Unternehmenskrise: Wie man mit Sorgen der Mitarbeiter umgeht

Employer Branding

Umsatzeinbruch, Werksschließungen, Entlassungen: Wenn Unternehmen in die Krise rutschen, geraten Mitarbeiter oft ins Visier von Sparplänen. Schnell fühlen sich Betroffene bedroht, sind aufgebracht oder verängstigt. Wie sollte die Personalabteilung sinnvoll reagieren?

Ein Mann flüchtet mit einem zerrissenen Hemd vor einer aufgebrachten Menschenmenge. Es ist der 5. Oktober 2015, als Xavier Broseta in letzter Sekunde über einen zweieinhalb Meter hohen Zaun flieht. Broseta ist zu diesem Zeitpunkt Personalchef der Fluglinie Air France und hat gerade mit anderen Konzernmanagern und dem Betriebsrat über einen neuen Sparplan verhandelt. Da dringen protestierende Air-France-Mitarbeiter in die Konzernzentrale ein und erzwingen einen Abbruch der Sitzung. Eine Hetzjagd startet, die kurz darauf weltweit über die TV-Bildschirme läuft.

Er sei regelmäßig per SMS über die Lage informiert worden, nachdem die Gespräche mit dem Betriebsrat über die Sparpläne begonnen hätten, erzählt Broseta später einer französischen Zeitschrift. Auch als sich die Demonstranten dem Firmensitz näherten, sei er noch gelassen geblieben. „Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch Vertrauen in das Tor“, sagt Broseta. Etwas später habe ihn ein Kollege angesimst mit der kurzen Aufforderung: „Evakuiert!“ Danach sei alles sehr schnell abgelaufen und durcheinandergegangen. Ein Gewerkschaftsführer sei vor ihm hergegangen, um ihm einen Weg zu bahnen, ein anderer habe die aufgebrachte Masse per Megafon aufgefordert, ruhig zu bleiben.

Stellenabbau in Deutschland aktuell

Arbeitskampf in Frankreich: Im Nachbarland ist der revolutionäre Geist des Streiks tief in der Gesellschaft verwurzelt. In Deutschland dagegen hat es einen derartigen Aufruhr inklusive ausschreitungsähnlichen Zuständen noch nicht gegeben. Nicht auszuschließen aber, dass die Zündfunken eines Tages von Frankreich nach Deutschland herüberfliegen. Umstrukturierungen, Stellenbau, Führungskrisen gibt es hierzulande auch gerade en masse. In den vergangenen Wochen haben große Unternehmen wie die Deutsche Bank, Bayer, BASF, Siemens, Ford, aber auch stark heimatverbundene Familienunternehmen wie Miele und Schaeffler Stellenstreichungen angekündigt oder schon angefangen, diese umzusetzen. Es sind Schlaglichter, die zeigen, wie stark vor allem die Industrie hierzulande unter Druck ist.

Ob Stellenabbau oder Führungskrise – wenn es im Unternehmen nicht rund läuft oder ein gewichtiger Transformationsprozess ansteht, ist es nicht verwunderlich, dass Mitarbeiter aufgebracht sind und ihren Arbeitsplatz bedroht sehen. Michael Mager, seit 2004 beim Badezimmerausrüster Grohe tätig und seit 2013 dort Vorstand Personal und Organisation sowie Arbeitsdirektor, kennt diese Situationen. Er hat persönlich unter anderem zwei Werksschließungen sowohl in Deutschland als auch in Kanada begleitet. Er hatte Verständnis, dass die betroffenen Mitarbeiter in Rage gerieten. Der Personalvorstand unterscheidet dabei zwei Ebenen der Betroffenheit. Zunächst gehe es um die fachliche Ebene. „Auf dieser Ebene müssen die Hintergründe der Entscheidung klar, verständlich und faktenbasiert so kommuniziert werden, dass die Betroffenen die Logik der Entscheidung verstehen“, sagt Mager.

Sprachlich korrekt bleiben

Die zweite Ebene sei, so Mager, die emotionale. „Es ist nur menschlich, dass betroffene Mitarbeiter eine solche Unternehmensentscheidung nicht annehmen wollen“, sagt Mager. Deswegen sei es wichtig, sich persönlich vor die Mitarbeiter zu stellen, die Situation sachlich klar, ehrlich und schnörkellos darzustellen. Ein gellendes Pfeifkonzert müsse man als Entscheider dann auch ertragen können. Für Mager kommt es dabei auch auf die Wortwahl an. Verharmlosende Begriffe wie „Personal abbauen“ fördern nur den Unmut der Betroffenen, sie werden letztlich „entlassen“, und dann sollte man das auch so benennen.

