Rassismus in Unternehmen: Klare Kante zeigen

Recruiting

Andisheh Ebrahimnejad, Managerin für People & Culture bei Kenbi, und Jess Koch, Trainer, Berater und Coach bei HR Pioneers, haben die Kampagne mit ins Leben gerufen. Ein Gespräch

Jess, Andisheh, haben Unternehmen in Deutschland überhaupt ein Rassismus-Problem?

Jess Koch: Ich beginne mal mit einer steilen Behauptung: Mindestens ein Viertel der Deutschen tendiert zu rassistischen Einstellungen und ich bin der Meinung, die Zahlen bleiben konstant. Diese Menschen arbeiten ja irgendwo. Umso wichtiger, dass wir ihnen klarmachen, dass sie mit dieser Einstellung bei uns im Unternehmen kein politisches Zuhause finden.

Andisheh Ebrahimnejad: Rassismus am Arbeitsplatz fängt häufig beim Bewerbungsprozess an, deshalb ist es so wichtig, dass gerade HR-Abteilungen sich damit auseinandersetzen. Wenn man keinen deutschen Namen hat, hat man fast immer schlechte Karten. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Als ich mich zum ersten Mal für ein Praktikum beworben habe, wurde ich als einzige Bewerberin am Telefon vorab interviewt, weil sie sich wegen meines Namens nicht sicher waren, ob ich deutsch kann. Obwohl in meinem Lebenslauf stand, dass ich in Berlin zur Schule gegangen bin und dort Abitur gemacht habe. Von HRler:innen habe ich generell wenig Support bekommen, wenn dann nur von People of Colour in höheren Positionen, die ähnliche Erfahrungen in ihrer beruflichen Laufbahn gemacht haben.

Jess Koch: Ich bin ein Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft und profitiere daher automatisch vom strukturellen Rassismus. Ich habe Vorteile, die Menschen wegen eines schwer aussprechbaren Nachnamens oder ihres Erscheinungsbilds nicht haben. Gerade die weißen Menschen in Entscheidungspositionen sollten sich fragen, wie sie eigentlich dorthin gekommen sind und ob ihr Team divers aufgestellt ist. In den deutschen Personalabteilungen arbeiten nämlich hauptsächlich weiße Menschen.

Was können HR-Abteilungen tun, damit Rassismus im Unternehmen erst gar nicht entsteht?

Jess Koch: Ich finde, Rassismus ist eigentlich immer da, sowohl im Privatleben als auch im Arbeitsleben, das wollen wir „Weißen“ uns nur nicht eingestehen.

Was lässt sich dagegen tun?

Jess Koch: Wir alle haben einen gewissen Bias erlernt und entwickelt. Daraufhin sollte HR sich auch selbst überprüfen. Wenn es darum geht, wen wir einstellen oder welche Karrieren wir intern fördern, entscheiden wir mit gewissen Vorurteilen gegenüber allen, die nicht zur eigenen Gruppe gehören. Wichtig ist, sich darüber überhaupt bewusst zu werden. HR-Verantwortliche sollte sich auch fragen, warum es überhaupt Gesetze wie das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) gibt, statt sich wie damals, 2007, nur über den Verwaltungsaufwand und sogenannte AGG-Hopper zu beklagen. Ein wichtiger Schritt wäre, offen Stellung zu beziehen und klar zu zeigen, dass Rassismus im Unternehmen keinen Platz hat.


Über die Initiative:

Die Kampagne #hrespect unter dem Motto „Love HR, hate Racism“ verfolgt das Ziel, Personaler:innen, HR-Verantwortliche, Führungskräfte und alle aus dem Recruiting für das Thema Rassismus und Rechtspopulismus zu sensibilisieren. Gestartet von Andisheh Ebrahimnejad, Curley Fiedler, Yvonne Kalthöfer, Jess Koch und Eva Stock, soll die Initiative #hrespect eine Plattform für den Austausch bieten und es erleichtern, offen Haltung zu zeigen. Weitere Informationen unter hrespect.de.


Andisheh Ebrahimnejad: Für sehr homogene Unternehmen wäre es wichtig, sich zu überlegen, wie man Menschen unterschiedlicher Religionen, Hautfarben und Nationalitäten auf das Unternehmen aufmerksam macht. Es reicht nicht, ein paar Sätze über Diversity auf die Karriereseite zu schreiben. Unternehmen sollten vor allem intern eine heterogene Unternehmenskultur unterstützen. Wenn bereits ein paar Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe oder Herkunft in einem Unternehmen arbeiten, heißt das noch lange nicht, dass die Unternehmenskultur antirassistisch ist. Ein Beispiel: Wir haben gerade Ramadan, das bedeutet Muslim:innen essen und trinken den ganzen Tag nichts. Viele von uns verschweigen das vor den Kolleg:innen oder überlegen uns eine Ausrede, warum wir nicht mit in die Mittagspause kommen, weil wir Angst haben, mit unserer Religion nicht in die Unternehmenskultur zu passen. Es ist Aufgabe der HR, auf muslimische Mitarbeitende zuzugehen und ihnen zu zeigen, dass sie ihre Religion frei ausleben können. Man könnte einen kurzen Beitrag über Ramadan mit der Belegschaft teilen und sie um Rücksicht bitten.

Jess Koch: Wir feiern ja in den Unternehmen auch ganz selbstverständlich Weihnachten. Ich habe schon öfter gehört, dass Menschen mit anderem Glauben das Gefühl haben, dass sie mit ihren Feiertagen nicht vorkommen. Und entsprechend auch nicht dazu gehören.

Die Initiator:innen der Kampagne treffen sich zur Zeit coronabedingt ausschließlich online. © #hrespect

Wie können Unternehmen auch nach außen zeigen, dass sie Vielfalt leben und sich gegen Rassismus einsetzen?

