Qualifizierung ist die Herausforderung der Stunde!

Arbeitsrecht

Die Transformation der Arbeitswelt infolge des Strukturwandels zu einer emissionsarmen und digitalen Wirtschaft ist in vollem Gang. Die Anforderungen an die Qualifikationen der Mitarbeiter verändern sich. Analysen zufolge arbeitete im Jahr 2016 ein Viertel aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Berufen, in denen mindestens 70 Prozent der anfallenden Tätigkeiten durch Computer oder computergesteuerte Maschinen technisch machbar ist. Hinzu kommt, dass ein konjunktureller Abschwung unmittelbar auf den Beschäftigungsbedarf durchschlagen kann. Vor dem Hintergrund dieser notwendigen sogenannten „Workforce Transformation“ analysieren viele Unternehmen daher derzeit sorgfältig, welcher Anforderungsprofile es in Zukunft zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit bedarf, welche Stellen wegfallen werden und welche Mitarbeitergruppen überhaupt fähig sind, zusätzliche („Up-Skilling“) oder neue („Re-Skilling“) Qualifikationen zu erwerben. In der Regel ist das Ergebnis dieser Analyse, dass ein Teil der Mitarbeiter überhaupt nicht fähig ist, neue Qualifikationen zu erlernen. Für bestimmte Anforderungsprofile bedarf es wiederum zwingend Neueinstellungen („New-Hire“).

Der klassische Personalabbau hat ausgedient

Die arbeitsrechtlichen Restrukturierungskonzepte basierten in vergleichbaren Situationen bislang in der Regel auf denselben Bausteinen: Ziel war, über kostenintensive Abfindungs-, Vorruhestands- oder Altersteilzeitprogramme beziehungsweise über die Einbindung von externen Transfergesellschaften zügig Mitarbeiter freizusetzen, um die erforderlichen Einsparungen zu realisieren. Diese Instrumente haben sicherlich nicht gänzlich ausgedient. Gleichwohl drängt sich in Zeiten knapper Budgets die Frage auf, wieso erhebliche Summen in Mitarbeiter investiert werden sollen, die auf absehbare Zeit das Unternehmen verlassen sollen statt in die Zukunft, also in die Bestandsmitarbeiter zu investieren. Kluge Restrukturierungskonzepte sollten dies jedenfalls berücksichtigen.

Förderinstrumente nutzen

Auch wenn Viele den administrativen Aufwand scheuen, lohnt sich eine intensive Betrachtung der bestehenden und künftigen Förderinstrumente. Bereits durch das am 1.1.2019 in Kraft getretene Qualifizierungschancengesetz fördert die Arbeitsagentur die Weiterbildung von Arbeitnehmern, die berufliche Tätigkeiten ausüben, die durch Technologien ersetzt werden können oder in sonstiger Weise vom Strukturwandel betroffen sind. Förderfähig sind dabei Weiterbildungen mit einer Dauer von mehr als 160 Stunden, die hinsichtlich der Schulungszeiten flexibel sein können (Vollzeit, Teilzeit, berufsbegleitend). Je nach der Größe des Unternehmens beträgt die Höhe der Zuschüsse für die Lehrgangskosten zwischen 15 Prozent bei großen Unternehmen (mehr als 2500 Beschäftigte) und 100 Prozent bei Kleinstunternehmen (weniger als zehn Beschäftigte). Das Arbeitsentgelt während der Weiterbildung wird von 25 Prozent bis zu 75 Prozent abhängig von der Unternehmensgröße bezuschusst.

Zwar schrecken die Fördervoraussetzungen bei einem ersten Blick in das Gesetz (§§ 81, 82 SGB III) zunächst ab. Allerdings ist der Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit bemerkenswert flexibel, was zum Beispiel die Möglichkeit von durch den Arbeitgeber gesteuerten Sammelanträgen anbelangt. Denn ein Qualifizierungsbaustein im Rahmen eines Restrukturierungskonzepts macht nur dann Sinn, wenn die Fördervoraussetzungen vorher geklärt sind und die Antragstellung über den Arbeitgeber kanalisiert werden kann. Die Bildungsmaßnahme selbst ist wiederum durch zertifizierte Bildungsträger durchzuführen. Die größte Schwierigkeit für den Arbeitgeber wird aber zunächst darin liegen, überhaupt zu identifizieren, welche konkreten Qualifikationen erworben werden müssen und ob hierfür überhaupt ein entsprechendes Bildungsangebot zur Verfügung steht.

