keine Lust mehr.“ So wie Dammann das getan hat.

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