„Ich konnte ja ihren Ärger verstehen, denn jeder Einzelne hatte bislang seine Arbeit engagiert gemacht“, sagt Mager. Auf keinen Fall dürfen daher Unternehmensführer verschleiern, verharmlosen oder die Wahrheit scheibchenweise verkünden oder eine Entscheidung auf den Mutterkonzern schieben. Schlechte Manager würden sich häufig nach unliebsamen Entscheidungen verstecken. „Die Haltung hinter der Kommunikation ist wichtig, Glaubwürdigkeit zählt. Fehlt sie, werden auch nicht betroffene Mitarbeiter demotiviert.“

Entscheidungen schnell kundtun

Aus Sicht der Unternehmensführung ist Schnelligkeit bei der Kommunikation in solchen Situationen unabdingbar. Die Digitalisierung hat diese Entwicklung noch befeuert. Digitale Kommunikationskanäle wie Whatsapp bringen Entscheidungen fast in Echtzeit zu den Mitarbeitern. „Wenn Sie nicht zeitgleich mit der Entscheidung über eine Strukturänderung eine Sprachregelung treffen, werden sie überrollt“, sagt Mager. Während früher ein paar Tage zwischen einer Entscheidung und deren Kommunikation an die Mitarbeiter lagen, muss heute innerhalb von Stunden nach der Entscheidung kommuniziert werden.

Katrin Suttmann, Moderatorin, Trainerin und Coach aus Hamburg, sieht das ähnlich. Sie ist nahezu täglich in Unternehmen, um Mitarbeiter und Führungskräfte zu coachen. „Es hat sich bewährt, Mitarbeiter rechtzeitig und umfassend zu informieren“, sagt Suttmann. Wichtig sei, dass Führungskräfte unbedingt informieren, bevor der Flurfunk Gerüchte großflächig durch die Organisation trage. „Suchen Sie auch dann das Gespräch mit Ihren Mitarbeitern, wenn es im Moment keine Informationen gibt“, erklärt Suttmann. Bewährte Führungskräfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie durchgängig Klartext reden und auch die bitteren Wahrheiten nicht verschweigen. Sie begründen Entscheidungen, legen Hintergründe offen und erklären das Warum.

Kommunikation in drei Stufen

Das Allerwichtigste sei, mit den Mitarbeitern in Kontakt zu sein und ihnen zuzuhören. Emotionen wie Wut, Trauer, Angst und Enttäuschung müsste Raum gegeben werden, dabei seien Foren für den Dialog untereinander hilfreich, wie etwa eigens gestaltete Workshops. Bei dem Zusammenkommen von Führungskraft und Mitarbeiter habe sich ein dreistufiges Kommunikationsmodell bewährt. „Im ersten Schritt beschreibt die Führungskraft, wie sie den Mitarbeiter aktuell wahrnimmt. Im zweiten Schritt schildert die Führungskraft die Wirkung des Verhaltens des Mitarbeiters. Im dritten Schritt formuliert die Führungskraft Wünsche an den Mitarbeiter in Bezug auf die aktuelle Situation“, sagt Suttmann.

Wie sehr Führungskompetenz in Unternehmenskrisen eine Rolle spielt, hat Jörg Felfe, Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg, analysiert. In seiner Untersuchung ging es um einen Zusammenhang zwischen transformationaler Führung und Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter bei Umstrukturierungen oder Change-Prozessen. Transformationale Führungskräfte, so die Lehre, versuchen Mitarbeiter intrinsisch zu motivieren, indem sie eine attraktive Vision vermitteln und den Nutzen der Veränderung überzeugend kommunizieren. Sie skizzieren den gemeinsamen Weg, um das Ziel zu erreichen, treten als Vorbild auf und unterstützen die Mitarbeiter darin, sich individuell zu entwickeln.

So lässt sich ein persönliches Gespräch mit einem beunruhigten Mitarbeiter einleiten:
1. Beschreibung der Wahrnehmung der Führungskraft: „Herr Fischer, mir fällt auf, dass Sie seit der Veränderung aufgebracht reagieren. In den vergangenen Meetings habe ich Sie anders als sonst als sehr ungehalten erlebt, normalerweise bringen Sie mit Ihrer durchdachten und ruhigen Art die Themen voran.“
2. Beschreibung der Wirkung des Mitarbeiterverhaltens auf die Führungskraft: „Das kann ich persönlich gut nachvollziehen und ich merke, dass Ihnen diese Situation viel Kraft abverlangt.“
3. Beschreibung des Wunsches der Führungskraft an den Mitarbeiter: „Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam schauen, was sie tun können, damit diese Situation für sie einfacher wird, und wie ich Sie dabei unterstützen kann. Wie sehen Sie Ihre Situation?“