„Arbeit-von-morgen-Gesetz“

Die bereits genannten Förderinstrumente sollen nach den Vorstellungen des Arbeitsministeriums weiterentwickelt werden. Kernelemente des Gesetzesvorhabens sind hierbei der so genannte Transformationsvorschuss und die Perspektivqualifizierung.

Der Transformationszuschuss sieht vor, dass die oben genannten Zuschüsse zu den Lehrgangskosten beziehungsweise dem Arbeitsentgelt jeweils pauschal um 20 Prozent erhöht werden können, wenn die Qualifikation von mindestens zehn Prozent der Belegschaft eines Betriebs erforderlich ist, Arbeitgeber und Betriebsrat einen Qualifizierungsplan erstellt haben und eine Beratung durch die Bundesagentur für Arbeit erfolgt ist. In Betrieben ohne Betriebsrat erstellt der Arbeitgeber den Qualifizierungsplan nach Beratung durch die Bundesagentur.

Die Perspektivqualifizierung sieht erhöhte Zuschüsse von bis zu 75 Prozent zum Arbeitsentgelt und zu den Lehrgangskosten vor, wenn im Anschluss an die Weiterbildung keine Beschäftigung mehr im Betrieb erfolgen soll und sich der Arbeitgeber bereit erklärt, die Beschäftigung für die Dauer der Weiterbildung fortzuführen. Dies bietet sich für solche Mitarbeitergruppen an, die nach den Feststellungen des Arbeitgebers keine Perspektive innerhalb des Unternehmens haben. Die Vermittlungschancen in den externen Stellenmarkt lassen sich hierdurch steigern.

Daneben sieht der Gesetzesentwurf unter anderem eine Erweiterung von Qualifizierungsmöglichkeiten in einer Transfergesellschaft sowie Erleichterungen zur Qualifizierung während Phasen der Kurzarbeit vor.

Einbindung des Betriebsrats

Der Transformationszuschuss, also die um 20 Prozent erhöhten Zuschüsse, verlangen einen gemeinsamen Qualifizierungsplan der Betriebsparteien. Zielsetzung ist hierbei, die Verantwortung der Sozialpartner zu stärken. Losgelöst davon werden in der Regel die seitens des Arbeitgebers geplanten Maßnahmen ohnehin Beteiligungsrechte des Betriebsrats auslösen, die es zu wahren gilt. So können beispielsweise die Beteiligungsrechte aus §§ 96 ff. Betriebsverfassungsgesetz wegen Maßnahmen der Berufsbildung eröffnet sein. Mit Blick auf grundlegende organisatorische Veränderungen oder einen Personalabbau wäre ein Interessenausgleich mit dem Betriebsrat zu versuchen und ein Sozialplan zu verhandeln. Auch wenn hierbei ohne Zweifel althergebrachte Instrumente zur Anwendung kommen müssen, ließe sich durch ein Qualifizierungsmodul die Akzeptanz für die Maßnahmen erhöhen. Es wird nämlich das Signal gesetzt, sich auch für Bestandsmitarbeiter einzusetzen. Ob hierbei organisatorisch auf das Instrument eines eigenen Qualifizierungsbetriebs oder gar einer eigenen Qualifizierungsgesellschaft zurückgegriffen wird, muss für den jeweiligen Einzelfall entschieden werden. Zusätzlich könnte das Gesamtkonzept um IT-gestützte mobility Plattformen für die interne und externe Stellenvermittlung ergänzt werden. Für ein Gelingen gilt aber auch hier wie immer: Eine sorgfältige Vorbereitung ist Alles.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren
Daniel Ludwig, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Daniel Ludwig

Der promovierte Jurist Daniel Ludwig ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Wirtschaftskanzlei CMS. Ein Schwerpunkt seiner Beratung liegt in der Lösung von Konflikten mit Gewerkschaften und Betriebsräten beispielsweise im Zusammenhang mit der Nutzung von IT-Systemen und der Einführung agiler Organisationsformen.

Weitere Artikel