„Wahnsinnig effizient“

Leadership

Persönlichkeitstests führen in Deutschland immer noch ein Nischendasein, dabei haben sie entscheidende Vorteile gegenüber anderen Verfahren zur Potenzialeinschätzung von Mitarbeitern. Der Personalpsychologe Jens Nachtwei erklärt im Interview, welche dies sind und warum er aktuell einen Test speziell für Vertriebler entwickelt hat.

Professor Nachtwei, wie aussagekräftig sind Persönlichkeitstests in Bezug auf die Potenzialeinschätzung von Mitarbeitern?
Sie sind definitiv nicht am aussagekräftigsten, sondern eher eine Möglichkeit von vielen. So sind zum Beispiel klassische Arbeitsproben, aber auch strukturierte Interviews für sich genommen weitaus valider. Man kann sagen, sie sind sogar zwei- bis zweieinhalb mal so valide wie ein Persönlichkeitstest.

Wo liegen dann die Vorteile von solchen Tests?
Man kann damit Dinge testen, die man mit einem Interview oder einer Arbeitsprobe nicht herausbekommt. Persönlichkeitsmerkmale spiegeln eine Art Bedürfnisstruktur oder auch die Bereitschaft, bestimmtes Verhalten zu zeigen, wider. Bei einer Arbeitsprobe erhält man zwar eine Aussage zum Verhalten, aber nicht dazu, warum jemand genau dieses Verhalten zeigt. Im Interview kann man viele Fragen stellen, um sich dem anzunähern, aber die genaue Persönlichkeitsstruktur bekommt man damit auch nicht heraus.
Der Persönlichkeitstest hat hier zum einen den Vorteil, dass er einen eigenen Merkmalsbereich abgreift, den andere Verfahren nicht prüfen können. Und auch, wenn er nur halb so valide ist wie ein strukturiertes Interview, ist er trotzdem wahnsinnig effizient. Wenn jemand in 20 Minuten, noch dazu online, getestet wird und sich der Personaler mit dieser Person im Zweifelfall gar nicht mehr so intensiv auseinandersetzen muss, dann ist das weit weniger aufwendig als wenn man zu dritt in einem eineinhalbstündigen Interview sitzt und die personellen Kapazitäten abstimmen muss. Aus Effizienzgesichtspunkten betrachtet ist der Persönlichkeitstest daher ganz weit vorne.

Warum wird er dann bisher so verhältnismäßig selten eingesetzt?
Das ist in Deutschland tatsächlich so. Wir haben vor sieben Jahren eine Studie durchgeführt, die gezeigt hat, dass Intelligenz- und Persönlichkeitstests nur in rund zehn Prozent der deutschen Unternehmen zum Einsatz kommen. In anderen Ländern und Regionen wie der Schweiz, Skandinavien oder den USA sind sie hingegen absolut üblich. Die Gründe für dieses Nischendasein in Deutschland sind vielfältig. Unter anderem liegt es daran, dass wir starke Arbeitnehmervertretungen haben; die fremdeln nach wie vor mit solchen Testverfahren. Und das, obwohl die ganze Persönlichkeitsdiagnostik, wenn sie vernünftig gemacht ist, den Betriebs- und Personalräten in die Hände spielt. Aber der Einsatz nimmt merklich zu.

Was für ein Problem sehen die Arbeitnehmervertretungen?
Betriebsräte sind in aller Regel Fan des AGG, also Verfechter aller Regelungen, um Diskriminierung bei Einstellungen vorzubeugen. Das ist auch richtig so. Nur, wenn man sich genau anschaut, worum es bei diesen Gesetzestexten eigentlich geht, dann wird dort beschrieben, dass nur Informationen zur Auswahl eingesetzt werden sollen, die nachweislich einen Bezug zum Berufserfolg haben. Wenn ich mir das auf der Zunge zergehen lasse, zusammen mit dem Umstand, dass 70 Prozent der Unternehmen auf ein freies, unstrukturiertes und damit nahezu völlig invalides Interview setzen, ist das heikel. Dabei kommen oftmals keinerlei Informationen über die spätere Eignung heraus, und trotzdem wird die Entscheidung auf dieser Basis getroffen. Die Persönlichkeitstests aber, wenn sie gut gemacht sind, liefern genau diese Validitätsnachweise. Man kann in den Handbüchern genau nachlesen, wie hoch und stark der Bezug der Testergebnisse zur Leistung in bestimmten Berufsgruppen und Tätigkeitsfeldern ist. Und hat damit ein schlagendes Argument dafür, solche Tests auch einzusetzen.

