Wir müssen Flexibilität besser trainieren

Personalmanagement

Immer häufiger ist in den Führungs- und Personaler-Etagen die Rede davon, dass wir bei der Bewerberauswahl künftig verstärkt auf die sozialen und personalen Fähigkeiten unserer Mitarbeiter achten sollen. Das bedeutet nicht, dass das reine Fachwissen, wie zum Beispiel IT-Kenntnisse, von heute auf morgen obsolet wird. Klar ist aber auch, dass flexible und veränderungsgewillte Menschen in unserer durchdigitalisierten Arbeitswelt künftig besser zurechtkommen und demnach gefragter sein werden. Die Gemeinschaftsstudie des Bundesverbands der Personalmanager und des IW Köln „Kompetenzen und digitale Bildung in einer Arbeitswelt 4.0“ aus dem vergangenen Jahr bestätigt: Beim Gros der Belegschaft werden insbesondere soziale und personale Kompetenzen vorausgesetzt. Konkret ist es für die breite Mehrheit der befragten HR-Manager insgesamt sehr wichtig, dass ein Großteil ihrer Mitarbeiter über berufliches Fachwissen (86 Prozent), aber auch Veränderungsbereitschaft und Flexibilität (85 Prozent) verfügt. IT-Expertise setzen die Personalmanager dagegen vornehmlich bei ausgewählten Mitarbeitern voraus.

Abseits des beruflichen Fachwissens sehen die Personaler ihr Unternehmen unterschiedlich gut aufgestellt. Die größte Lücke zeigt sich tatsächlich bei der sozialen Kompetenz, und zwar im Bereich der Veränderungsbereitschaft und Flexibilität, also genau den zentralen Fähigkeiten, die jeder Personaler und Topmanager derzeit von allen Bühnen predigt. Klar ist: Die Bedeutung dieser Kompetenzen wird wichtiger und Personaler brauchen jetzt das Rüstzeug dazu, diese Potenziale bestmöglich zu heben und zu fördern.

Das wird für uns Personaler auch deshalb schwierig, weil wir alle so sozialisiert sind, die Digitalisierung erst einmal als eine rein technologische Herausforderung zu begreifen, für die man doch bitte sein IT-Wissen schärfen sollte – Punkt. Dass sich Mitarbeiter in so einer durchtechnisierten, unübersichtlichen Datenwelt aber auch schnell ein Urteil bilden oder im Perspektivenreichtum orientieren müssen, bleibt – zumindest bei der Frage nach den richtigen Qualifikationen – meist außen vor.

Flexibilität schlägt Datenkenntnisse

Aber in Zukunft wird es genau darauf ankommen: flexibel und häufig unvorbereitet neue Wege oder Arbeitsweisen beurteilen und damit adaptieren zu können. Flexibilität und Veränderungsbereitschaft werden die Bedeutung von Datenkenntnissen schlagen. Denn was nutzt mir der beste Data-Scientist, wenn er nicht über die Auswirkungen oder Chancen der Datensätze für seinen Arbeitgeber urteilen kann?

Betrachten wir es nüchtern: Personaler, die heute in ihre Stellenanzeigen die Beschreibung „digitale Kompetenzen“ aufnehmen, meinen doch damit in erster Linie, dass der Bewerber gängige Programmiersprachen beherrschen soll. Das geht in die falsche Richtung.

Genau genommen muss man schon in der Schule ansetzen. Unser Bildungssystem entlässt die Abgänger mit einer hohen Fachlichkeit ins Berufsleben. Es wäre aber zudem wichtig, dass sie parallel über die Jahre der Ausbildung ihre Kompetenzen im Bereich Urteilskraft, Anpassungsfähigkeit oder Veränderungsbereitschaft schärfen konnten. In der Praxis sollten Schüler ihr einmal angeeignetes fachliches Wissen je nach Kontext prüfen oder hinterfragen. Die Annahme, dass alles einmal Erlernte für lange Zeit Bestand hat, macht viele Menschen im Job unflexibel. Viele hochqualifizierte Menschen, die jetzt einen Arbeitsplatzverlust fürchten, haben eben genau diese Flexibilität niemals wirklich erlernt. Die Folge: Sie fühlen sich überfordert und könnten demnächst in der Wirtschaft sukzessive aussortiert werden.

