Verfassungsgericht betont Elternzeitschutz bei Massenentlassungen

Arbeitsrecht

Personen in Elternzeit haben einen besonderen Kündigungsschutz. Sie dürfen gemäß § 18 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) nur gekündigt werden, wenn die Kündigung durch die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde für zulässig erklärt wird. Der gesetzlich gut gemeinte Sonderkündigungsschutz kann jedoch bei Massenentlassungen nachteilig sein. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einer fast unbemerkten Entscheidung vom 8.6.2016 (1 BvR 3634/15) indes festgestellt, dass der besondere Schutz für Arbeitnehmer in Elternzeit bei Betriebsstilllegungen nicht zum Bumerang werden darf.

Die Beschwerdeführerin war bei einer griechischen Fluggesellschaft angestellt. Diese hatte Ende 2009 sämtliche Tätigkeiten in Deutschland eingestellt und allen Arbeitnehmern gekündigt. Die Kündigungen erwiesen sich im Nachhinein jedoch wegen Fehler bei der Massenentlassungsanzeige für unwirksam. Die Beschwerdeführerin befand sich zum Zeitpunkt der Kündigung noch in Elternzeit und wurde deshalb nicht im Zusammenhang mit den anderen Arbeitnehmern gekündigt, sondern gesondert zu einem späteren Zeitpunkt, ohne dass der Arbeitgeber hierzu noch eine neue Massenentlassungsanzeige einreichte.

Die Arbeitsgerichte bis hin zum Bundesarbeitsgericht (BAG) erachteten diese Kündigung für wirksam, da bei ihr keine Massenentlassung mehr vorgelegt habe und sie deshalb nicht mehr unter die 30 Tage-Frist des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG falle. Das BVerfG sah darin einen Verstoß gegen Art. 3 GG. Hätte die Kündigung nicht erst von den Arbeitsbehörden für zulässig erklärt werden müssen, wäre der Arbeitnehmerin gleichzeitig mit den anderen Beschäftigten im Zusammenhang mit der Massenentlassung gekündigt worden und auch ihre Kündigung wäre nach § 17 Abs. 2 KSchG unwirksam gewesen. Da Elternzeit überwiegend von Frauen in Anspruch genommen werde, liege eine faktische Benachteiligung vor. Das BVerfG hat deshalb den Rechtsstreit an das BAG zurückverwiesen.

Die Entscheidung wird zukünftig bei Massenentlassungsanzeigen zu berücksichtigen sein. Sie stellt die Praxis aber vor neue Fragen. Auch wenn das Anliegen des BVerfG, Personen in Elternzeit bei Massenentlassungen ein gleichbleibendes Schutzniveau zu sichern, nachvollziehbar sein mag, gestaltet sich die praktische Umsetzung schwierig. Fraglich ist schon, ob sodann nach dem behördlichen Zulässigkeitsverfahren anstehende Kündigungen für Arbeitnehmer in Elternzeit gemeinsam mit den übrigen Kündigungen in der Massenentlassungsanzeige anzugeben sind oder ob es sodann einer gesonderten Massenentlassungsanzeige für die Arbeitnehmer in Elternzeit bedarf. Da bereits kleinste Fehler in der Anzeige zur Unwirksamkeit aller Kündigungen führen können, ist zu hoffen, dass das BAG alsbald Rechtsklarheit schafft und weitergehende Grundsätze für die Einbeziehung besonders geschützter Personen in die Massenentlassungsanzeige aufstellt.

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Alexander Raif, Foto: Privat

Alexander Raif

Dr. Alexander Raif ist Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht im Berliner Büro der Kanzlei WEITNAUER.

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