Tratschen am Arbeitsplatz: Was steckt dahinter?

Personalmanagement

Wir alle kennen Sätze wie „Wusstest Du, dass Paul in der Sitzung wieder laut geworden ist?“ oder „Es ist nicht leicht, von Lisa eine schnelle Antwort zu erhalten“ – und wir alle verwenden sie. Tratschen ist so alt wie die Menschheit selbst und fester Bestandteil unseres täglichen Austauschs, auch am Arbeitsplatz. Bekanntlich genießt es keinen guten Ruf. Aber ist Tratschen tatsächlich immer schlecht? Und was können wir tun, um es in Grenzen zu halten?

Tratschen hat auch Vorteile

Man definiert Tratschen als eine informelle, oft wertende Unterhaltung über Abwesende. Rund eine Stunde verbringen wir damit täglich, Chats und Emails noch nicht eingerechnet (diese Zahlen dürften sich seit der Corona-Pandemie weiter ins Digitale verschoben haben). Was so verbreitet ist, so häufig geschieht und seit so langem besteht, das hat gewöhnlich auch positive Seiten. Und tatsächlich zeigt die Forschung, dass Tratschen drei Funktionen verknüpft, die für uns Menschen von großer Bedeutung sind:

1.) Durch Tratschen verstärken wir den Zusammenhalt der Gruppe, indem wir indirekt Regeln abgleichen. Dabei kann es sich um Zustimmung handeln („Klaus ist hier so beliebt, weil er immer ein offenes Ohr hat.“) oder um Ablehnung („Er ist schon wieder zur Chefin gerannt, statt uns zu fragen.“).

2.) Tratschen fördert den Wissensaustausch. Es hilft uns, an Informationen zu gelangen, die uns nicht direkt zugänglich sind, oder deren offizieller Version wir nicht trauen („Die haben doch längst beschlossen, die Mittel dafür zu streichen.“). Dazu gehören auch unausgesprochene Erwartungen („Hans hält übrigens große Stücke auf Pia.“), Empfindlichkeiten („Sprich das auf keinen Fall bei Alma an!“) oder Kompetenzen („Damit gehst du am besten zu Sara, die macht das gerne.“).

3.) Tratschen hilft uns, unseren Status in der Gruppe zu bestimmen und zu verbessern, insbesondere durch den Vergleich mit anderen („Also ich erledige solche Sachen ja immer sofort.“).

Zu den Gründen, zu tratschen, zählt natürlich auch das Bedürfnis, Dampf abzulassen („Ich war so sauer, als Werner wieder später kam.“). Auch deswegen kann leicht der Eindruck entstehen, beim Tratschen gehe es vor allem um negative Dinge. Untersuchungen zeigen jedoch, dass drei Viertel des Tratschens eher neutraler Natur sind, wobei unter den übrigen Beiträgen die negativen (15 Prozent) die positiven (10 Prozent) leicht überwiegen.

Tratschen als Symptom und Ursache für mangelhafte Feedbackkultur

Aber Tratschen ist nicht nur deshalb umstritten, weil es sich auch um Negatives dreht. Es ist vor allem bedenklich, weil es eine Abwärtsspirale erzeugen kann, gerade am Arbeitsplatz: Je mehr ich tratsche, weil ich glaube, mich nicht anders austauschen zu können, umso mehr etabliere ich es als Kommunikationskanal. Dies schafft eine Atmosphäre des indirekten Miteinanders und des Misstrauens, was wiederum das Tratschen verstärkt. So kann Tratschen zugleich Symptom und Ursache für eine mangelhafte Feedbackkultur sein.

