Schrittweise zur Innovation

Leadership

Lange Zeit wurde der Begriff der Agilität nur mit IT und Softwareentwicklung verbunden. Mittlerweile findet man ihn immer mehr auch in anderen Bereichen. Denn die Dynamik des Business verlangt nach neuen Antworten, was sich ebenfalls auf HR auswirkt.

Ein kniffliger Fall: In einer Pflegeeinrichtung haben vier neue Bereichsleiter angefangen – alle ohne Führungserfahrung. Es knirscht an allen Ecken. Ganz konkret stehen beispielsweise Personalgespräche an, die die neuen Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern führen sollen. Keine von ihnen hat das je gemacht. Trainings sind nötig. Doch solche durchzuführen, ist gar nicht so einfach. Aufgrund der Personalsituation können Mitarbeiter nicht tageweise aus dem Betrieb genommen werden, auch am Wochenende wird gearbeitet. Was allerdings geht: einmal die Woche zwei Stunden. Die Trainings werden in Häppchen zerlegt und quasi dem Betriebsalltag angepasst. Zwischen den Sitzungen soll das Gelernte im Joballtag erprobt und die praktischen Erfahrungen wiederum mit ins nächste Training genommen werden. Der Coach und Trainer, der die Weiterbildung für die Führungskräfte der Pflegeeinrichtung ausgearbeitet hat, ist Reinhard Schmitz. Er gehört zu der zunehmenden Zahl an Trainern und HRlern, die der Meinung sind, dass Personalentwicklung neu gedacht werden muss. „Sie muss kontinuierlich stattfinden, individualbezogen und am Bedarf orientiert sein“, sagt Schmitz. Entscheidend ist dabei das iterative Vorgehen: Trainings und Praxisphase wechseln sich ab.

Die klassische Personalentwicklung, die zum Beispiel mal wieder im Rahmen des Nachwuchsförderprogramms ein Peter-Drucker-Seminar anbietet, greift da in den Augen mancher Kritiker oftmals zu kurz. Das sieht auch Dirka Bender so. Sie leitet die Personalentwicklung und das Talent Management bei dem Online-Versandhändler Zalando. „Klassische Personalentwicklung stößt schnell an Grenzen: zu starr, häufig am Bedarf vorbei, wenig Transfer in den Alltag.“ Zalando sieht sich da flexibler und praxisnäher aufgestellt. Die Weiterentwicklung der Mitarbeiter soll bei dem jungen Unternehmen insbesondere „on the job“ stattfinden. „Wir haben viele Formate, die das unterstützen“, sagt Dirka Bender. Dazu gehören beispielsweise Jobrotationen oder Mentoren im Rahmen des Onboardings. Und es gibt einmal im Monat das sogenannte Leadership-Lab, bei dem die Führungskräfte zusammenkommen. Dort findet dann auch eine kollegiale Fallberatung zusammen mit einem Coach aus dem HR-Team statt. „Außerdem setzen wir stark auf den Netzwerk-Gedanken.“ Es wird viel Wert darauf gelegt, dass Mitarbeiter die Projekte aus den jeweils anderen Bereichen kennen.

Individuell abgestimmte Weiterbildung

Es gibt für jeden Beschäftigten von Zalando einen individuellen Entwicklungsplan, der für die nächsten sechs Monate zählt. Darauf aufbauend werden die Maßnahmen definiert – vom Mitarbeiter in Abstimmung mit seiner Führungskraft. Dabei sollen On-the-Job-Maßnahmen circa 80 Prozent ausmachen, off-the-job in Form von Trainings etwa 20 Prozent. Die Trainings werden nicht selten von anderen Mitarbeitern durchgeführt, zumindest wenn es um Fachwissen geht. „Für den Technology-Bereich oder das Category Management gibt es fachspezifische Curricula, hierfür haben wir einzelne Mitarbeiter aus dem jeweiligen Bereich zu Trainern ausgebildet“, erklärt die Talent Management-Verantwortliche. Und zu den Trainings finden jedes Mal sogenannte Refresher statt, man tauscht sich über das Gelernte und die Anwendung in der Praxis aus. „Es gibt bei Zalando viele schnelle Veränderungen, deshalb ist der Austausch sehr wichtig.“ Nichtsdestotrotz gilt bei dem Online-Händler wie bei wohl den meisten Unternehmen: Die Trainings setzen gute Impulse, das eigentliche Lernen findet aber während der Arbeit statt.

