„Ohne HR läuft gar nichts“

Recruiting

Als Dienstleister wollen die Personaler sich bei Daimler nicht unbedingt sehen. Zu defensiv, sagt Personalvorstand Wilfried Porth. Ein Gespräch über die neue HR-Strategie, mobiles Arbeiten und den VfB Stuttgart.

Bereits 1985 trat der Ingenieur nach seinem Studium in den Automobilkonzern ein. Seitdem ist Wilfried Porth Daimler treu geblieben. Allerdings ist er auch viel herumgekommen. Er hat zum Beispiel schon in Brasilien und in Südafrika für Daimler gearbeitet. Und in Japan war der heute 56-Jährige drei Jahre lang CEO von Mitsubishi Fuso and Bus Corporation. Porth ist einer der einflussreichsten Personalmanager in Deutschland. Am Telefon wirkt er trotzdem ziemlich gelassen und sympathisch.

Herr Porth, Sie sind bekennender Anhänger und Aufsichtsratsmitglied des VfB Stuttgart. Wie haben Sie die vergangene Saison verkraftet?
Das war natürlich keine Saison, die man gerne mitmacht als Fan und Verantwortlicher im Verein. Es war für mich sehr emotional, aber am Ende ist es gut ausgegangen. Für die aktuelle Saison haben wir die strukturellen Voraussetzungen verbessert und ich hoffe, wir haben mit dem Thema Abstieg nichts zu tun.

Sie bewegen sich sowohl in der Wirtschafts- als auch in der Fußballwelt. Gibt es irgendwelche Parallelen zwischen beiden?
In beiden Welten geht es darum, jeden Tag die bestmögliche Leistung abzurufen. Dafür braucht man vor allem ein gutes Team und die richtigen Strukturen. Das ist also durchaus vergleichbar.

Die Leistung der HR-Funktion ist in vielen Diskussionen immer noch ein Thema. Wie sehen Sie derzeit ganz allgemein die Profession aufgestellt, was den Wertbeitrag und das Standing angeht?
Ein Unternehmen ohne HR ist nicht denkbar. Wir haben uns bei Daimler in den vergangenen Jahren davon verabschiedet, HR als Dienstleister zu bezeichnen. Das ist uns zu defensiv. Wenn man die Funktion so versteht, wird man auch nur aktiv, wenn der Kunde mit einem Anliegen an einen herantritt. Ich selbst komme als Ingenieur aus dem Produktionsbereich und jemand aus der Produktion würde sich nie als Dienstleister bezeichnen, sondern als Teil der Kernprozesse des Unternehmens. Und das ist auch HR. Ohne HR läuft gar nichts. Das geht los bei Verwaltungsthemen, über das Recruiting, hin zu Personalentwicklung und Kulturthemen. Allerdings entspricht das Selbstverständnis einiger Personaler nicht der tatsächlichen Bedeutung der Funktion. Der Stolz von HR, Teil der Kernprozesse zu sein, ist weniger ausgeprägt als in den anderen Funktionen. Daran muss gearbeitet werden. Das hat etwas mit Professionalität zu tun und es hat etwas mit dem Wertbeitrag zu tun, den die Personaler leisten. Bei Daimler haben wir in dieser Hinsicht in der jüngsten Zeit eine Menge geschafft. Das Motto der HR-Funktion ist: Wir sind da, um Dinge möglich zu machen.

Wird das von den anderen Funktionen auch so wahrgenommen?
Für Daimler kann ich das bestätigen. Für alle Werke in Deutschland gibt es zum Beispiel Zielbilder, also Vereinbarungen mit dem jeweiligen Betriebsrat zu Investitionen, zur Zukunftssicherung und zu Flexibilisierungsinstrumenten. Diese Zielbilder wurden vom Personalbereich mit den operativen Einheiten verhandelt. Oder nehmen Sie die Restrukturierung bei unseren Niederlassungen. Die wurde zusammen mit dem Vertrieb getrieben und dafür gibt es große Anerkennung im Unternehmen. Wir erfahren also auf jeden Fall Wertschätzung von den anderen Funktionen. Die muss man sich aber verdienen – mit Know-how und Tatendrang.
Bei Daimler gibt es seit einiger Zeit eine neue HR-Strategie. War die Anerkennung durch die operativen Einheiten eines der Ziele der Strategie?
Unser Anspruch war zunächst, ein Umdenken im Personalbereich zu erzielen.