Wann Bemühungen verpuffen

Felfe sieht die Hypothese bestätigt, dass Mitarbeiter bei transformationaler Führung den Veränderungen gegenüber positiver eingestellt sind und der Wandel besser gelingt. Zusätzlich untersuchte Felfe, ob sich weitere Faktoren positiv auf die Veränderungsbereitschaft auswirken. „Wenn Mitarbeiter in Zeiten von Veränderungen über ausreichende Ressourcen verfügen, dann gelingt es Führungskräften leichter, die Veränderungsbereitschaft durch transformationale Führung zu erhöhen“, sagt Felfe. Konkret gehe es bei diesen Ressourcen um ausreichende Handlungs- und Entscheidungsspielräume, um selbstständig und eigenverantwortlich arbeiten zu können, um die Unterstützung durch Kollegen und darum, ob die Organisation insgesamt als gerecht erlebt werde. Können Mitarbeiter darauf vertrauen, dass Kosten und Risiken gerecht verteilt werden, lassen sie sich leichter motivieren.

„Umgekehrt“, sagt Felfe, „verpuffen Bemühungen der Führungskräfte, die Mitarbeiter für Veränderungen zu motivieren, wenn diese auch durch andere betriebliche Faktoren, zum Beispiel durch fehlende Informationen oder Konflikte, unter Stress stehen.“ Felfe fasst zusammen: „Führung spielt eine große Rolle, eine motivierende Führung kann aber allein nicht alles retten. Es geht eben darum, den Mitarbeiter in solchen Prozessen insgesamt genügend zu unterstützen.“

Was können Personalmanager also in Krisenzeiten konkret tun, um die Mitarbeiter zu beruhigen und ihnen Halt zu geben – ohne nur hübsch klingende Worte zu wählen? Für Grohes Personalvorstand Mager steht am Anfang eine Belegschaftsversammlung, heute auch Townhall-Meeting genannt. „Ein solches Meeting hat eine Dialogfunktion. So nimmt man Mitarbeiter auf direktem Weg einige Ängste und erstickt Gerüchte im Keim“, sagt Mager. Im zweiten Schritt müsse der jeweilige Vorgesetzte mit dem betroffenen Mitarbeiter sprechen. Auch hierfür sollten vorher Sprachregelungen individueller Art getroffen werden. „Die Vorgesetzten müssen auf die Mitarbeiter zugehen, ihnen zuhören, Perspektiven öffnen und sie mit klaren Aussagen auf der persönlichen Ebene abholen.“

Personalexperten wie Felfe oder Mager wissen: Die unterschiedlichen Charaktere im Unternehmen muss der Vorgesetzte auch unterschiedlich ansprechen. „Grundsätzlich gilt: Emotionen, vor allem auch Sorgen und Befürchtungen ernst nehmen, sachlich informieren und nichts versprechen, was man nicht halten kann“, sagt Felfe. „Viele Manager machen den Fehler, die Umstrukturierung zu verharmlosen, das führt aber zum Gegenteil“, so Felfe. Wer zum Mitarbeiter sage, dass dieser sich keine Sorgen machen sollte, der fördere eher Aggression. „Die Mitarbeiter riechen den Braten, lassen sich nicht dadurch beruhigen und reagieren umso schärfer.“ Mager hat die Erkenntnis gezogen, dass Mitarbeiter umso aggressiver reagieren, je mehr man sie im Unklaren sie lasse. Die häufigsten Reaktionen seien Unsicherheit und Sorgen um die Zukunft, die mit dem Alter und der weiteren beruflichen Perspektive zusammenhängen könnten.

Dass auch Führungskräfte in solchen Unternehmenskrisen in Mitleidenschaft geraten, war nicht zuletzt bei Air France im Oktober vor knapp drei Jahren zu beobachten. Der damals attackierte Air-France-Personalvorstand Broseta blieb nicht mehr lange bei der Fluglinie. Im Oktober 2016 wechselte er in gleicher Funktion zu Bolloré, einem Mischkonzern mit einem Schwerpunkt in der Logistik. Ein Unternehmen, das deutlich weniger in der Öffentlichkeit steht – und Broseta somit nicht in die Schusslinie der Kritik gerät.

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Martin Scheele, Foto: Privat

Martin Scheele

Martin Scheele ist freier Journalist und schreibt regelmäßig für den Human Resources Manager.

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