Weniger ist manchmal mehr

Personalmanagement

Eine Hauptaufgabe der Personalfunktion ist, auf den Unternehmenserfolg positiv einzuwirken. Der Wertbeitrag von HR lässt sich durchaus bestimmen.

Innerhalb der letzten anderthalb Jahre haben 48 Prozent der Organisationen ihre HR-Prozesse überarbeitet. Das belegt die Studie „HR-Transformation: Den Wertbeitrag von HR nachhaltig steigern“ von Towers Watson. Der Grund: Die Personalfunktion hat oftmals zu wenig strategische Relevanz, weil sie nicht ausreichend in den unternehmerischen Kontext eingebunden ist. Darüber hinaus kann sie dem Kostendruck nicht immer standhalten. Dennoch steht eines fest: HR trägt zum Unternehmenserfolg wesentlich bei. Doch um die Leistung von Personalabteilungen und einzelnen HR-Funktionen zu beurteilen, kommen Unternehmen an Kennzahlen und KPI kaum vorbei.

Wirkung von HR-Prozessen operationalisieren

„Wenn es um den Wertbeitrag von HR geht, sollten wir HR nicht nur als strategischen Partner des Geschäfts verstehen, sondern auch als eigenständiges Geschäft: Wie alle Marktteilnehmer muss auch HR seinen Kunden Leistungen bieten, die bei angemessenen Investitionen zu einem hohen Nutzen führen“, sagt Martin Wolff, Leiter HR Services Delivery, Strategy & Organization bei Towers Watson. Zu den Kunden gehören demnach das Top-Management, die Mitarbeiter und Gesellschafter eines Unternehmens sowie die Aktionäre und Investoren. „Doch jede Gruppe erwartet von HR etwas anderes. Das macht die Lage komplex. Das Gute ist aber, dass die jeweiligen Interessen im Zuge der personalwirtschaftlichen Wertschöpfung ineinandergreifen“, sagt Wolff. Der Wertbeitrag von HR lasse sich daher nicht nur mit finanziellen Größen bestimmen. Vielmehr sei ein ganzheitliches Modell gefragt, das den Gesamtzusammenhang in den Blick nimmt.

Kennzahlen und KPI im Personalmanagement ermöglichen einerseits, die Wirkung von HR-Prozessen auf den Geschäftserfolg zu operationalisieren, sagt Jörg K. Ritter, Professor für Personal- und Organisationsentwicklung an der Quadriga Hochschule und Berater bei Egon Zehnder. Andererseits bieten sie die Möglichkeit, den Einsatz von HR-Prozessen zu bestimmen, der zur Erreichung definierter Geschäftsziele notwendig ist. „KPI sollten damit nicht nur den Status quo der Zielerreichung erfassen, sondern auch steuernde Funktion haben, indem sie geeignete Maßnahmen zur Erreichung der HR- und Geschäftsziele formulieren.“

Herausforderungen der Personalarbeit beschreiben

Für Jürgen Holeksa, Personalvorstand und Arbeitsdirektor bei ZF Friedrichshafen, ist die Verwendung von Kennzahlen und KPI eine Grundvoraussetzung, wenn es um das Erreichen strategischer und operativer HR-Ziele geht. Der weltweit führende Technologiekonzern in der Antriebs- und Fahrwerktechnik kann so die Leistung von HR messen und steuern. „Mit Kennzahlen und KPI sind wir in der Lage, Transparenz zu schaffen und Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufzuzeigen. Mit deren Hilfe können wir die heutigen und künftigen Herausforderungen der Personalarbeit beschreiben, weil wir die Kennzahlen und KPI aus der Strategie und den daraus abgeleiteten Unternehmenszielen entwickeln“, sagt Holeksa. Zudem ermöglichen einheitlich definierte Zahlen die notwendige einheitliche Sprache im Unternehmen. Das wiederum ermögliche das Ableiten von Handlungsfeldern für Abteilungen und die Steuerung von HR. Diese Einheitlichkeit sei für ZF als internationales Unternehmen von großer Bedeutung.

Bei Kennzahlen und KPI differenziert ZF: Zum einen nutzt das Unternehmen HR-spezifische Leistungsindikatoren, die die Leistung von HR als Querschnittsfunktion messen. Zum anderen verwendet es Kennzahlen, anhand derer sich die Personalstruktur im Unternehmen messen lässt. Beide Varianten strukturieren sich nach Themenfeldern und lassen sich aus der HR-Strategie ableiten. „Wir berichten klassische quantitative Kosten-, Produktivitäts- und Kapazitätskennzahlen wie beispielsweise Wertschöpfung pro Personalaufwand und Personalflexibilität“, sagt Holeksa. „Darüber hinaus auch solche zur Zukunftsorientierung und Mitarbeiterentwicklung wie Internationalität der Führungsmannschaft, Gender Balance oder Altersstrukturkennzahlen. Hinsichtlich Arbeitgeberattraktivität berichten wir Fluktuation und den Anteil interner Stellenbesetzungen.“

