Quo vadis, Coaching?

Personalmanagement

Coaching boomt und wird weiterhin boomen. Nur die Themen werden sich zukünftig ändern. So wird beispielsweise Entscheidungs-Coaching an Bedeutung gewinnen.

„Deutschland ist im Coaching-Wahn“ – so beschrieb RTL die Lage der Nation in einer kürzlich ausgestrahlten Reportage. Und es stimmt: Wenn man sich umschaut, vor allem in den sozialen Medien, erwächst der Eindruck: Früher war mehr Lametta – aber mehr Coaching war definitiv noch nie! In erster Linie wächst seit circa fünf Jahren das Angebot an sogenanntem Bindestrich-Coaching. Einfach Coaching – ist out. In ist: Charisma-Coaching, Voice-Coaching, Love-Coaching. Ich erhalte regelmäßig Seminarangebote auf Xing, die sogar das Coachen des Changes zum Inhalt haben.

Diese Offerten sind Ausdruck einer teil-missglückten Professionalisierung des Marktes. Fakt ist: Es gibt viel zu viele von uns. Jedes Jahr werden in mehr oder weniger professionellen Ausbildungen Tausende neuer Coaches herangezüchtet, obwohl der Markt in Deutschland vermutlich nicht mal eine fünfstellige Zahl angemessen ernähren kann. Der Begriff ist nicht geschützt, es gibt kaum Markteintrittsbarrieren. Mehr als eine Homepage und einen Raum mit zwei Stühlen braucht es nicht. Aus dem Druck des Überangebots erwächst – befeuert durch einen Speckgürtel aus Beratern, die sich auf Coach-Marketing spezialisiert haben – der Drang, eine spitze Marktpositionierung zu finden.

Hinzu kommen jede Menge durchaus sinnvoller Angebote, die eigentlich andere Namen tragen, aber umdeklariert wurden, weil Coaching en vogue ist: So findet man zum Beispiel immer weniger Supervisoren und dafür immer mehr Team-Coaches. Und schon haben wir einen bunten Strauß an Offerten für jede (vermeintliche) Zielgruppe – kaum zu durchblicken für Laien auf der Suche nach professioneller Unterstützung.

Es gibt Coaching-Verbände, die mit der Vergabe von Siegeln und mehr oder weniger strengen Ausbildungsstandards Abhilfe schaffen möchten, aber es gibt keinen darunter, der annähernd genug Mitglieder hätte, um als übergreifender Berufsverband zu gelten. Auch hier geht der Trend zur Zersplitterung. Große Unternehmen halten dagegen, indem sie Coaching-Pools aufbauen, in die nur Anbieter aufgenommen werden, die auf Herz und Nieren geprüft wurden. Nun also die Frage: Quo vadis, Coaching?

Ich glaube, das Coaching als Phänomen weiter boomen wird. Glaubt man der Theorie der langen Wellen (Kondratieff-Zyklen), dann wird die psychosoziale Gesundheit der Belegschaften einer der Engpässe für Wirtschaftswachstum im 21. Jahrhundert sein. Burnout mag derzeit ein massenmedialer Hype sein, aber wer Statistiken zum Arbeitsausfall durch psychische Erkrankungen liest, weiß um den ernsten Hintergrund – ganz zu schweigen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Muskel-Skelett-Leiden, die durch psychische Belastung zumindest mit ausgelöst werden.

Als Folge wird betriebliches Gesundheitsmanagement boomen – und auf dieser Welle werden auch Coaching-Angebote mitschwimmen. Dies bedeutet ferner: Der Trend geht zu weichen Themen. Natürlich wird es weiterhin eine Nachfrage für Führungs-Coachings geben. Doch der Bedarf wird eher stagnieren, weil in der „New Work Order“ der Generation Y immer weniger klassische Führungspositionen zu vergeben sind. Stattdessen auf dem Menu: Sinnfindung. Wer bin ich? Was will ich eigentlich? Und warum? Anfang und Ende einer Arbeitsbeziehung rücken stärker in den Fokus: Entscheidungs-Coaching (Welcher Arbeitgeber, welche Rolle passt zu mir?) und Outplacement-Coaching (What´s next?) erhalten Aufwind. In einer überkomplexen, hypervernetzten Welt wird der Leitspruch „Gnothi seauton“ („Erkenne dich selbst“) des Orakels von Delphi zu neuer Blüte gelangen (müssen). Nur, wer sich selbst (gut genug) kennt, wird in einem Kosmos mit schier endlosen Wahlmöglichkeiten längerfristig Freude am Dasein haben.

Wer wird diese Aufgaben übernehmen, wer sollte sie übernehmen? Auch wenn ich den einleitenden Absatz mit spitzer Feder geschrieben habe: Ich glaube nicht wirklich an Siegel und Gutachten – dafür menschelt es in unserem Feld zu sehr. Ich glaube an den Markt. Und eine der wichtigsten Regeln auf dem Markt lautet: Qualität setzt sich durch.

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Dr. Nico Rose, Foto: René Golz, Hamm

Nico Rose

Vice President im Stab des HR-Vorstands
Bertelsmann SE & Co. KGaA
Nico Rose ist Psychologe (WWU Münster) und wurde an der EBS Business School promoviert. Zudem schloss er ein Studium in Positiver Psychologie an der University of Pennsylvania ab. Im Hauptberuf arbeitet er als Vice President im Stab des HR-Vorstands von Bertelsmann. Zudem hält er Keynotes und Workshops an der Schnittstelle von Positiver Psychologie, Führung und Unternehmenskultur. Kontakt: hello@nicorose.de.

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