New Work: Frithjof Bergmanns Utopie in der Praxis

Future of Work

Homeoffice und mobiles Arbeiten? Ist New Work. Digitalisierung und Innovation? Auch New Work. Flexible Arbeitszeiten? Sowieso New Work. Aber Achtung: Was die meisten Unternehmen hier machen, ist oft kein New Work, sondern allenfalls Old Work deluxe. Das aufgehübschte New-Work-Label klebt heutzutage auf vielen Initiativen, die dem Ursprungsgedanken des New-Work-Konzepts kaum entsprechen. Es ist eher Marketing-Gag als echte Veränderung. Doch dem gehen die Menschen nicht mehr auf den Leim.

Nirgendwo schleppen sich die Menschen so lustlos zur Arbeit wie in Deutschland: Beinahe jeder Vierte schleicht unmotiviert ins Büro (23 Prozent). Das zeigt eine globale Studie zur Mitarbeiterzufriedenheit. Viele Menschen erleben ihren Berufsalltag als „milde Krankheit“, die montags kommt und freitags geht. Die Vision von Frithjof Bergmann, dem Begründer von New Work und geistigem Vater der Bewegung, ist allerdings eine andere: Arbeit vom Lohnsystem zu entkoppeln und frei leben zu lernen. Frei leben lernen heißt für Bergmann, bezahlte Lohnarbeit zum Teilaspekt des Lebens schrumpfen zu lassen zugunsten einer Tätigkeit, die man „wirklich, wirklich will“.

New Work als Gegenmodell zum kapitalistisch geprägten Arbeitsmodell

Bergmanns These: Arbeit ist viel mehr als nur eine beliebige Erwerbstätigkeit. Schon vor fast 40 Jahren hatte der Sozialphilosoph die Frage „Was willst du wirklich, wirklich?“ ins Zentrum von New Work gestellt. Es war zugleich eine ebenso scharfe wie grundsätzliche Kritik am Kapitalismus: ein System, das den Menschen übersähe und ganz klar auf Profitmaximierung abziele. Der New-Work-Urvater hielt das System der Lohnarbeit an sich für „krank“. Er favorisierte stattdessen eine „Wirtschaft des minimalen Kaufens“: Zwei bis drei Tage pro Woche sollten der Lohnarbeit vorbehalten sein – die übrigen Tage könnten Tätigkeiten gewidmet werden, die ein Mensch eben „wirklich, wirklich will“ und die seinen Stärken und Bedürfnissen entsprechen – ruhig auch abseits der normalen, bezahlten Arbeitswelt. Das kann Bürgerarbeit sein, ein künstlerisches Hobby oder ehrenamtliches Engagement. Das funktioniert aber nur mit dem dritten Teil des Bergmannschen Gesellschaftsmodells: smart consumption oder „Wirtschaft des minimalen Kaufens“ – letztlich eine Einschränkung des Konsums also. Die Digitalisierung beschleunigt einen solchen Trend eher als dass sie hinderlich wäre: Sie nimmt Routinetätigkeiten ab und hilft tendenziell dabei, „die Arbeit, die man wirklich wirklich will“ gesellschaftlich durchzusetzen.

New Work: Abkehr von der Shareholder Value-Kultur

Alles reines Wunschdenken? Wie verträglich ist New Work beispielsweise mit der wirtschaftlichen Realität des traditionellen Shareholder-Value? Intuitiv werden viele Geschäftsführende und HR-Verantwortliche sagen: gar nicht. Ein solch innerer Widerstand führt dazu, dass sich die meisten gar nicht mehr damit beschäftigen und das Thema ad acta legen. Das ist schade, weil erste Unternehmen zeigen, dass sich echtes New Work und Wirtschaft in Aspekten durchaus vereinbaren lassen.

Die kalifornische Outdoor- und Bergsportfirma Patagonia unterstützt mit ihrer Initiative „Reparieren statt Wegwerfen“ das Wirtschaftskonzept des minimalen Kaufens von Frithjof Bergmann. So zielt das Unternehmen darauf ab, Funktionstextilien zu reparieren, anstatt sie wegzuwerfen. In Nordamerika können die Besitzer von gut erhaltener Patagonia-Bekleidung ihre gebrauchten Jacken und Hosen an Patagonia zurück verkaufen. Die Idee des Reparierens soll in möglichst vielen Bereichen des wirtschaftlichen Alltags neu Fuß fassen. Die erste Frage sollte daher nicht sein „Wo bekomme ich ein neues Produkt?“, sondern „Wie lässt sich das denn reparieren?“. Mit diesem Arbeitsmodell versucht die kalifornische Outdoorfirma das bergmannsche Konzept der smart consumption praktisch umzusetzen.