Jess Koch: Sie sollten klare Kante zeigen und sowohl der eigenen Belegschaft als auch Kund:innen klarmachen, wo sie stehen – und dabei auch mal in Kauf nehmen, dass das nicht immer gut ankommt. Den Preis sollte man gewillt sein, zu bezahlen. HR muss lernen, unbequem zu werden.

Bedeutet das, dass sie potenzielle Arbeitskräfte nicht einstellen oder auch Zusammenarbeit ablehnen, wenn rassistische Tendenzen bemerkt werden?

Andisheh Ebrahimnejad: Meiner Meinung nach, ja. Ich finde es wichtig, dass man null Toleranz gegenüber Rassismus zeigt. Für Personen, die nicht akzentfrei deutsch sprechen, ist es zum Beispiel schwer, einen Job im Sales-Bereich zu bekommen, weil das angeblich bei den Kunden schlecht ankommt – wir sollten aber umgekehrt sagen, dass wir einen Kunden nicht brauchen, der ein Problem mit den Akzenten von Sales-Mitarbeitenden hat. Es ist wieder eine HR-Aufgabe, das Team darin zu schulen, dass sie Rassismus nicht tolerieren sollen.

Es gibt also Hoffnung?

Andisheh Ebrahimnejad: Was mir Hoffnung macht, ist die jüngere Generation. Vor allem die Junior-Mitarbeiter:innen, Werkstudent:innen und Praktikant:innen sind super aufgeschlossen, sie beschäftigten sich auch privat mit Themen wie Rassismus und Diskriminierung, auch wenn sie weiß sind. HR kann die Expertise und das Engagement des Teams nutzen, um sich gemeinsam gegen Rassismus im Unternehmen stark zu machen. Sie könnten zum Beispiel gemeinsam ein Diversity Taskforce gründen und das Team über Rassismus in Deutschland informieren und aufklären sowie Tipps für Bücher und Workshops zum Thema teilen.

Andisheh, auf eurer Website zitierst du die Bürgerrechtlerin Angela Y. Davis mit der Forderung, wir sollten alle nicht nur nicht rassistisch, sondern antirassistisch sein. Worin liegt der Unterschied?

Andisheh Ebrahimnejad: Viele Menschen denken, es reicht, wenn sie sich nicht rassistisch äußern und sich von rechten Kreisen fernhalten. Aber man kann Rassismus nicht bekämpfen, indem man schweigt und ihn ignoriert. Gerade Menschen, die selbst nicht davon betroffen sind, sollten sich aktiv gegen Rassismus positionieren. Ein Beispiel dafür ist die Arbeit meiner Mitstreiter:innen Curley, Eva, Jess und Yvonne. Sie sind nicht von Rassismus betroffen, sind sich aber ihrer Privilegien bewusst und haben sich klar dafür entschieden Haltung zu zeigen.

Jess Koch: Für mich bedeutet antirassistisch zu sein, sich selbst und das eigene Verhalten zu hinterfragen, sich der Konsequenzen von Rassismus bewusst zu machen und zu merken, wo man ihn selbst verinnerlicht hat. Und jeden Tag bereit zu sein, Stellung zu beziehen. Deshalb bin ich 2019 mit dem T-Shirt mit der Aufschrift „Love HR, hate Racism“ auf die Messe Zukunft Personal gegangen. Damals lief der NSU-Prozess, da war die rassistisch motivierte Menschenjagd in Chemnitz, und die AfD lag in Umfragen bundesweit bei 20 Prozent. Mir persönlich waren die antirassistischen Stimmen viel zu leise. Mit unserer Kampagne wollen wir es HRler:innen so leicht wie möglich machen, offen Stellung zu beziehen. Sie können zum Beispiel unseren Hashtag #hrespect verwenden, unser Logo auf ihrer Website einbinden oder unsere T-Shirts mit der Aufschrift „Love HR, hate Racism“ tragen, gerne auch in einem Bewerbungsgespräch. Damit zeigt man einerseits den von rassistischer Diskriminierung betroffenen Personen, dass sie im Unternehmen willkommen sind, aber auch möglicherweise fremdenfeindlichen Menschen, dass sie mit ihrer Einstellung fehl am Platz sind. Vielleicht kann HR auch andere Abteilungen dazu motivieren, ähnliche Botschaften zu tragen. Wie wäre es zum Beispiel mit T-Shirts, auf denen „Love Marketing, hate Racism“ oder „Love Sales, hat Racism“ steht?

Zu den Gesprächspartner:innen:

© Andisheh Ebrahimnejad

Andisheh Ebrahimnejad ist als Managerin People & Culture beim Healthcare Start-up Kenbi für den Aufbau der Unternehmenskultur verantwortlich. Sie ist im Iran geboren und in Berlin aufgewachsen. Ihre Expertise über Rassismus berührt hauptsächlich auf persönliche Erfahrungen, von der Schulzeit bis hin zum Berufsleben im HR.

© Jess Koch

Jess Koch ist agiler Trainer, Berater undCoach bei den HR Pioneers. Der gelernte Speditionskaufmann und diplomierte Wirtschaft- und Arbeitsjurist fand zum Ende seines Studiums den Weg insPersonalwesen. Unter anderem durch sein Wirken bei der Deutschen Gesellschaft fürPersonalführung reifte er zum Change-Experten, der als Leiter diverser Arbeitsgruppendie Neuausrichtung an vorderster Spitze vorantrieb.

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Senta Gekeler, Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager

Senta Gekeler

Senta Gekeler ist freie Journalistin. Sie war von 2018 bis 2023 Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager.

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