Zalando ist nicht nur ein schnell wachsendes Unternehmen, sondern auch in einer dynamischen Branche tätig. Gerade ist man aus der Startup-Phase hinausgewachsen. Erst seit 2012 gibt es den Bereich der Personalentwicklung. Doch auch wenn alles schneller gehen muss, ist die Weiterentwicklung der Mitarbeiter trotzdem wichtig, oder vielleicht gerade deswegen. Zalando bewegt sich in einem Markt, in dem der Druck besonders groß ist, innovativ zu sein – und das möglichst schnell. Gerade IT-Firmen kennen das seit Jahren. Sie brauchen Alternativen zur traditionellen Personalentwicklung. Und diese Alternative hat einen Namen: Agiles HR oder spezifischer, agile Personalentwicklung.

Für manche ist das Agilitätskonzept alter Wein in neuen Schläuchen. Das mag zum Teil stimmen. Viele Unternehmen haben bereits ihre Personalentwicklung umgekrempelt, einfach Seminarkataloge aufsetzen ohne Anbindung an die Unternehmensstrategie ist von gestern.

Seinen Ursprung hat das Agilitätskonzept im IT-Bereich. Auch Reinhard Schmitz hat es dort kennen gelernt, denn er hat früher bei dem Softwareentwickler Avid gearbeitet. „Dort haben wir von der Waterfall-Methode auf agile Softwareentwicklung umgestellt.“ Bei dieser wird der Weg zur Lösung in gut überprüfbare Schritte zerlegt und die Anforderungen an das Produkt werden nicht alle sofort festgelegt, sondern nach jeder Lieferung der Produktfunktionalitäten neu bewertet und bei Bedarf angepasst. Dieses Vorgehensmodell der Softwaretechnik nennt sich Scrum und geht von der Annahme aus, dass Entwicklungsprojekte heute zu komplex sind, um durchgängig planvoll umgesetzt werden zu können. „Im Prinzip hat der Prozess kein Ende, es ist ein Prozess der kontinuierlichen Verbesserung“, sagt Schmitz.

Neues Lern-Verständnis

Aber es geht um mehr als Prozesse und Strukturen. Es geht um ein grundlegend neues Verständnis davon, wie wir lernen und wie wir arbeiten wollen. Es stellt sich die Frage nach der Unternehmenskultur und sie betrifft das Bild, das von Menschen in den jeweiligen Organisationen herrscht. Ohnehin betrifft das Thema das Unternehmen in Gänze. Es geht sozusagen um agiles Unternehmertum.

„Agilität zielt vor allem auf Selbstorganisation und auf ein selbstverantwortliches Arbeiten“, sagt Denise von Gloeden, Beraterin bei HR Pioneers, eine Beratung, die sich dem Agilitätskonzept verschrieben hat. „In klassischen Unternehmen arbeiten die Mitarbeiter mehr für die Geschäftsführung, in agilen Unternehmen wird die Pyramide auf den Kopf gestellt: Die Führungskräfte werden als Dienstleister gesehen, die für die Mitarbeiter die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen.“ Und auch Scrum kann nur funktionieren, wenn die richtige Kultur vorherrscht. „Scrum spiegelt gut den Wertewandel wieder, der generell im Business passiert. Werte wie Respekt und Offenheit sind in Unternehmen sehr wichtig geworden“, sagt Denise von Gloeden, „Scrum geht von einem positiven Menschenbild aus, nämlich dass die Mitarbeiter intrinsisch motiviert sind und die Führungskräfte ihnen vertrauen. Es gibt einen Dialog auf Augenhöhe und kein ‚Command and Control‘. Die Ergebnisse stehen im Vordergrund, nicht die Kontrolle darüber, wie das Team die Ergebnisse erreicht.“