HR-Strategie mit Unternehmensstrategie abgleichen

„KPI sollten zielgerichtet erhoben werden und die Möglichkeit bieten, etwas zu bewirken. Das heißt: KPI sollten eine Einflussnahme möglich machen auf strategisch relevante Geschäftsprozesse, Kundennutzen oder Finanzkennzahlen,“ sagt Ritter. Ausgehend von dem identifizierten Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens sei zunächst zu klären, welche Prozesse, Strukturen und Praktiken diesen Wettbewerbsvorteil erzeugen und welche HR-Prozesse, -Strukturen und -Praktiken darauf einwirken. Dabei gehe es verstärkt um einen Abgleich der Handlungsmöglichkeiten des strategischen HR mit der Unternehmensstrategie. „Möglichkeiten bieten Werkzeuge wie das sogenannte 7-S-Modell und die HR-Scorecard, die einen Abgleich der HR-Strategie mit der operationalisierten Struktur und Geschäftsstrategie ermöglichen“, sagt Ritter.
Der Wissenschaftler und Berater weiß: „Eine Liste mit den wichtigsten Kennzahlen existiert so nicht. Zwar gibt es mittlerweile eine Vielzahl an KPI. Aber deren Anwendung ist stets im Hinblick auf Sinnhaftigkeit für den spezifischen Unternehmenskontext zu prüfen.“ Einen möglichen Ansatz biete die Klassifizierung der Rutgers-Studie von 2012, um Einflüsse der Prozesse im HR-Management auf unterschiedliche Erfolgsdimensionen eines Unternehmens abzubilden. Dabei erfolgt eine Unterscheidung zwischen:

• Fähigkeitserweiternde Aktivitäten wie Personalbeschaffung, -selektion und -entwicklung
• Motivationserweiternde Aktivitäten wie Leistungsbeurteilung, Vergütungs- und Anreizsysteme, Entwicklungsmöglichkeiten und Arbeitsplatzsicherheit
• Möglichkeitserweiternde Aktivitäten wie Arbeitsplatzdesign, Teamarbeit, Mitarbeiterbeteiligung und Informationsweitergabe

Effizienz der HR-Funktion beurteilen

Darüber hinaus liefern auch Analysen der vergangenen Jahre, die in Unternehmen mit einer guten HR- und Organisations-Performance erfolgten, mögliche Kennzahlen und KPI für die Praxis. Dazu zählen nach Angabe von Ritter unter anderem:

• Verweildauer von Führungskräften und Spezialisten in Key Positionen mit positiver Performance
• Erfüllungsgrad der variablen Gehaltszielstellung pro Jahr
• Entwicklung von Umsatz pro Mitarbeiter zum Vorjahr
• Verhältnis von internen und externen Besetzungen
• Diversity Index von Führungsteams
• Krankenstand sowie Unfallquote
• Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen

HR-Kennzahlen sollten im Sinne einer wirtschaftlichen Steuerung eine größere Rolle spielen als sie das für viele Unternehmen heute tun, findet Wolff. Zwar habe sich für die Effizienz der HR-Funktion in einem ersten Schritt die Betreuungsquote von HR über alles bewährt. Es falle jedoch hinsichtlich Effektivität deutlich schwerer, Vergleichswerte zu erhalten. Oftmals eignen sich prozessbezogene Kennzahlen wie zum Beispiel „Time to Hire“. In den letzten Jahren werden auch zunehmend Unternehmensrankings, unter anderem „Bester Arbeitgeber“, als Erfolgsmaß akzeptiert, sagt Wolff. „Aus meiner Sicht bleibt weiterhin erstaunlich, dass noch im Jahr 2011 ein gutes Drittel der Unternehmen etwas wie Kundenzufriedenheit mit der HR-Funktion innerhalb der Organisation überhaupt nicht gemessen hat.“

Den Wertbeitrag und die Leistung von HR anders, ohne Kennzahlen zu beurteilen, hält Wolff für schwierig. „Die Rendite entscheidet – eine hohe Reputation auch. Beides gehört zusammen. Nur wenn Unternehmen bei Mitarbeitern und Kunden einen guten Ruf genießen, können sie wirtschaftlich erfolgreich sein. Sie sollten beide ein lukrativer Partner sein. Dazu müssen Unternehmen in das Leistungsangebot für ihre Mitarbeiter investieren, dass diese sich gerne für gemeinsame Ziele engagieren und so für zufriedene Kunden sorgen. Wirtschaftlicher Erfolg ist das Ergebnis.“

Keinen Informations-Overload herbeiführen

Letztendlich geht es bei der Beurteilung des Wertbeitrags von HR um die Frage, ob die HR-Funktion, also beispielsweise die Personalentwicklung, zum gewünschten finanziellen und wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens beiträgt, meint Holeksa. Er rät Unternehmen, die mehr über den Wertbeitrag ihrer HR-Abteilung erfahren möchten, zunächst einmal aus ihrer Unternehmensstrategie eine HR-Strategie zu entwickeln. Die Herausforderung bestehe jedoch darin, aus dieser HR-Strategie diejenigen Maßnahmen und Initiativen abzuleiten, die zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen. Diese geben dann Aufschluss über Merkmalsausprägungen und somit Kennzahlen und KPI für HR.

Holeksa ist sich sicher: „Wird ein zu umfangreicher Blumenstrauß an Kennzahlen und KPI bereitgestellt, kann dies zum Informations-Overload bei den Entscheidungsträgern führen. Weniger ist mehr, aber das Wenige muss möglichst vollständige Transparenz und Steuerung ermöglichen.“

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Sven Lechtleitner, Foto: Privat

Sven Lechtleitner

Journalist
Sven Lechtleitner ist freier Wirtschaftsjournalist. Er hat ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sowie ein Fernstudium Journalismus an der Freien Journalistenschule in Berlin absolviert. Von November 2020 bis Juli 2022 war er Chefredakteur des Magazins Human Resources Manager.

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