Was heißt das?
Traditionell sieht man sich im HR-Bereich in der Rolle des Kümmerers. Das ist auch nicht unwichtig. Aber es ist nur ein Teil der Aufgaben. Umdenken heißt erst einmal, sich davon zu verabschieden, dass jeder alles macht. Deswegen haben wir verschiedene Rollen geschaffen: Wir haben HR-Experten, Shared Service Center und wir haben Mitarbeiter, die die direkten Partner unserer Business-Kollegen sind.

Ihr Modell orientiert sich an dem klassischen Konzept von Dave Ullrich?
Ja, genau. Damit wir es in der Praxis noch besser umsetzen können, haben wir zusätzlich eine Strategie aufgesetzt, die „One HR“ heißt. Diese zielt darauf ab, dass die drei Säulen enger zusammenarbeiten und dadurch die unterschiedlichen Fähigkeiten besser zur Geltung bringen.

Wie weit sind Sie mit der neuen HR-Strategie?
Wir sind mittendrin. 2010 sind wir mit dem 3-Säulen-Modell aus Service Center, Experten und Business Partnern gestartet. Jetzt optimieren wir Schritt für Schritt. Das Business-Partner-Modell haben wir von oben nach unten eingeführt – wir sind aber noch nicht auf der untersten Ebene angekommen. Das ist ein großer Aufwand. „One HR“ wurde dann im vergangenen Jahr initiiert. Wir wollten damit auch das Wir-Gefühl im Personalbereich stärken.

Wie füllen Sie „One HR“ mit Leben? Führen Sie viele Workshops durch?
Wir haben uns zum Beispiel nochmal intensiv mit dem Thema Führung beschäftigt. Die Führungskräfte im HR-Bereich sind nicht nur Spezialisten, sondern sie führen gleichzeitig Mitarbeiter. Weltweit haben wir die Fragen thematisiert: Wie führen wir im Personalbereich? Und wie ist das jeweilige Führungsverständnis? Es gab regional Workshops auf unterschiedlichen Ebenen. Dabei wurden die Aktivitäten gemeinsam durchgeführt, sodass Vertreter aller drei Rollen dabei sind.

Die Rolle des HR Business Partners ist nicht unumstritten. Häufig bleibt die gelebte Praxis hinter den Erwartungen zurück. Es fehlt oft an Anerkennung oder die Business Partner müssen sich mit operativem Kleinkram herumschlagen. Wie schaffen Sie es, dass diese wirklich auf Augenhöhe mit den Linienmanagern sind?
Das Wichtigste für den Business Partner ist die Unterstützung durch die anderen HR-Bereiche. Er sollte zum Beispiel schnellen Zugriff auf die Experten haben, wenn er Lösungen zu spezifischen Fragestellungen braucht. Und natürlich müssen die Shared Services funktionieren, was nicht heißt, dass die Personaler alles machen müssen. Vieles können die Mitarbeiter mit Hilfe moderner Technologie selbst erledigen. Aber die Technik muss rund laufen. All das zusammen trägt dazu bei, dass der HR Business Partner nicht in Details erstickt. Vor allem im Hinblick auf die Internationalisierung bietet die Position des Business Partners große Vorteile. Denn unsere Führungskräfte in den operativen Bereichen führen über Standort- und vor allem Ländergrenzen hinweg und müssen so nicht mit unterschiedlichen Personalern zusammenarbeiten. Dieser Mehrwert durch HR wird gesehen – wenn das Rollenverständnis klar und die technologische Basis vorhanden ist.

