Umbau zur Change-Abteilung

Employer Branding

In Deutschland könnte es im Jahr 2025 oder später zu Vollbeschäftigung kommen. Personaler sehen sich dadurch mit völlig neuen Vorzeichen konfrontiert – und müssen die klassische Personalarbeit infrage stellen. Entweder sie werden zum entscheidenden Akteur für den Unternehmenserfolg – oder sie werden überflüssig. Das sagt der Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky, der in seinem neuen Buch beschreibt, wie die HR-Strategien in der neuen Arbeitswelt aussehen könnten.

Herr Janszky, Sie sprechen in Ihrem Buch von 2 bis 5,2 Millionen unbesetzbaren Stellen im Jahr 2025. Glauben Sie nicht, dass wir die Lücke durch Zuwanderung und eine stille Reserve schließen können?
Leider nein. Natürlich ist eine liberale Zuwanderungspolitik in den heutigen globalisierten Zeiten ganz wichtig. Aber bei der Frage, wie viele qualifizierte Zuwanderer zu erwarten sind, zeigen unsere Zukunftsstudien einen Szenarien-Korridor von 400.000 bis 800.000 in den nächsten zehn Jahren. Dies verändert sich auch nicht durch die aktuell gestiegenen Zuwanderungszahlen. Das Phänomen ist eindeutig: Die Zahl der minderqualifizierten Zuwanderer steigt, die Zahl der gutqualifizierten steigt nicht. Dies ist auch verständlich: Wenn Sie heute in Indien über eine Auswanderung nachdenken, dann haben sie so viele attraktive Optionen in englischsprachigen Ländern, dass Ihnen gar nicht in den Sinn kommt, sich mit der komplizierten deutschen Sprache herumzuärgern. Geschweige denn mit der deutschen Bürokratie. Auf der anderen Seite sind wesentliche Nischen-Länder mit hoher Deutschland-Affinität von unseren Recruiting-Strategien noch gar nicht entdeckt.

Die bisherige Personalarbeit findet in der Regel vor dem Hintergrund eines Überangebots an Arbeitskräften statt. Das wird sich grundlegend ändern. Haben Sie nicht den Eindruck, dass viele die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt schon wahrnehmen? Die meisten Unternehmen werben für sich als Arbeitgeber. Manche lassen sich richtig was einfallen.
Natürlich. Der Fachkräftemangel hat sich inzwischen herumgesprochen. Dennoch ist die heutige Situation nur ein laues Lüftchen im Vergleich zu dem aufziehenden Sturm im HR-Bereich. In Deutschland verlieren wir in den kommenden zehn Jahren 6,5 Millionen arbeitende Menschen aufgrund der demografischen Entwicklung. Das führt in eine Situation des dauerhaften Mitarbeitermangels. Optimistische Studien sagen: 2025 wird es 2 Millionen Mitarbeiter zu wenig geben, die Pessimisten sagen 5,2 Millionen. Die Situation lässt sich mit einem einfachen Vergleich beschreiben: Arbeitgeber, die sich richtig etwas einfallen lassen, erhalten heute noch eine Vielzahl von Bewerbungen auf eine Stelle, aus der sie sich die besten aussuchen. Im Jahr 2025 erhalten sie auf ihre ausgeschriebenen Stellenprofile exakt null Bewerbungen. Das ist der Zeitpunkt, an dem HR-Abteilungen merken, dass ihre bisherigen Strategien rund um Recruiting und Employer Branding völlig unnütz sind. Sie werden sich neu erfinden müssen.

Sie sagen aufgrund einer Vollbeschäftigung in der Zukunft wird es keine Assessment Center mehr geben, keine Stellenprofile. Wie kommen Sie darauf? Ein knappes Angebot auf dem Arbeitsmarkt heißt ja nicht, dass man grundsätzlich jeden nehmen muss. Die Anforderungen an Stelleninhaber werden ja tendenziell eher größer.
Der Mitarbeitermangel in diesem Ausmaß bedeutet zunächst einmal, dass bei jedem qualifizierten Arbeitnehmer ständig der Headhunter klingelt. Arbeitnehmer werden überschwemmt mit attraktiven Angeboten. Personalabteilungen, die dann noch Stellenprofile veröffentlichen, werden sich zuerst wundern, dass sich niemand bewirbt. Aber der Grund ist einfach: Es gibt dann auf dem Arbeitsmarkt niemanden mehr, der auf dieses spezielle Stellenprofil passt und gerade sucht. Wenn diese Personalabteilungen das nach einigen Monaten ergebnislosen Recruitings verstanden haben, werden sie eine neue Strategie einschlagen: Sie werden minderqualifizierte Menschen für eine höherqualifizierte Position einstellen müssen. Sie werden dann versuchen, mit Schnellqualifizierungskursen die Kompetenzen der neuen Mitarbeiter zu heben. Letztendlich werden sie aber feststellen, dass sie ihre Jobprofile an die verfügbaren Mitarbeiter anpassen müssen und nicht mehr umgekehrt. Dies ist der Punkt, an dem Unternehmen wirklich fluide werden, weil Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten permanent zwischen Mitarbeitern und Abteilungen im Fluss sind. Der Chief Change Officer, der dies steuert, wird zum Herz des Unternehmens.

