Manchmal braucht es Hilfe

Personalmanagement

Die Staatstheater Stuttgart gelten als Musterbeispiel für ein gutes betriebliches Eingliederungsmanagement.

Die 52-jährige Sati Can nennt Martina Lutz und Johannes Egerer vom Sozialreferat der Staatstheater Stuttgart ihre „Engel“. „Ohne die beiden könnte ich heute nicht mehr hier im Haus arbeiten“, sagt die Türkin. Nach einem Autounfall 2005 war sie an Wirbelsäule und Bandscheiben so schwer verletzt, dass sie nicht wieder als Reinigungskraft eingesetzt werden konnte. Lutz und Egerer organisierten für Can einen Deutsch- und Computerkurs sowie eine Umschulung zur Bürohilfe. Heute arbeitet sie im Sekretariat des Personalratsbüros.

Seit 2004 sind Arbeitgeber verpflichtet, Mitarbeiter nach längeren Fehlzeiten mit einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) wieder ins Unternehmen zu integrieren. Im Gegensatz zu den oft gefürchteten Krankenrückkehrgesprächen ist das BEM für die Mitarbeiter freiwillig. Wie die Betriebe es umsetzen, hat der Gesetzgeber offen gelassen. Es sollte aber im Interesse der Unternehmen sein, schließlich registrieren Krankenkassen seit Jahren steigende Fehlzeiten von Arbeitnehmern aufgrund von Krankheiten.

Zumindest in den ersten Jahren waren viele Betriebe zögerlich: Eine Studie der Uni Köln von 2008 zeigte, dass damals nur die Hälfte der befragten 600 Firmen ein BEM aufgebaut hatte. Wie viele Unternehmen es heute anbieten und in welchem Umfang, vermag niemand zu sagen. Aktuelle Zahlen gibt es bislang nicht. Das Bundesministerium für Arbeit will deshalb laut einer Sprecherin voraussichtlich ab Oktober ein Forschungsprojekt starten. Erste Ergebnisse sollen Ende 2016 vorliegen.

Netzwerk aus Ärzten und Kassen

Die Staatstheater wurden bereits für ihr BEM ausgezeichnet. Das Haus gelte als Leuchtturmprojekt und sei bestens aufgestellt, sagt die Hamburger Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin Regina Richter. Sie berät und begleitet Betriebe seit Jahren bei der Umsetzung des BEM und hat einen guten Einblick in die Praxis.

Das Duo Lutz und Egerer ist seit Jahren eingespielt. Seine Einsätze beginnen meist mit einer Einladung an Kollegen, die Fehlzeiten von mehr als 30 Tagen angehäuft haben. „Fast alle wollen erst einmal ein Gespräch unter vier Augen“, sagt Egerer. Gemeinsam werde dann ausgelotet, wer mit ins Boot geholt werden soll und wie die Wiedereingliederung aussehen könnte. Die beiden haben ein Netzwerk mit Ärzten, Kranken- und Unfallkassen, Rentenversicherungen, Arbeitsagenturen und anderen Einrichtungen aufgebaut. „Wir sind die Lotsen durchs Hilfssystem, stellen die Kontakte her und koordinieren die Maßnahmen“, beschreibt Egerer seine Aufgabe, die er erledigt, wenn er nicht gerade als Tenor im Opernchor singt. Seine Kollegin leitet in der anderen Hälfte ihrer Arbeitszeit die Kostümfärberei und -malerei.


Johannes Egerer Staatstheater Stuttgart (c) Privat

„Wir sind die Lotsen durchs Hilfssystem.“ Johannes Egerer, Staatstheater Stuttgart

 

 

 


Laut Egerer haben bereits etwa 150 der 1350 Mitarbeiter direkt von der Hilfe des Duos profitiert – sei es die Ballerina, die nach einer Verletzung verschiedene Praktika im Haus absolvieren konnte, um eine neue Stelle zu finden, oder der 50 Jahre alte Kollege, der mit einer Ausbildung in der Schneiderei noch einmal ganz von vorne anfing. „Anderen Kollegen konnten wir auch schon mit ergonomischen Tischen und Stühlen gegen Rückenprobleme oder dem Umbau der Werkstätten helfen“, sagt Egerer.

