Leiharbeit: Gleiche Arbeit, gleicher Lohn?

Arbeitsrecht

Seit der Rechtsreform von 2017 müssen Be­triebe Leiharbeitnehmer vor allem in Bezug auf das Thema Geld gleichstellen. Aber wie funktioniert Equal Pay in der Praxis?

Noch vor kurzem wurden Leiharbeiter – bisweilen dauerhaft – erheblich niedriger vergütet als vergleichbare Stammmitarbeiter, wenn ein Tarifvertrag das möglich machte. Mit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) vor zwei Jahren hat sich das grundlegend geändert: Nunmehr muss der Entleiher im Regelfall ab Beginn des zehnten Monats den Leiharbeiter in Bezug auf das Arbeitsentgelt mit seinen vergleichbaren Stammarbeitnehmern gleichstellen. Der sogenannte Equal-Pay-Grundsatz birgt jedoch rechtliche Unsicherheiten für Verleiher, und im Falle der Nicht- oder Falschanwendung können empfindliche Geldbußen drohen.

Gleichstellungsgrundsatz des AÜG

Der Verleiher ist grundsätzlich dazu verpflichtet, den Leiharbeitnehmer mit einem vergleichbaren Stamm­arbeitnehmer im Entleihbetrieb für die jeweilige Überlassungsdauer gleichzustellen. Vom Gleichstellungsgrundsatz kann zwar durch Tarifvertrag abgewichen werden, diese Möglichkeit gilt aber nicht uneingeschränkt:

  • Die tarifliche Abweichungsmöglichkeit ist im Hinblick auf Equal Pay zeitlich beschränkt: Mithilfe eines Tarifvertrags darf im Regelfall nur bis zur Vollendung des neunten Monats der Überlassung vom Equal-Pay-Grundsatz abgewichen werden. Nur durch Branchenzuschlagstarifverträge, die hohen Anforderungen genügen müssen, ist eine Abweichung für einen längeren Zeitraum möglich.
  • Eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz ist gar nicht möglich, wenn der Leiharbeitnehmer innerhalb der vergangenen sechs Monate vor Überlassung in einem Arbeitsverhältnis zum Entleiher oder zu einem Konzern-Unternehmen des Entleihers stand („Drehtürklausel“). In diesem Fall ist der Leiharbeitnehmer im Betrieb vom ersten Tag an so zu stellen wie ein vergleichbarer Stammarbeitnehmer.

Bei sonstigen wesentlichen Arbeitsbedingungen wie der Dauer der Arbeitszeit, Überstunden- oder Pausenregelungen (Equal Treatment) kann hingegen zeitlich unbeschränkt durch einen Tarifvertrag von den Bedingungen im Entleihbetrieb abgewichen werden. Daher ist die Abgrenzung von Equal Pay und Equal Treatment von essenzieller Bedeutung.

Abgrenzung von Arbeitsentgelt und sonstigen Arbeitsbedingungen:

  • Der Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne des AÜG ist weit auszulegen. Er umfasst jede Vergütung, die aus Anlass des Arbeitsverhältnisses gewährt wird oder wegen gesetzlicher Entgeltfortzahlungstatbestände gewährt werden muss.
  • Zahlungen wie Boni oder Sonderzahlungen im Entleihbetrieb können Probleme bereiten, da dem Leih-
    arbeitnehmer ebenfalls ein Anspruch auf die Zahlung zusteht, sollten die Voraussetzungen für eine entsprechende Sonderzahlung erfüllt sein.

Erhalten die Stammarbeitnehmer im Entleihbetrieb eine Sonderzahlung, wenn zu einem bestimmten Stichtag ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis besteht, so handelt es sich auch für die Leiharbeitnehmer um einen für den Entgeltvergleich relevanten Equal-Pay-Bestandteil. Hier gilt zu beachten, dass für den Stichtag die Überlassung im Betrieb, also der Einsatz beim Entleiher, maßgeblich ist.

Im Fokus von Streitigkeiten stehen oft auch Ansprüche im Zusammenhang mit Urlaub:

  • Die Dauer des Urlaubs ist als sonstige wesentliche Arbeitsbedingung zu qualifizieren, so dass durch
    Tarifvertrag dauerhaft ein geringerer Umfang für Leiharbeitnehmer festgelegt werden kann.
  • Im Hinblick auf die Einordnung von Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld ist die Rechtslage seit der Reform des AÜG weniger eindeutig. Zur Sicherheit sollte sie als Equal-Pay-Bestandteil bewertet werden, so dass eine Abweichung nur zeitlich begrenzt möglich sein wird.