Sie gehen von einem tiefgreifenden Wandel der HR-Funktion aus, ja es scheint für Sie sogar fraglich, ob die Personalabteilung per se eine Zukunft hat. Was haben Sie eigentlich gegen die Personaler?
Gar nichts. Im Gegenteil. Sie sind in vielen Unternehmen die Einzigen die reflektieren, woraus Mitarbeiter ihre Anerkennung ziehen. Die künftigen TOP3-Entscheidungskriterien für Projektarbeiter sind: Erstens, persönliche Herausforderung im Projekt, zweitens, ganzheitlicher Sinn der Aufgabe, drittens, exzellentes Team. Es gibt viele Personaler, die heute schon verstanden haben, dass ihr Unternehmen letztendlich nur ein passender beziehungsweise unpassender Mosaikstein in der Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeiter ist. Aber ich werfe den meisten heutigen Personalern vor, dass sie an ihren liebgewonnenen Pfründen des Recruitings, der Personalentwicklung und des Employer Branding festhalten und ihrer strategischen Aufgabe für die Zukunft ihrer Unternehmen verweigern. Ich kenne viele, die es sich in ihrer Gutmenschen-Rolle als Mitarbeiterversteher und bessere Lohnberechner bequem gemacht haben. Wenn sie nicht schnell anfangen, auf Augenhöhe mit den Vorständen über das HR-Management als strategische Zukunftsvision mit klarem Einfluss auf Geschäftsmodelle und bilanzrelevante Kennzahlen zu sprechen, dann werden sie irgendwann in den kommenden zehn Jahren abgelöst durch Personen aus anderen Abteilungen, die diese Aufgaben übernehmen wollen.

Starke Worte. Was schlagen Sie konkret vor, was Personaler tun können, um auch in Zukunft eine große Bedeutung für den Unternehmenserfolg zu haben?
Zunächst müssen sie den Vorständen deutlich machen, dass ohne eine zukunftsgerichtete HR-Strategie die persönlichen Bonuszahlungen jedes Vorstands betroffen sein werden. Denn wer keine zukunftssichere Recruiting-Strategie verfolgt, der wird in eine Situation kommen, in der die Deutsche Bahn in ihrem Mainzer Stellwerk schon 2013 war: Als keine Spezialisten mehr da waren, fuhren drei Wochen lang die Züge an Mainz vorbei. Das Produkt wurde nicht produziert. Personaler müssen und können ihren Vorständen die drohenden Bilanzausfälle vorrechnen. Sie müssen in der Sprache der Vorstände sprechen: In Euro! Dann müssen sie ihrem Vorstand einen Deal anbieten: Gib mir nur die Hälfte der drohenden Ausfall- und Mehrkosten als Budget. Strategisch denkende Personaler nehmen dieses Geld und bauen damit ihre Abteilung zu einer Change-Abteilung auf höchster Ebene um, die das Herzstück des künftigen Unternehmens wird.

Wenn man die aktuellen Machtverhältnisse in den meisten Unternehmen sieht, klingt das nach Science Fiction.
Das empfinde ich anders. Ich bin jede Woche zwei bis drei Mal in den Vorstandsklausuren der verschiedensten Unternehmen zu Gast. Dort gibt es überall eine große Aufmerksamkeit für diese strategischen Themen. Die haben alle verstanden, dass ihre heutigen HR-Strategien nicht mehr lange funktionieren. Allerdings dürfen Sie dort nicht mit der Attitüde des Business Partners für Recruiting, Weiterbildung und Mitarbeiterbindung kommen. Damit machen sich die Personaler selbst klein. Ich persönlich glaube, dass dies der Grund für das derzeitige „Sterben der HR-Vorstandsposten“ ist.

Skizzieren Sie doch bitte mal die Arbeitswelt im Jahre 2025.
Das ist an dieser Stelle etwas viel verlangt. In wenigen Schlagworten bedeutet das: zwei bis fünf Millionen fehlende Arbeitskräfte; unter den Arbeitenden sinkt die Langzeitanstellung auf 30 bis 40 Prozent; neben 20 Prozent Selbstständigen entstehen 40 Prozent Projektarbeiter. Diese hochqualifizierten Menschen wechseln ihre Projekte und Unternehmen alle zwei bis drei Jahre. „Fluide Unternehmen“ werden diese Projektarbeiter mit klugen Strategien gezielt anziehen und wieder abstoßen. Ziel ist nicht mehr Mitarbeiterbindung, sondern ein lebenslanges Netzwerk, das ein wiederholtes Anwerben des Jobnomaden möglich macht. „Caring Companies“ dagegen, zumeist Mittelständler in der Provinz, setzen auf Mitarbeiterbindung neuen Typs. Sie stellen Bindungen in das soziale Umfeld des Mitarbeiters her: Von betriebseigenen Pflegediensten für die Eltern und betriebseigenen Schulen für die Kinder, über betriebseigene Einfamilienhäuser, Urlaubsangebote und Versicherungspakete, bis zu Kultur- und Sportangeboten. Dieses „Corporate Life“ ist kein Selbstzweck. Vielmehr ist es billiger, als alle drei Jahre 40 Prozent der Belegschaft in einem leergefegten Arbeitsmarkt neu suchen zu müssen. Und zum anderen ist es strategisch effektiv.

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