Wo, würden Sie sagen, stehen Sie momentan bei der Veränderung?
Was die Anerkennung durch das Business angeht, sind wir sehr weit. Im Hinblick auf ein klares Rollenverständnis kann man sich immer im laufenden Betrieb weiter verbessern. Das betrifft beispielsweise die Frage nach Systemen und Prozessen, aber auch die Frage, welchen Service können wir standardisieren beziehungsweise welche Dienstleistungen brauchen individuelle Lösungen? Das sind zum Teil intensive Diskussionen, die da geführt werden.

Welche Diskussionen sind das?
Wenn ich mich zum Beispiel als Kümmerer sehe, dann will ich für mein Gegenüber alles ganz schnell und gut lösen. Man könnte allerdings auch erst einmal einen Schritt zurückgehen und überlegen, was die beste Lösung im Gesamtkontext ist. Das erfordert aber eine Diskussions- und Konfliktkultur, die man eher im Produktions- und Entwicklungsbereich findet, weniger im Personalbereich. Diese Konfliktkultur braucht es, um die bestmöglichen Lösungen für das Unternehmen zu bekommen. Wir müssen die HRler dahin bringen, dass sie auch mal Konflikte austragen und nicht sofort Harmonie suchen. Das kostet zum Teil noch etwas Energie.

Haben Sie die richtigen Leute im HR-Bereich?
Am Ende des Tages ist es die Mischung, die hilft, in dem Thema besser zu werden – die Mischung aus traditioneller HR-Erfahrung und Kollegen aus den Geschäftsbereichen. Wir haben immer wieder Mitarbeiter aus anderen Fachbereichen in HR reingeholt. Schauen Sie zum Beispiel mich an, oder unseren Pkw-Personalchef, der ebenfalls kein originärer Personaler ist. Und unsere Personalentwicklungschefin kommt aus dem Vertrieb. Umgekehrt haben wir Personaler in operative Bereiche weiterentwickelt. Der Anteil der Mitarbeiter, die Erfahrungen in mehr als einem Bereich gesammelt haben, ist in den vergangenen Jahren insgesamt deutlich gestiegen.

Oft geht es im HR-Bereich darum, Bedürfnisse der internen Kunden zu erfüllen. Wo finden bei Ihnen aber die Zukunftsthemen wie die Digitalisierung statt? Wird HR bei Ihnen dann wirklich von selbst aktiv?
Natürlich, denn neben meiner Funktion als Arbeitsdirektor bin ich bei Daimler auch noch für die IT verantwortlich. Daher sitzen alle Verantwortlichen gemeinsam am Tisch. Wir sehen in jedem Fall Themen wie Führung und Berufsbilder in Zusammenhang mit Digitalisierung und Kultur. Wir haben vor kurzem zum Beispiel einen „Generation Y Day“ veranstaltet, bei dem wir Vertreter dieser Generation eingeladen haben, um mit ihnen zu diskutieren, wie genau ihre Anforderungen an das Unternehmen aussehen. Dabei haben wir einige Themen herausgearbeitet, die nun auch umgesetzt werden. Natürlich können wir nicht auf jeden Wunsch nach Flexibilität eingehen – zum Beispiel kann ein Doppelkupplungsgetriebe nun mal nicht zu Hause montiert werden. Andererseits unterstützt uns die Digitalisierung dabei, für viele Anforderungen gute Lösungen zu finden.

