Ohne Unumkehrbarkeit keine Betriebsänderung

Arbeitsrecht

Eine Betriebsänderung beginnt erst, wenn unumkehrbare Maßnahmen getroffen wurden und nicht schon bei ihrer Ankündigung. Für Arbeitgeber ist das wichtig, beispielsweise wenn es um die Verhandlung eines Interessenausgleichs geht.

Eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) beginnt nach nun bestätigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 14. April 2015 – 1 AZR 794/13) erst dann, wenn unumkehr­bare Maßnahmen getroffen wurden, die zwangsläufig in die Betriebsänderung münden.

Der Sachverhalt
Die Beklagte, eine Zeitungsvertriebsgesellschaft, deren Arbeitnehmer der Kläger war, verlor ihren einzigen Auf­traggeber. Daher beschlossen die Gesellschafterinnen der Beklagten, den Ge­schäftsbetrieb Ende Februar 2012 ein­zustellen und den Betrieb stillzulegen. Ab März 2012 wurden die Zusteller nicht mehr beschäftigt und die zur Erledi­gung der Zustellung benötigten Haustürschlüssel, Bücher sowie Transportmittel an den Auftragsnachfolger übergeben. Nach einer Massenentlassungsanzeige im April 2012 und der Durchführung von Verhandlungen über einen Interessenausgleich, die Ende April 2012 scheiterten, kündigte die Beklagte ihren Arbeitnehmern. Der Kläger machte Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG geltend, da die Beklagte schon vor Beginn der Verhandlungen über Interessenausgleich unumkehrbare Maßnahmen zur Durchführung der Betriebsstilllegung getroffen hätte.

Die Entscheidung
Das BAG hat der Revision der Beklagten stattgegeben und die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe mit der von § 113 Abs. 3 BetrVG tatbestandlich vorausgesetzten Durch­führung der Betriebsänderung noch nicht begonnen.

Diese beginnt nach ständiger Rechtsprechung des BAG erst dann, wenn der Arbeitgeber eine unumkehrbare Maß­nahme ergreift und so vollendete Tatsachen schafft, beispielsweise. dann, wenn er die bestehenden Arbeitsverhält­nisse zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt. Der bloße Entschluss, eine Betriebsänderung vorzuneh­men, ist tatbestandliche Voraussetzung für die Rechte aus §§ 111, 113 Abs. 3 BetrVG und damit keine von § 113 Abs. 3 BetrVG sanktionierte Maßnahme.

Weder in der Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung noch in der Massenentlassungsanzeige sei eine unumkehrbare Maßnahme zu sehen, da der Arbeitgeber auch danach nicht gezwungen ist, die Kündigungen tatsächlich auszusprechen.

Auch die Einstellung der Geschäftstätigkeit stellt noch keine unumkehrbare Maßnahme dar, da der Geschäfts­betrieb wieder aufgenommen werden könne. Vielmehr müsse der Arbeitgeber bereits mit der Auflösung der betrieblichen Organisation beginnen. Maß­nahmen, wie die Übergabe von Haustürschlüsseln, Büchern und Trans­portmittel stellten keine solche Auflösung der betrieblichen Organisation dar, da sie nur für diesen Auftrag benötigt wurden und lediglich aus dem Verlust des Auftrags folgten. Andere Aufträge hätten noch durchgeführt werden können. Auch die Kündigung von Mietverträgen für Verteilstellen sei nur dann eine unumkehrbare Maßnahme, wenn diese zwingend notwendig für die Aufrechterhaltung des Betrie­bes gewesen seien.

Auch die Freistellung der Arbeitnehmer sei keine unum­kehrbare Maßnahme, sofern sie nicht unwiderruflich erklärt wird. Vielmehr sei es der Beklagten weiterhin möglich gewesen, die Arbeitnehmer mit neuen Aufgaben zu betrauen. Schließlich sei die Ausführung der vorher von der Beklag­ten ausgeführten Aufträge durch eine andere Gesellschaft eine Folge der Neuvergabe der Aufträge und kein Hinweis auf die Durchführung einer Betriebsstilllegung.

Hinweise für die Praxis
Das BAG hat hier erneut festgestellt, dass dem Arbeit­geber bei der Vorbereitung einer Betriebsänderung wie beispielsweise einer Betriebsstilllegung gewisse Spielräume bleiben, um die Betriebsänderung vorzubereiten. Es ist ihm unbenommen, solche Vorbereitungsmaßnahmen durch­zuführen, solange sie nicht unumkehrbar sind. Auch recht­lich notwendige Beteiligungen Dritter, wie des Betriebsrats oder der Agentur für Arbeit, sind noch keine unwiderruf­lichen Maßnahmen.

Eine vor Abschluss der Verhandlungen zum Interessen­ausgleich verbotene unwiderrufliche Maßnahme liegt erst dann vor, wenn der Arbeitgeber diese Maßnahme nicht mehr umkehren kann beziehungsweise die Auflösung der betrieblichen Strukturen begonnen hat. Es ist einem Arbeitgeber dringend zu raten, bei geplanten Betriebsänderungen diese Grenze strikt einzuhalten, um sich nicht in die Gefahr zu begeben, nachteilsausgleichspflichtig zu werden. Die Maßnahmen, die in Vorbereitung auf die Betriebsänderung durchgeführt werden, müssen stets darauf überprüft werden, ob es sich hierbei um endgültige, unumkehrbare Maßnahmen handelt oder ob diese Maß­nahmen in ihrer Wirkung umgekehrt werden können, also ob der Betrieb trotz der vorherigen Maßnahmen fortgeführt werden kann.

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Michael Hoffmann

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