Ursprung in der IT

Und mittlerweile greift die Idee von Scrum von der IT auf andere Unternehmensbereiche über, so auch bei Zalando. „Der Technologie-Bereich arbeitet viel mit agilem Projektmanagement, mit der Scrum-Methode“, sagt Dirka Bender, „einzelne Teile sind in einigen Bereichen des Unternehmens wiederzufinden.“ Bei Haufe-umantis sind das beispielsweise sogenannte Cross-Functional-Teams. Es wird bei dem Softwareentwickler zum Beispiel keine funktionale Trennung mehr zwischen Design, Entwicklung, Testing oder Dokumentation gemacht, die sich in der Wertschöpfungskette hintereinander einer Aufgabe widmen. Sondern alle Rollen, die benötigt werden, finden sich in einem Team wieder, alle Disziplinen sind also in einem Raum. So werden Schnittstellen optimiert.

Der Talent-Management-Softwareentwickler Haufe-umantis hat die Scrum-Idee besonders umfassend umgesetzt. Die Firma wächst rasant – in Deutschland nach eigenen Angaben mit über 100 Prozent. Vor zwei Jahren wurde sie von der Haufe-Gruppe gekauft. Doch das wirklich Erstaunliche an dem Unternehmen ist nicht das Wachstum, sondern vielmehr, dass es sich für die konsequente Einbeziehung von Mitarbeitern stark macht und das auch selbst lebt. Dabei geht es CEO Marc Stoffel nicht in erster Linie um glücklichere Mitarbeiter, sondern um Erfolg. „Wir müssen unter einem großen Innovationsdruck bestehen und sind einer zunehmenden Wettbewerbsdichte ausgesetzt.“

Als die Innovationsfähigkeit in Gefahr geriet, hat man den Strategieprozess vor sechs Jahren umgedreht. Die Festlegung von strategischen Zielen, von Produkten und finanziellen Eckpunkten, wird seitdem komplett bottom-up durchgeführt. Der Prozess wird mit Hilfe von Abstimmungs-Software und Workshops umgesetzt. „Man hat so einen agileren Blick auf die Strategie, weil Leute mitreden, die draußen am Markt sind und den Kunden verstehen“, sagt Stoffel. Er ist davon überzeugt, dass sich demokratische Elemente in immer mehr Unternehmen in der Zukunft wiederfinden werden. „Für eine Geschäftsführung ist es nicht mehr so einfach in komplexen Märkten das Richtige zu tun, deshalb muss die Organisation einbezogen werden.“

Demokratisch entscheiden

Haufe-umantis lässt die Mitarbeiter jedoch nicht nur bei der Strategieentwicklung mitreden. So entscheiden seit drei Jahren nicht mehr HR und die Führungskräfte über Neueinstellungen, sondern die Teams. „Die Teams fühlen sich für die Personalplanung und das Rekrutieren verantwortlich und treffen Entscheidungen demokratisch“, sagt der CEO, „wenn 80 Prozent dafür sind, hat das größere Qualität, als wenn ein Einzelner das sagt.“ Und die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter hat den gewünschten Nebeneffekt, dass nun mehr über die persönlichen Netzwerke der Beschäftigten rekrutiert wird. Die Mitarbeiter entscheiden auch, wer ihr Chef ist. „Ein agiles oder fluides Unternehmen bedeutet auch, dass wir für die Phase, die uns bevorsteht, die richtigen Führungskräfte wählen.“ Im vergangenen Jahr wurde Marc Stoffel als Firmenchef gewählt und im November die gesamte Führungsmannschaft. Und es ist klar, dass die Führungskräfte in ihrer jeweiligen Position nur für eine bestimmt Zeit gewählt worden sind – wie das auch in der Demokratie üblich ist. „Die Leute müssen die Größe haben, wenn sie nicht mehr die Richtigen sind, einen Schritt zurückzutreten und dann an anderer Stelle die Kompetenz einzubringen, wo sie besser angebracht ist.“

Was bleibt in so einem agilen Unternehmen eigentlich für HR? „HR hat vor allem die Aufgabe, das agile Mitunternehmertum in die Organisation zu bringen.“ Denn für Marc Stoffel ist es überhaupt keine Frage, dass die Organisationen der Zukunft agile, fluide Netzwerke sein werden.

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