Das können Sie tun

Ganz zu vermeiden ist Tratschen nie, nicht zuletzt, da seine Vorteile zu groß für uns sind. Aber es lässt sich verringern. Dabei helfen vor allem strukturelle Lösungen, aber auch Dinge, die wir in der konkreten Situation tun können. Hier sind einige Tipps dazu:

Bei Führungskräften fällt oft der Satz: „Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn etwas ist“. Das mag gut gemeint sein, enthält aber viele Unbekannte, die erschweren, dass das Angebot auch angenommen wird: Wann genau darf ich kommen? Womit wirklich? Wie soll ich mich ausdrücken? Welche Folgen hat das für mich? – Solchen Unsicherheiten begegnen Sie durch die regelmäßige Durchführung von strukturierten Feedbackgesprächen (One-on-Ones). Diese sollten häufig stattfinden, damit Gefühle sich nicht aufstauen und andere Kanäle suchen. Außerdem trainiert eine hohe Frequenz das Geben und Nehmen von Feedback, während die Regelmäßigkeit Ängste senkt, die sich oft mit ad hoc angesetzten Terminen verbinden („Oh Gott, was will die jetzt wieder von mir!“). Zur Struktur solcher Gespräche gehören zwei Dinge: zum einen Wechselseitigkeit, das heißt auch die Führungskraft fragt, wo sie sich verbessern kann oder wo Informationsbedarf besteht, und zum anderen Ausgewogenheit: Nicht nur Verbesserungsmöglichkeiten werden angesprochen, sondern auch Wertgeschätztes und Erfolge.

Tratschen wird oft dadurch begünstigt, dass wir die andere Person nicht wirklich kennen. Wenn ihr Verhalten uns irritiert, entscheiden wir im Zweifel gewöhnlich gegen sie und unterstellen ihr böse Absichten oder schlechte Eigenschaften. Versuchen Sie sich hier an die Worte Abraham Lincolns zu halten. Der soll gesagt haben: „Ich mag ihn nicht, ich sollte ihn besser kennenlernen.“ Für die Praxis heißt das: Schaffen Sie Situationen, in denen sich die Mitarbeitenden in anderen Kontexten erleben können. Das beseitigt oft Vorurteile und lockert eingefahrene Meinungen. Solche Begegnungsmöglichkeiten sind zum Beispiel Teambuilding-Events, Lunch-Lotterien, Family Days, Workshops oder Warm-ups vor Meetings.

Gerade neue Mitarbeiter:innen sind oft unsicher, wie sie sich verhalten sollen, und suchen daher schnell inoffizielle Kanäle. Dies können Sie verringern, indem Sie abteilungsübergreifende Onboarding-Programme durchführen und ihnen darüber hinaus Mentor:innen an die Seite stellen.

Maßnahmen, die Sie in der konkreten Situation ergreifen können („Ich finde falsch, dass wir darüber tratschen.“), sind oft weniger erfolgreich, da Sie damit riskieren, vom Flurfunk ausgeschlossen zu werden. Zumindest in einigen Situationen kann aber eine einfache Frage hilfreich sein: „Hast du schon einmal mit … darüber gesprochen?“ gefolgt von „Was würde das leichter machen für dich?“. Entscheidend ist hierbei, dass diese Frage nicht als Verurteilung, sondern mit Verständnisinteresse gestellt wird. Hin und wieder findet man gemeinsam Lösungen, auf die betreffende Person einmal anders oder gemeinsam zuzugehen, oder man stößt auf Befürchtungen, die sich bei genauerem Hinsehen zerstreuen.

Kurz: Was Tratschen verringert, hilft in der Regeln auch allgemein dabei, die Unternehmenskultur zu verbessern. Daher kann es sich lohnen, für Veränderungen konkret beim Tratschen anzusetzen.

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(c) cphotographyberlin

Stephan Pfob

Stephan Pfob ist Smart Work Guide, Co-Founder von Berlin Alley und Co-Autor von "Wertschätzung. Ein Praxisbuch". Davor war er unter anderem als Informationsdesigner, als Lehrer und in der Verwaltung tätig. Seit dem Studium der Philosophie forscht und berät er zu Fragen des Sinns und den Grundlagen unseres Denkens.

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