Sie haben am Privat-Institut für Qualitätssicherung in Personalauswahl und -entwicklung (IQP) einen Persönlichkeitstest entwickelt, der seit 2008 branchenübergreifend zur Potenzialanalyse von Bewerbern und Mitarbeitern eingesetzt wird. Mit „PSYSAT“ haben Sie aktuell einen Fokus auf die Vertriebler gesetzt. Warum?
Leider hat – zumindest aus wissenschaftlich abgesicherter Sicht – die Persönlichkeit bei der Personalauswahl und -entwicklung von Vertrieblern bisher kaum eine Rolle gespielt. Geht es um psychologische Aspekte, wird sehr viel über Leadership gesprochen, und es gibt auch viel Literatur zu Azubis oder Trainees. Aber der Vertriebler als solcher wird eigentlich kaum betrachtet. Es gibt zwar eine relativ alte Verkaufspsychologie, bei der man sich zum Beispiel Verkaufsinteraktionen anschaut, aber dass man Eignungsdiagnostik bei Vertrieblern betreibt, ist schon eine absolute Nische in der Psychologie.

Wie haben Sie den bestehenden Test angepasst?
Da ist es wichtig zu sagen, dass der Persönlichkeitstest nicht umgebaut wurde. Egal welche Berufsgruppe und Hierarchieeben wir bei dem Test einbeziehen, es sind immer die gleichen Fragen in der gleichen Reihenfolge. Was anders ist, sind die jeweiligen Zielprofile. Um hier eines für die Vertriebler zu entwickeln, haben wir gemeinsam mit dem Bundesverband der Vertriebsmanager eine Studie mit knapp 2.500 Vertrieblern durchgeführt, um zu schauen, wie sie im Vergleich mit anderen Berufsgruppen ticken. Das allein reicht jedoch nicht, um Unternehmen zu nutzen. Daher haben wir die Persönlichkeitsmerkmale mit der Umsatzzielerreichung der Vertriebler korreliert. Auf dieser Basis haben wir ein spezifisches Zielprofil definiert – entlang der Optimalausprägung der jeweiligen Persönlichkeitsmerkmale hinsichtlich der Umsatzzielerreichung. Dadurch ist bekannt, wie hoch jedes der sieben Persönlichkeitsmerkmale ausgeprägt sein sollte, um möglichst hohe Umsatzziele zu erreichen. Hier hatten wir beispielsweise einen ganz spannenden Befund. Demnach fahren Vertriebler, die eine sehr geringe Teamorientierung aufweisen, also eher egozentrisch sind, die höchsten Umsätze ein. Während diejenigen mit hoher Teamorientierung ein Umsatzmalus mitbringen. Das ist etwas, das sicherlich in anderen Berufsgruppen genau umgekehrt ist. Machen jetzt andere Vertriebler diesen Test, wird geschaut, wie sie sich in Bezug auf das Optimum, das wir mit der Studie identifiziert haben, positionieren.

Würden Sie sagen, dass gerade bei Vertrieblern eine Skepsis herrscht gegenüber standardisierten Instrumenten der Personalauswahl und -entwicklung?
Den Eindruck habe ich gar nicht. Zum Beispiel habe ich auf dem Vertriebsmanagementkongress im vergangenen Jahr feststellen können, dass die Neugier dieser Profession relativ hoch ist. Die Vertriebsmanager haben sich ziemlich offen alle Dinge angeschaut, die im Messepark ausgestellt wurden und die im Partnerprogramm präsentiert worden sind. Der Vertrieb ist ja auch ein Feld, das viel mit Kennzahlen arbeitet – da ist man es gewohnt, mit Benchmarks zu agieren. Daher ist alles, was Standardisierung und Strukturierung im Recruiting anbelangt, eher positiv belegt.

In welche Richtung geht es denn generell beim Recruiting, wird es immer mehr solch Testverfahren geben?
Es wird mehr Tests geben und Simulationen, bei denen ein konkretes Verhalten der Teilnehmer beobachtet wird, um zu wissen, wie die Leute in speziellen Situationen reagieren. Das wird vermehrt computergestützt stattfinden, auch, weil die Reife und die Akzeptanz der Technologien zunehmen. Dazu passt die Affinität mancher Personaler zu Big Data, sie wollen Daten analysieren und ihre Schlüsse daraus ziehen. Sie wissen nur noch nicht genau wie sie es machen sollen, daher wird das Thema noch eine Zeit brauchen, bis es richtig angekommen ist.

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Kathrin Justen

Kathrin Justen ist Verantwortliche für People and Culture bei der Digitalberatung Digital Dna und arbeitet nebenberuflich als freie Journalistin.

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