Diese Entwicklung darf nicht zum Massenphänomen werden. Für Personaler bedeutet das zum einen, diejenigen, die diese Flexibilität nie trainiert oder gelernt haben, zu begleiten und zu fördern. Zum anderen müssen sie Anpassungs- und Entscheidungsfähigkeit zu Hard Skills machen, also zur beruflich notwendigen Qualifikation für alle. Personaler sollten dafür Befähiger sein.

Mitarbeiter sollten improvisieren dürfen

Personalern wie Führungskräften empfehle ich, die humane Seite der digitalen Kompetenz stärker zu fokussieren. Dafür müssen Unternehmen keine großen Programme aufsetzen. Stattdessen sollte jede Führungskraft zunächst in eine Art Experimentierphase mit ihren Mitarbeitern gehen, um zu erfahren, wie diese mit mehr Freiraum und Eigenverantwortung beispielsweise in Projekten klarkommen. Das fördert die Selbstständigkeit und das Selbstbewusstsein des Einzelnen, denn jeder Mensch hat seine ganz eigene Art und Weise, an Neues heranzugehen. Diese Zeit sollten sich beide Seiten trotz der hohen Veränderungsdynamik nehmen, um sicherzugehen, wie es wirklich um das flexible Einlassen auf Neues bestellt ist. Wichtig dabei: Die Führungskraft sollte zuvor einen klar abgesteckten Rahmen vorgeben und Ziele definieren, aber den möglicherweise ungewohnten Weg der Umsetzung komplett dem Mitarbeiter überlassen. Nach dieser ersten Experimentierphase kann der Vorgesetzte meist deutlich erkennen, wie es um die Bereitschaft zur Flexibilität des Mitarbeiters bestellt ist. Sollte er sich damit unwohl oder überfordert fühlen, tut der Personaler gut daran, ihn für einen festgesteckten Arbeitsbereich mit marginalen Veränderungen vorzusehen.

Nehmen wir das Beispiel des Umgangs mit einer neuen Technologie. Zuerst muss der Mitarbeiter verstehen, wie diese Technologie für seinen Arbeitsbereich oder sein Unternehmen funktioniert, welche Anwendungsvorteile sie bringt. Dann wird er an den Punkt kommen, darüber nachzudenken, ob und in welchen Situationen sie überhaupt sinnvoll eingesetzt werden kann – und wann sie womöglich die Zusammenarbeit unnötig verkompliziert. In solchen Momenten werden Mitarbeiter damit konfrontiert, stärker als bisher Konflikte oder auch Kompromisse einzugehen. Denn es geht in der Situation darum, die eigene Urteils- und Entscheidungskraft auf Basis sich stets weiterentwickelnder Technologien zu schärfen.

Um die sozialen Kompetenzen Flexibilität und Veränderungsbereitschaft fest im „Relevant Set“ des Personal­managements zu verankern, experimentieren große Konzerne bereits mit einem Reload klassischer Job-Rotations-Programme: Mitarbeiter werden in unterschiedlichen Fachbereichen zur Unterstützung beispielsweise bei Audits eingesetzt. Mit der Teilnahme können sie in für sie neue Bereiche hineinschnuppern. Nicht mit dem Ziel, dorthin zu wechseln, sondern mit dem Ziel, für sich selbst etwas mitzunehmen. Sie sammeln praktische Lernerfahrungen für den eigenen Arbeitsbereich und üben sich in Flexibilität, Experimentierfreude und Urteilsbildung. Denn neben der Zielsetzung, Aufmerksamkeit und Sensibilität dafür zu schaffen, was diese neuen Technologiethemen mit sich bringen, muss es darum gehen, die Fähigkeit zu entdecken, sich jederzeit und vorbehaltlos selbst in neue Themen erarbeiten zu können. Diesen „Discomfort“ sollte jeder Personaler als echte Zukunftsqualifikation bei seiner Bewerberansprache berücksichtigen – am besten direkt in der Stellenausschreibung.

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Inga Dransfeld-Haase, Präsidentin des BPM

Inga Dransfeld-Haase

Direktorin People & Culture Deutschland/Österreich/Schweiz
BP Europa
Inga Dransfeld-Haase ist Vorständin für Arbeit und Soziales bei BP Europe SE, nachdem sie dort schon zuvor als People & Culture Senior Partner für die Region DACH verantwortlich war. Die Juristin ist zudem seit 2019 Präsidentin des Bundesverbands der Personalmanager*innen (BPM). Zusätzlich ist sie Teil der Jury von unter anderem dem Equal Pay Award und des HR Start-up Awards.

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