Inzwischen wird jeder Arbeitsplatz vom Betriebsarzt und einer Fachkraft für Arbeitssicherheit begutachtet. Außerdem gehören Ergonomieberatungen zum betrieblichen Standard. Und damit es gar nicht erst zu langwierigen psychischen Erkrankungen wie einem Burnout oder einer Depression kommt, können sich Mitarbeiter bei einer Psychologin zu kostenlosen Prophylaxe-Gesprächen anmelden. Psychische Erkrankungen seien im Haus – anders als im Bundestrend – aber eher rückläufig, sagt Egerer. Wichtig sei es, offen mit diesen Erkrankungen umzugehen, die Kollegen nicht aufzugeben und bedarfsgerecht zu begleiten, ergänzt Martina Lutz.

Vertrauen schaffen

„Früher hatten die Leute noch Angst, wenn ein Brief kam. Sie dachten, jetzt geht es ihnen an den Kragen“, berichtet Egerer. Doch es habe sich inzwischen herumgesprochen, dass das BEM eine hilfreiche Sache sein kann. „Manche Mitarbeiter kommen jetzt schon vor der 30-Tage-Frist zu uns“, sagt er. Als positiv habe sich erwiesen, dass das Duo aus Mann und Frau bestehe. „Manche Probleme wollen Männer lieber mit Männern und Frauen lieber mit Frauen besprechen.“ Von Vorteil sei auch, dass das BEM im Sozialreferat angesiedelt ist. „Das schafft mehr Vertrauen“, sagt Egerer.

Eine klare Aufteilung der Rollen sei nicht immer die Regel, sagt die Wissenschaftlerin und Beraterin Regina Richter. „In der Regel gibt es gar kein für die Aufgaben freigestelltes BEM-Team. Da erledigen Mitarbeiter diese Aufgabe on top.“ Das hänge nicht zuletzt von der Unternehmensgröße ab. „In großen Unternehmen kann man sich ein BEM-Team leisten, in kleineren nicht.“ Sie erlebe auch immer wieder, dass die Umsetzer schlecht ausgewählt und informiert sind. Problematisch sei es auch, wenn den Beauftragten ihre Rolle nicht ganz klar sei. „Sie sind ja in der Regel Interessenvertreter des Betriebes. Da wird dann ein BEM-Gespräch schnell mal zum Personalgespräch“, weiß Richter.


Martina Lutz Staatstheater Stuttgart (c) Privat

Es ist wichtig, die Kollegen nicht aufzugeben. Martina Lutz, Staatstheater Stuttgart

 

 

 


„Das Wichtigste ist es, die BEM-Beauftragten mit Kompetenz und Zeit auszustatten. Dazu sollte in der Geschäftsführung ein entsprechendes Bewusstsein herrschen“, betont die Expertin. Wenn das nicht der Fall sei, funktioniere der Flurfunk 1 a, Misstrauen und ein Klima der Angst seien die Folge. In solchen Fällen sei das BEM zum Scheitern verurteilt. Gerade in Firmen, in denen das Arbeitsklima ohnehin schon von großem Druck geprägt sei, sei es oft nur ein Alibi-Angebot.

In anderen Unternehmen staune sie wiederum immer wieder, wie gut das BEM etabliert sei. In einem Buch hat Richter positive Beispiele zusammengetragen. Auch auf dem Internetportal Rehadat finden sich viele gute Beispiele aus der Praxis. Dazu zählen Unternehmen wie BMW, Metabo oder RWE Power.

„Bei uns ist das BEM wie ein Stein, den man ins Wasser geworfen hat. Die Akzeptanz zieht immer weitere Kreise“, sagt Egerer. Allerdings stoßen er und seine Kollegin auch hin und wieder an Grenzen: „Ein Kollege erkrankte an Schizophrenie. Es war so schlimm, dass er einfach nicht mehr arbeiten konnte“, erzählt er. „Aber es war uns dann auch sehr wichtig, den Kollegen gut begleitet in die Erwerbsunfähigkeit zu entlassen“, ergänzt Martina Lutz.

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Anja Sokolow

Anja Sokolow

Journalistin

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