Zum Thema mobiles Arbeiten hat es bei Daimler kürzlich eine Befragung der Mitarbeiter gegeben. Warum haben Sie die Umfrage durchgeführt?
Es passiert immer mal wieder, dass in der Öffentlichkeit plötzlich ein Thema hochkocht. Und manche vermeintliche Experten behaupten dann, sie wissen, was die Menschen wollen. Beim Thema mobiles Arbeiten haben wir uns jetzt entschieden, die Mitarbeiter einfach zu fragen, was sie sich wünschen. Was verstehen die Menschen unter mobilem Arbeiten? Wer möchte von zu Hause aus arbeiten? Und wie oft? Braucht jeder seinen eigenen Arbeitsplatz im Betrieb? Und ist es wirklich nötig, E-Mails nach Feierabend zu verbieten?

Ist so eine Befragung nicht auch mit einem gewissen Risiko verbunden?
So eine Befragung erzeugt natürlich Erwartungen und Handlungsdruck. Aber wir nehmen die Veränderungen an. Sicher wird die ein oder andere heilige Kuh in Frage gestellt werden.

Bei Daimler gibt es die Möglichkeit, E-Mails, die während der eigenen Urlaubszeit in den Posteingang kommen, löschen zu lassen. Wer nutzt bei Ihnen diese Funktion?
Ehrlich gesagt führen wir keine Statistik. Jeder sieht das Thema anders. Und deswegen wollten wir auch ein Tool, das die Freiheit lässt. Wer will, kann es nutzen. Und wer es nicht will, muss es nicht.

Aber Sie wissen selbst, dass es oft einen gewissen sozialen Druck gibt. Wenn ich weiß, dass meine Führungskraft es nicht gut findet, wenn ich meine Mails löschen lasse, werde ich es auch nicht tun.
Die große Mehrheit akzeptiert das Instrument sehr gut. Wir schulen unsere Führungskräfte dazu, wie mit dem Thema Life Balance umzugehen ist. Es gibt auch einen Leitfaden. Ich selbst ermuntere meine Mitarbeiter im Übrigen ebenfalls dazu, das Tool zu nutzen. Besonders bei der Diskussion um mobiles Arbeiten wird zukünftig das Thema Kultur noch stärker im Fokus stehen – auch bei uns. Die Flexibilität, die ich für mich einfordere, muss auch für andere gelten. Wenn ich als Führungskraft meine Mails zum Beispiel gerne um 22 Uhr abends schreibe, darf ich nicht erwarten, dass die Antwort gleich um 23 Uhr da ist. Solche Instrumente wie „Mail on Holiday“ können einen Kulturwandel deshalb durchaus positiv beeinflussen.

Die Digitalisierung ist für alle Unternehmen ein großes Thema. Sie führt unter anderem dazu, dass die Autohersteller branchenfremde Wettbewerber wie Google bekommen. Nehmen Sie die ernst?
Wir schauen genau auf die Entwicklungen, die uns umgeben. Das haben wir in unserer erfolgreichen 129-jährigen Geschichte schon immer getan und natürlich gilt das auch für das Thema Digitalisierung. Ich denke, wir sind viel näher dran an Themen wie Vernetzung, Software oder IT im Fahrzeug als beispielsweise Google am Thema Automobilbau. Wir sehen Digitalisierung als Chance, weil sie uns viel Potenzial für neue Geschäftsmöglichkeiten gibt.

Merken Sie, dass es schwieriger wird, junge Talente für sich zu begeistern, weil diese lieber zu unkonventionellen Startups gehen oder selbst gründen wollen?
Wir haben sehr viele Bewerbungen von jungen Leuten, die Automotive spannend finden. Die haben Lust, mit uns gemeinsam die Zukunft der Mobilität zu gestalten. Mit unseren Innovationen sind wir auf diesem Gebiet sicher einer der attraktivsten Arbeitgeber weltweit. Deshalb können wir alle Stellen mit hochqualifizierten Bewerbern besetzen und haben deutlich mehr Bewerbungen als freie Stellen. Man kann aber sicherlich nicht wegdiskutieren, dass die positive Berichterstattung in den Medien Startups nützt. Wenn Sie sich allerdings die Erfolgsquote bei Startups anschauen, sind die Erfolgsaussichten bei uns in jedem Fall größer.

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