So funktioniert die Vergleichsrechnung

Findet auf das Arbeitsverhältnis des Leiharbeitnehmers kein Tarifvertrag Anwendung, der eine Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz erlaubt, oder muss nach neun Monaten eine Gleichstellung mit vergleichbaren Stammarbeitnehmern im Entleihbetrieb erfolgen, muss eine Vergleichsrechnung angestellt werden.

Um die Differenzvergütung festzustellen, wird ein personeller Bezugspunkt hergestellt. Das bedeutet, dass ein in Tätigkeit und Qualifikation vergleichbarer Stammarbeitnehmer des Entleihbetriebs für den Vergleich herangezogen wird. Fehlen vergleichbare Arbeitnehmer im Betrieb des Entleihers, ist auf einen hypothetischen Vergleichsarbeitnehmer abzustellen.

Die Gleichstellungsverpflichtung besteht grundsätzlich während der Dauer der Überlassung, also in dem Zeitraum, in dem der Leiharbeitnehmer dem Entleiher zur Verfügung steht. Damit ist ein Gesamtvergleich der Entgelte im vollständigen Überlassungszeitraum anzustellen.

So wird die Höhe der Equal-Pay-Zulage ermittelt

Da der Leiharbeitnehmer nicht schlechter gestellt werden darf als ein vergleichbarer Stammarbeitnehmer im Entleihbetrieb, hat der Verleiher zur Ermittlung der Equal Pay-Zulage eine vergleichende Betrachtung vorzunehmen:

  • Ermittlung des Arbeitsentgelts, das der Leiharbeitnehmer vom Verleiher beanspruchen kann;
  • Ermittlung des Arbeitsentgelts, das ein vergleichbarer Arbeitnehmer bei dem Entleiher erhalten würde;
  • monatlicher Gesamtvergleich beider Parameter;
  • Gesamtvergleich nach Ende des Überlassungszeitraums.

Um der Pflicht zur Gleichstellung nachkommen zu können, hat der Verleiher einen Anspruch darauf, dass der Entleiher ihm die für vergleichbare Stammarbeitnehmer geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts nennt.

Fallkonstellationen mit divergierenden Arbeitszeiten und Vergütungen bei Verleiher und Entleiher führen in der Praxis zu Schwierigkeiten, da sich das im Verleih- und Entleihbetrieb gezahlten Arbeitsentgelt oftmals nur schwer vergleichen lässt:

  • Einfach ist die Vergleichsrechnung, wenn beim Verleiher und beim Entleiher das gleiche Vergütungsmodell zur Anwendung kommt – in diesem Fall ist das für den Leiharbeitnehmer günstigere Modell anzuwenden (das heißt geringere Arbeitszeit bei höherer Vergütung).
  • Geht nicht hervor, welches Modell für den Leiharbeitnehmer günstiger ist (beispielsweise geringere Arbeitszeit beim Entleiher, aber auch eine geringere Vergütung), bleibt es im Zweifel bei den Bedingungen des Verleihers, da die Bedingungen beim Entleiher dann nicht besser, sondern nur anders sind. Um die Zulage zu berechnen, muss die tatsächlich geleistete Arbeitszeit errechnet und der entsprechende Lohn eines vergleichbaren Arbeitnehmers im Entleihbetrieb als Vergleichswert herangezogen werden.
  • Gelten im Betrieb des Verleihers und des Entleihers unterschiedliche Vergütungsmodelle (zum Beispiel Monatsvergütung bei vorgegebener Wochenstundenzahl beim Entleiher und Abrechnung auf Stundenbasis beim Verleiher), so ist eine Umrechnung des Monatsgehalts auf einen Stundenwert erforderlich.

Die Berechnung der Equal-Pay-Zulage ist ein komplexes Thema, das aufgrund der meist unterschiedlichen Ausgestaltung des Verleiher- und Entleihbetriebs Risiken für Arbeitgeber birgt. Sollte der Verleiher die rechtlichen Vorgaben vorsätzlich oder fahrlässig missachten, ist das eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann. Daneben drohen negative Konsequenzen durch die Bundesagentur für Arbeit sowie Klagen von betroffenen Leih­arbeitnehmern. Daher ist es ratsam, sich rechtlich zu der konkreten Berechnung einer möglichen Equal-Pay-Zulage beraten zu lassen, um kein Risiko einzugehen.

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Bettina Scharff, Rechtsanwältin

Bettina Scharff

Dr. Bettina Scharff, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, ist Counsel bei Allen & Overy. Sie berät zu allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf Fremdpersonaleinsatz liegt.
Anja Kemmerling, Rechtsanwältin

Anja Kemmerling

Anja Kemmerling, Rechtsanwältin, ist als Associate im Frankfurter Arbeitsrechtsteam von Allen & Overy tätig.

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