„Viele unterschätzen die massive Trendwende“

Recruiting

Seit wenigen Tagen ist mit Talentcube ein neues Startup im HR-Bereich am Start. Das Unternehmen will mit seiner Mobile-Recruiting-Lösung den Bewerbungsprozess für beide Seiten erleichtern – vor allem mit kurzen Videos. Teil 1 unserer Serie über #HRStartups.

Sebastian, Ihr von Talentcube seid vor Kurzem mit Eurer App und Eurer Plattform live gegangen. Mit Eurer mobilen Recruiting-Lösung können sich Jobkandidaten mit kurzen Videos auf ausgeschriebene Stellen bewerben. Braucht es unbedingt Videos im Recruiting-Prozess?
Das kommt ganz drauf an. Wenn ich einen Schreiberling suche, würde ich vermutlich ein klassisches Bewerbungsschreiben bevorzugen. In der Regel möchte ich als Recruiter aber die Person hinter dem Anschreiben kennen lernen. Eine authentische Video-Bewerbung gibt mir einen deutlich tieferen Einblick in die Persönlichkeit des Bewerbers. Wenn ich jemanden sehe, wie er artikuliert, gestikuliert und zu einer bestimmten Frage Stellung bezieht, kann ich deutlich bessere Rückschlüsse auf den Charakter ziehen. Bislang bekomme ich diesen persönlichen Ersteindruck in der Regel erst im Vorstellungsgespräch, wenn bereits viel Zeit und Geld in den Auswahlprozess gesteckt wurde. Das Video gibt mir die Möglichkeit, jeden einzelnen Bewerber einmal anzuschauen, eventuell Hidden Champions auszumachen und nur mit den Kandidaten ins Gespräch zu gehen, bei denen ich und gegebenenfalls auch die Fachabteilung ein gutes Gefühl haben.

Wie seid Ihr auf die Idee gekommen?
Purer Pragmatismus. Wir waren selbst alle einmal Bewerber und mussten feststellen, dass Bewerbungen schreiben sehr umständlich ist. Allein das Anschreiben nimmt Stunden oder Tage in Anspruch. Gleichzeitig haben wir erkannt, dass der klassische Bewerbungsprozess mit CV und Anschreiben nicht auf dem Smartphone umsetzbar ist und ich für eine saubere Bewerbung immer noch einen PC brauche. Vor dem Hintergrund, dass bereits heute zwei von drei Kandidaten ein Smartphone für die Jobsuche verwenden und sich mehrheitlich auch einen mobilen Bewerbungskanal von Unternehmen wünschen, wollten wir herausfinden wie eine mobile Alternative aussehen muss. Wir haben daraufhin mit einer Reihe von Unternehmen untersucht, worauf es denn wirklich beim Kennenlernen von Bewerbern ankommt. Wir mussten feststellen, dass Bewerbungsschreiben aufgrund mangelnder Aussagekraft zweitrangig sind oder zum Teil gar keine Rolle im Entscheidungsprozess mehr spielen. Dann war die Frage, wodurch das überflüssige Anschreiben ersetzt werden muss. So sind wir auf die Video-Bewerbung gekommen.

Sebastian Hust, Mitbegründer von Talentcube Erkläre doch mal ganz kurz, wie Eure App funktioniert.
Unternehmen, die die mobile Trendwende erkannt haben und ihren Bewerbern neben mobil-optimierten Stellenanzeigen auch einen direkten mobilen Bewerbungskanal bieten möchten, können ihre Stellen bei Talentcube registrieren. Im Zuge der Registrierung definiert der Recruiter drei Fragen, die er jedem Bewerber stellen möchte. Danach erhält er sofort einen 5-stelligen Jobcode, den er in seine Stellenanzeigen mit einbindet. Wenn ich mich jetzt auf die Stelle bewerben möchte, sehe ich den Jobcode, hole mein Smartphone raus und gebe den Jobcode in die Talentcube-App ein, um den Bewerbungsprozess zu starten. Daraufhin beantwortet der Bewerber nacheinander die drei ihm vorher unbekannten Fragen. Die Antwortzeit ist auf 30 Sekunden begrenzt und es gibt maximal einen zweiten Versuch. Kurz, knackig und unverfälscht. Die Übertragung des eigenen XING-Profils rundet die Talentcube-Bewerbung ab und gibt dem Recruiter alles, was er bei der ersten Sichtung braucht.

