Sonderzahlungen sind auf Mindestlohn anrechenbar

Arbeitsrecht

Das Bundesarbeitsgericht hat sich wohl erstmalig mit dem seit 2015 geltenden Mindestlohn befasst. In dem Streitfall ging es um die Frage, inwiefern Arbeitgeber pauschale Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld in den Mindestlohn einrechnen dürfen. Dazu entschied das BAG: Sind die Sonderzahlungen als Vergütung zu werten, können sie in die Berechnung der Lohnuntergrenze von 8,50 Euro je Zeitstunde einfließen.

Den Präzedenzfall vor Gericht gebracht hatte eine Klinikangestellte aus Brandenburg. Die Frau wollte sich nicht damit abfinden, dass sie mit Geltung des Mindestlohngesetzes keine zusätzlichen Bezüge mehr erhielt. In ihrem Arbeitsvertrag waren neben dem Monatsgehalt Lohnzuschläge wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld vereinbart, die die Arbeitgeberin monatlich zu je einem Zwölftel auszahlte. Ab Anfang 2015 hatte die Arbeitgeberin das Urlaubs- und Weihnachtsgeld in das Gehalt eingerechnet, um den gesetzlichen Mindestlohn einzuhalten. Die Angestellte verlangte allerdings 8,50 Euro pro Stunde zuzüglich der Sonderzahlungen – sowohl vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg als auch dem Bundesarbeitsgericht ohne Erfolg.

Rechtlicher Hintergrund
Rechtlicher Hintergrund der Entscheidung ist die Auffassung des BAG, wonach alle Zahlungen, die der Arbeitgeber als Entgelt für die von dem Arbeitnehmer arbeitsvertraglich erfüllten Dienstleistungen erbringt und auf die ein Arbeitnehmer damit Anspruch hat („Austauschverhältnis“), jeweils auf den Mindestlohn angerechnet werden können. Etwas anderes gilt nur dann, wenn etwa Urlaubsgeld dazu dienen soll, erhöhte Urlaubsaufwendungen zumindest teilweise abzudecken. Das Urlaubsgeld ist dann keine weitere Gegenleistung für die erbrachte normale Arbeitsleistung, sondern gerichtet auf die Wiederherstellung oder den Erhalt der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers und damit nicht anrechenbar.

Das bedeutet auch, dass das BAG in dem Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn zwar eine eigenständige Anspruchsgrundlage erkennt. Diese tritt aber nur neben die bisherige (arbeitsvertragliche) Anspruchsgrundlage, ohne diese zu verändern. So zählen auch die in jedem Kalendermonat oder zu einem bestimmten Fälligkeitstermin geleisteten Sonderzahlungen als Entgelt für die Arbeitsleistung und haben damit Erfüllungswirkung. Einen Anspruch darauf, den Mindestlohn gleichsam als Grundlohn zu bekommen, ohne auf zusätzliche (Sonder-)Zahlungen verzichten zu müssen, hat ein Arbeitnehmer im Ergebnis also nicht.

Bedeutung der Entscheidung
Wichtig an der Entscheidung ist die Klarstellung des BAG, dass sich das Mindestlohngesetz auf alle Entgeltzahlungen des Arbeitnehmers bezieht. Es geht nicht darum, per se das Gesamteinkommen von Geringverdienern zu verbessern, sondern eine untere Grenze für die Entlohnung der geleisteten Arbeit zu garantieren. Arbeitgeber, die in der Summe von Grundgehalt und vertraglich garantierten Sonderbezügen die 8,50 Euro-Schwelle erreichen, erfüllen dieses Entgelt-Ziel bereits.

Sind Urlaubs- und Weihnachtsgeld vertraglich als Lohnbestandteile vereinbart, ist es selbst unter AGB-Gesichtspunkten unerheblich, ob der Arbeitgeber sie monatlich oder als Einmalzahlung auszahlt. Entscheidend bleibt, dass sie als Entgelt für tatsächliche Arbeitsleistungen dienen und unwiderruflich dem Arbeitnehmer zukommen. Selbst auf die Bezeichnung einer Entgeltzahlung („Sonderzuwendung“, „Zuwendung Weihnachtsgeld“ etc.) kommt es nicht an, wenn nur der Entgeltcharakter deutlich im Vordergrund steht.

Sonstige Zahlungen
Etwas anderes gilt demnach für Zahlungen, die gerade keinen unmittelbaren Bezug zur geleisteten Arbeit haben, oder ohne Rechtsgrund geleistet werden. Wie das BAG betont, gilt der gesetzliche Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde. Gewährt der Arbeitgeber leistungsunabhängige Gratifikationen, sind diese von einer Anrechnung ausgeschlossen. Würde also anders als im Fall der Klinikangestellten kein 13. Gehalt als Entgelt vereinbart, sondern zahlt der Arbeitgeber ein Urlaubsgeld zur Ferienzeit oder erst nach einer Wartezeit oder ist eine Rückzahlung der Sonderzahlung verabredet, erhält der Arbeitnehmer diese Zahlung dann zusätzlich zum (Mindest-)Lohn.

Nicht angerechnet werden auch Entgeltzahlungen, auf die kein Anspruch besteht. Auf Trinkgelder (in welcher Branche auch immer) besteht kein Recht. Also handelt es sich insoweit regelmäßig nicht um im Sinne des Mindestlohns anrechenbare Sonderzahlungen. Sind vermögenswirksame Leistungen vereinbart, findet ebenfalls keine Anrechnung statt, weil das Ziel der Vermögensbildung wohl vorrangig zu sehen ist, nicht der Entgeltcharakter. Für Aufwandsentschädigungen gilt, dass der Entgeltcharakter für eine erbrachte Arbeitsleistung fehlt; es soll „nur“ der geleistete (Mehr-)Aufwand abgefunden werden.

Auch gesetzlich garantierte Zuschläge wie Nachtarbeits-, Sonntags- oder Feiertagszuschläge, Lärm-, Gefahren- und Schmutzzulagen oder Akkord- und Qualitätsprämien sind unabhängig vom Mindestlohn zu zahlen. Denn dieser Stundenlohn ist das dem Nachtarbeitnehmer zustehende Bruttoarbeitsentgelt und dieser Stundensatz ist dann eben mit einem angemessenen Zuschlag nach § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz zu versehen.

Gestaltungsmöglichkeiten
Sofern noch nicht mit Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes geschehen, sollten Arbeitgeber bestehende Verträge daraufhin überprüfen, wie darin Sonderzahlungen geregelt sind. Wollen sie sicherstellen, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld angerechnet werden können, sollten sie den Entgeltcharakter herausstellen („Das Urlaubsgeld wird im Austausch für die erbrachte Arbeit zur Mitte des Kalenderjahres gezahlt …“) und auf jede Widerrufsmöglichkeit („Für den Fall des Ausscheidens vor Ablauf des Kalenderjahres …“) oder Einschränkung der Sonderzahlung („erst nach Ablauf von 6 Monaten“) verzichten.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren

Andreas Seidel

Weitere Artikel