Wunsch nach Mindestlohn rechtfertigt keine Kündigung

Arbeitsrecht

Als eines der ersten Gerichte hat das Arbeitsgericht Berlin ein Urteil im Zusammenhang mit dem seit dem 1. Januar 2015 geltenden Mindestlohngesetz (MiLoG) gefällt. Gemäß der Entscheidung des Arbeitsgerichts vom 17. April 2015 (28 Ca 2405/15) sollen Kündigungen als Reaktion auf den Wunsch eines Arbeitnehmers auf Bezahlung des Mindestlohns unwirksam sein.

Der Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und die Zahlung von Vergütungsdifferenzen.

Der Kläger ist seit 2009 bei der Beklagten als Hauswart beschäftigt. Aufgrund der geringen Beschäftigtenzahl unterliegt die Beklagte nicht dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Die Parteien haben im Rahmen des Arbeitsvertrags eine regelmäßige Arbeitszeit von 14 Arbeitsstunden pro Woche und eine Bruttovergütung von monatlich 315 Euro vereinbart. Der Stundenlohn betrug demnach 5,19 Euro.

Anlässlich der Einführung des Mindestlohns wandte sich der Kläger an die Beklagte. Infolgedessen legte die Beklagte dem Kläger ein Vertragsdokument zur Unterzeichnung vor. Danach sollte eine Zahlung des Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro durch eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 32 Stunden im Monat und die Anhebung der Vergütung auf monatlich 325 Euro gewährleistet werden. Der Kläger unterzeichnete nicht. Zwei Tage später kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich.

Der Kläger greift mit seiner Klage die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses an und verlangt die Zahlung weiterer Vergütung für den Monat Januar auf Basis des Mindestlohns.

Das Arbeitsgericht Berlin hat der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung
Nach Auffassung des Gerichts war die Kündigung unwirksam. Die Beklagte habe in unzulässiger Weise den Wunsch des Klägers auf Anhebung seiner vertraglichen Vergütung auf das Niveau des gesetzlichen Mindestlohns zum Anlass genommen, sein bisher anstandslos bestehendes Arbeitsverhältnis aufzukündigen. Damit verstoße sie gegen das Maßregelungsverbot des §612a BGB. Dies verbietet dem Arbeitgeber, einen Arbeitnehmer bei einer Kündigung gerade deshalb zu benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.

Den – offenbar nicht hinreichend dargelegten – Einwand der Beklagten, dass sie unlängst festgestellt habe, der Kläger benötige anstelle der vereinbarten 14 Arbeitsstunden pro Woche lediglich 32 Stunden im Monat, ließ das Gericht nicht gelten.

Den Anspruch auf Zahlung der Differenzvergütung leitete das Gericht aus §612 Abs. 2 BGB analog in Vergleich mit §1 Abs.1 MiLoG ab. Eine analoge Anwendung des §612 Abs.2 BGB komme in Betracht, weil die Parteien zwar eine Vergütungsvereinbarung getroffen haben, diese allerdings aufgrund gesetzlicher Bestimmungen unwirksam sei.

Hinweise für die Praxis
Die Entscheidung bietet erste Hinweise, wie Gerichte zukünftig mit dem neueingeführten MiLoG umgehen werden. Vermutlich hätte der Arbeitgeber des Ausgangsrechtsstreits besser daran getan, eine Änderungskündigung auszusprechen.

Im Schrifttum wird die Rechtmäßigkeit einer solchen Änderungskündigung befürwortet, wenn sie mit dem Ziel ausgesprochen wird, die Vergütungsabrede ohne Entgeltminderung so umzugestalten, dass sie den Anforderungen des MiLoG entspricht. Dem ist zuzustimmen, insbesondere wenn – wie hier – die Entlohnung auf Basis des MiLoG dazu führt, dass der Mitarbeiter nicht mehr in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis steht. Ob sich die Arbeitsgerichte dieser Auffassung anschließen werden, ist offen.

Ohne Umschweife hat das Arbeitsgericht die Vergütungsabrede für unwirksam erklärt und eine Entlohnung auf Basis des gesetzlichen Mindestlohns angenommen. Im Fall der Ermangelung einer Vergütungsabrede ist nach §612 Abs.2 BGB die übliche Vergütung heranzuziehen. Die „übliche Vergütung“ muss allerdings nicht zwingend der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns entsprechen, sondern kann diesen auch überschreiten. Ob im Fall der Unwirksamkeit einer Vergütungsabrede automatisch der gesetzliche Mindestlohn gilt, ist in Teilen des Schrifttums umstritten. Hierzu muss die weitere Rechtsentwicklung abgewartet werden.

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Rebecca Fischer

Rechtsanwältin
Osborne Clarke

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