Ein anderes Beispiel: Das Buurtzorg-Modell, das auf unbürokratische häusliche Pflege setzt und damit die Branche revolutioniert. Das Pflegeunternehmen aus den Niederlanden organisiert Pflege neu: kleine Teams mit vier bis zwölf Mitarbeitenden, die alle in derselben Nachbarschaft wohnen und sich um ihre pflegebedürftigen Nachbar:innen kümmern. Darüber hinaus können auch die Familie sowie der Freundeskreis mit anpacken. Sie werden von Pflegekräften entsprechend geschult. So versucht Buurtzorg die Patient:innen Stück für Stück unabhängiger von der herkömmlichen Pflege zu machen. Selbstorganisierte Pflegeteams und das Einbinden des sozialen Netzes sind die Basis dafür, die Lohnarbeit sowie „die Arbeit, die man wirklich wirklich will“ miteinander zu kombinieren. Diese Freiheit entsteht wesentlich dadurch, dass die Pflegekräfte bei Buurtzorg nicht nach einzelnen Leistungen abrechnen, sondern nach Anwesenheit im Zuhause der Pflegebedürftigen. Mobilisierende Pflege in selbstorganisierten Teams ist ein ideales Mittel zum Zwecke: gute Pflege. Dadurch gewinnen wir mehr Kapazität für echte menschliche Pflege mit Würde.

Umsetzung – erst der Mensch, dann die Wirtschaft

Purpose, Feel-Good-Management, Good Work – das sind bestenfalls Teilaspekte der New-Work-Bewegung in der Wirtschaft. Alles was wir tagtäglich diskutieren, um die bestehenden Arbeitsbedingungen in Unternehmen zu verbessern, ist eine vordergründige Erleichterung der Arbeitswelt und hat mit einer bewussten New-Work-Gestaltung wenig zu tun. Die meisten Unternehmen versuchen „New Work“ zu integrieren, ohne das System insgesamt in Frage zu stellen. Im Grunde sind viele nicht bereit, entscheidende Änderungen vorzunehmen. Doch ein „weiter so“ wird es jedenfalls nicht mehr lange geben. Die Menschen sind zunehmend frustriert ob ihrer Arbeitssituation und die Digitalisierung wirkt wie ein Brandbeschleuniger, indem beispielsweise mit Clickworkern und Lieferdiensten immer mehr prekäre Arbeitsplätze produziert, die kaum zum Lebensglück beitragen.

Es stellt sich also die Frage: Wie lässt sich echtes New Work in Unternehmen implementieren? Wenn überhaupt, gelingt das durch Konzepte wie die Gemeinwohlökonomie, die das Wachstumsdogma in Frage stellen. Das Wohl möglichst vieler Menschen, der Stakeholder Value (in Angrenzung zum Shareholder Value) wird zum obersten Ziel des Wirtschaftens. Für Politik heißt das, gesetzliche Leitplanken zu setzen: Wir brauchen einen Rechtsrahmen in der Arbeitswelt, der es Menschen überhaupt erlaubt, neue Arbeitsverhältnisse zu gestalten. Wir brauchen die 30-Stunden-Woche als neue Vollzeitnorm. Wir brauchen ein höheres Ansehen der betrieblichen Weiterbildung und ihre Professionalisierung. Und wir brauchen Unternehmen, die aus dem alten System des rein quantitativen Wachstums aussteigen und sich öffnen für neue Methoden wie zum Beispiel eine neue Art von Bilanzierung. Es gibt mittlerweile 600 Unternehmen weltweit, die bereits eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt haben. Engagierte Unternehmen wie Greenpeace Deutschland, die Sparda-Bank München oder der Outdoorhersteller Vaude sind nur einige Beispiele. Um den Gap zwischen der trockenen Theorie und Praxis zu schließen, brauchen wir konkrete politische Gesetze und Rahmenbedingungen sowie frischgebackene Pionierunternehmen, die New Work tatsächlich durchsetzen. Und da stehen wir noch ganz am Anfang.

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Markus Väth, Gründer von Humanfy

Markus Väth

Markus Väth ist ist Gründer und Geschäftsführer von Humanfy und Verfasser der New Work Charta, die sich für eine klare, humanistische und soziale Version von New Work einsetzt. Er hat mehrere Bücher zu New Work und Management verfasst und ist Lehrbeauftragter für New Work und Organisationsentwicklung an der Technischen Hochschule Nürnberg. Mit seinem Ansatz des Organisationscoachings begleiten er und sein Team Unternehmen in ihrer Transformation hin zu echtem New Work und einer neuen Arbeitswelt.

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