Ihr seid nicht die ersten, die auf Videos im Recruiting setzen. Was ist das Neue bei Euch?
Videos im Recruiting werden heutzutage in erster Linie als vorgelagertes Vorstellungsgespräch eingesetzt, egal ob live oder asynchron. Da so ein Interview aber Aufwand für den Recruiter bedeutet, kann es nicht mit jedem Bewerber geführt werden. Talentcube setzt einen Prozessschritt vorher, nämlich bei der eigentlichen Bewerbung, an und versetzt so den Recruiter in die Lage, bereits bei der ersten Sichtung ein authentisches Bild vom Bewerber zu erhalten. Der im Video vermittelte persönliche Ersteindruck dient so als Grundlage für den weiteren Auswahlprozess. Außerdem ist der Recruiter in der Lage die Antworten zu steuern, da er selbst die Fragen vorgibt. Das Wichtigste ist aber, dass mit Talentcube der komplette Bewerbungsprozess auf dem Smartphone möglich ist und ich als Unternehmen so den Zugang zu einer neuen und überwältigend großen Zielgruppe erschließe. Man darf nicht vergessen, dass sich laut Indeed die Hälfte aller Jobsuchenden bereits heute einen mobilen Bewerbungsprozess von Unternehmen wünschen.

Wer ist die Zielgruppe? Digitalaffine junge Menschen unter 30?
Digitalaffin, sicherlich. Unter 30, nicht unbedingt. Auch wenn das Bedürfnis nach mobiler Jobsuche bei jungen Leuten größer ist, greifen auch über die Hälfte aller 35 – 45-Jährigen bei der Jobsuche vermehrt zum Smartphone. Das zeigt aber auch, dass ich um das Thema „Mobile Recruiting“ gar nicht herumkomme, wenn ich Young Professionals, Absolventen oder noch jüngere Gruppen ansprechen will. Hier sind bis zu 80 Prozent der Kandidaten mit dem Smartphone auf Jobsuche. Talentcube ist daher etwas für Unternehmen, die zum einen ihre Personalprozesse verschlanken und zum anderen einen zeitgemäßen Zugang zu Jobsuchenden haben möchten.

Wie siehst du die Rolle der HR momentan? Gibt es die Bereitschaft bei der Mehrheit in Sachen Recruiting was Neues auszuprobieren?
Ich denke, dass immer noch zu viele Unternehmen die massive Trendwende unterschätzen, die wir gerade erleben. Wir haben gesehen, wie das Smartphone in so vielen Bereichen unseres Lebens ein Selbstverständnis geworden ist, wo wir uns das vor Jahren noch schwer vorstellen konnten, ob beim Banking, Reisen oder Wohnung mieten. Warum sollte das im Recruiting anders sein? Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Wer auf dem Arbeitsmarkt relevant sein will, muss sich um seine „Mobile Experience“ kümmern. Viele Personaler erkennen das auch und bestätigen uns, dass hier oft massiver Handlungsbedarf besteht. Je nach Unternehmen erschweren es interne Prozesse aber, neue Konzepte einfach mal auszuprobieren. Hier würde ich mir mehr Mut von den Personalern und mehr Flexibilität und Offenheit bei den Unternehmen wünschen.

Zuletzt sind einige HR-Startups an den Start gegangen, die das Recruiting revolutionieren wollen und „Talent“ im Namen tragen. Wie nimmst du den Markt gerade wahr? Wer wird übrig bleiben?
Das große Aufgebot an „Talent“- und Recruiting-Startups ist für mich nur ein Beweis für die Trendwende vor der wir stehen. Die große Frage ist, in welche Richtung sich das Recruiting entwickeln wird. Hier sehe ich die Möglichkeit, dass viele neue Plattformen zunächst koexistieren können, da momentan unterschiedliche Schritte im Bewerbungsprozess gleichzeitig „revolutioniert“ werden. Viele erleichtern ihren Nutzern die Suche durch scheinbar intelligente Matching-Algorithmen. Da wir aber immer noch mit Menschen arbeiten und nicht mit Lebensläufen steht bei Talentcube die Persönlichkeit im Mittelpunkt der Bewerbung. Am Ende werden die Startups übrigbleiben, die den Unternehmen nicht nur ein cooles Tool an die Hand geben, sondern spürbaren Mehrwert mit sich bringen und sich konstant den Marktgegebenheiten entsprechend weiterentwickeln.

Ihr seid noch sehr jung. Junge Startups haben oft das Problem, dass sie ihre Ideen schlecht an den Mann oder die Frau bringen können und nicht verstanden wird, wie große Unternehmen funktionieren. Wie geht Ihr denn das Thema Vertrieb an?
Wie große Unternehmen funktionieren, haben wir schon früh gelernt. Wer sich auf unseren XING-Profilen umschaut, wird sehen, dass wir allesamt zuvor bei Weltkonzernen gearbeitet haben. Wir sind uns daher der Herausforderungen aufgrund starrer Prozesse und globaler Bewerbermanagementsysteme bewusst, zu denen es mittelfristig auch Lösungen geben wird. Hierfür arbeiten wir auch eng mit einem Netzwerk aus Recruitern und HR-Managern zusammen.

Wir sind seit dem 11.9. live und wollen jetzt erst einmal viel Praxiserfahrung sammeln, um Talentcube an den richtigen Stellen weiterzuentwickeln.

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