Zeit für Gefühle

Leadership

Kommunikation spielt in Veränderungsprozessen eine entscheidende Rolle, um Mitarbeiter zu motivieren. Auch dürfen Emotionen nicht ausgeblendet werden.

Die Geschäftsleitung tagt außergewöhnlich häufig und läuft mit ernster Miene durchs Unternehmen, oft ist außerdem eine Gruppe Berater anwesend und der Flurfunk läuft sowieso auf Hochtouren. Dann ist es soweit und die Bombe platzt: Der Chef verkündet, dass die Firma vor großen Herausforderungen stehe und dass sich ab sofort einiges ändern müsse – es sollen unter anderem Abteilungen zusammengelegt und ein neues Beurteilungssystem eingeführt werden. Die Mitarbeiter fühlen sich vor den Kopf gestoßen und reagieren mit Ängsten, mit Widerstand oder Resignation.

Zugegeben: Diese Beschreibung bedient gängige Klischees, doch werden immer wieder Change-Prozesse in ähnlicher Art und Weise eingeläutet. Für Karlheinz Sonntag, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Heidelberg, stellt das beschriebene Vorgehen ein typisches Beispiel der sogenannten Bombenwurfstrategie dar. Dabei wird das Change-Management-Programm zentral geplant und ad hoc eingeführt. Der Nachteil dieser Strategie: Den Mitarbeitern wird die Veränderung von oben diktiert. Das kann dazu führen, dass sie den Prozess nicht mittragen und nur halbherzig umsetzen. Die Möglichkeit des Scheiterns ist groß.

Eine Veränderungsstrategie funktioniert aber nur, wenn die gesamte Belegschaft – Führungskräfte wie Mitarbeiter – einbezogen wird. Wenn sie motiviert wird, die Veränderung mitzumachen. Für den Wissenschaftler Sonntag müssten Change-Prozesse daher vielmehr nach der „ressourcenorientierten Veränderungsstrategie“ ablaufen: „Im Unternehmen, in der Organisationsstruktur des sozialen Umfelds und auch in der eigenen Person liegen verschiedene Ressourcen. Diese müssen aktiviert werden, damit die Belastungen, denen Mitarbeiter und Führungskräfte im Veränderungsprozess ausgesetzt sind, abgefedert werden können.“ Es gibt zahlreiche dieser Ressourcen.

Für eine Studie befragte Sonntag in der Automobilindustrie Führungskräfte des oberen und mittleren Managements nach Problemen in Veränderungsprozessen und nach den wichtigsten Ressourcen. Und identifizierte folgende als besonders relevant: Mitwirken können und durch die Vorgesetzten einbezogen sowie unterstützt werden, die Möglichkeit zur persönlichen Weiterentwicklung durch die veränderte Arbeit, eine angemessene Aufgabendichte und herausfordernde Aufgaben, transparente Information und Kommunikation. Und vor allem: Sinnhaftigkeit. „Das ist die Ressource überhaupt, um Veränderungsprozesse optimal zu gestalten und die Menschen für Veränderungen zu motivieren“, erklärt Sonntag.

Seine Studie zeigt auch: Nur jeder Dritte der Befragten denkt, dass er den Change-Prozess mitgestalten kann. Für nur 46 Prozent sind Sinn und Nutzen der Veränderung erkennbar. Und lediglich 30 Prozent stimmen der Aussage zu, dass der Prozess gut kommuniziert wird. Der Arbeitspsychologe zeigt mit seiner Forschung, dass Partizipation, Sinnhaftigkeit und Vertrauen in die Führung stark mit der Motivation zur Veränderung zusammenhängen. Für Sonntag müssen die Unternehmen daher vor allem eines leisten: Informieren, kommunizieren und Teilhabe ermöglichen.

Das Beispiel Neopost zeigt, wie dies in der Praxis aussieht. Der Hersteller von Postbearbeitungssystemen stand 2005 vor der Herausforderung, zwei mittelständische Unternehmen in den französischen Mutterkonzern zu integrieren. Später kamen weitere kleinere Firmen dazu. Jörg Sternheimer, Personalleiter bei Neopost, sah damals großen Widerstand und Ablehnung innerhalb der Belegschaft gegenüber dieser Integration: „Viele Mitarbeiter waren sehr stark in den alten Firmenidentitäten verwurzelt und lehnten es ab, Landesgesellschaft eines internationalen Unternehmens zu werden.“ Sein Gegenrezept: Der Aufbau einer modernen Personalarbeit, die Förderung einer leistungsorientierten Unternehmenskultur und vor allem der Fokus auf die Belegschaft: „Die Mitarbeiter sollen an der Vision des Unternehmens teilhaben.“ Das erreiche man vor allem durch „das Mitnehmen und Gewinnen der Mitarbeiter für die konkreten Veränderungen“. Ein Schlüssel liege in der kontinuierlichen internen Kommunikation.

Einen Dialog führen

Klaus Doppler, Organisationsberater und Autor des Buches „Feel the Change“ sieht das ähnlich. Kommunikation sei der zentrale Punkt der Mitarbeitermotivation. Aber „echte“, wie er betont. Denn seiner Meinung nach werde zu oft Information mit Kommunikation verwechselt: „Es reicht eben nicht aus, nur mitzuteilen, wie die Situation ist. Man muss zuhören und wissen, wie die Botschaft ankommt und wie es den Betroffenen damit geht. Und dann muss man eine Balance herstellen zwischen dem, was vom wirtschaftlichen Umfeld her nötig ist und dem, was die Mitarbeiter meinen verkraften zu können.“

Was dabei mit am meisten Energie und Zeit koste, sei, den Veränderungsprozess für den Einzelnen verständlich und nachvollziehbar zu machen. In jedem Change-Prozess, so Doppler, könne man die Belegschaft in Drittel aufteilen: Das erste Drittel sei bereit für oder Treiber der Veränderung, das zweite bestehe aus Opportunisten, die erst mitmachen, wenn sie merken, dass sie sich nicht drücken können. Und das letzte Drittel seien Leute, die gar nicht könnten oder wollten. Aber auch die setzten sich zum Teil in Bewegung, wenn sie sehen, dass die Mehrheit dabei ist. Der Personaler ist also gefordert, verschiedene Kommunikationsstrategien für die verschiedenen Typen innerhalb der Belegschaft zu finden.

Alle für den Veränderungsprozess zu motivieren, das ist allerdings kaum möglich. Doppler findet, dass man auch nicht darauf warten müsse, bis jeder von der Sinnhaftigkeit des Change-Prozesses überzeugt ist, denn dann bestimme der Schwächste das Tempo. „Man startet eben mit denen, die direkt mitziehen und den Prozess antreiben. Damit setzt man ein klares Signal, das auch andere in Bewegung bringt.“ Die direkte Ansprache jedes Einzelnen – das ist auch das Ziel der Personalabteilung bei Neopost. Für Jörg Sternheimer ist es wichtig, aktuelle Herausforderungen zu benennen und jedem Mitarbeiter deutlich zu machen, „was sein persönlicher Beitrag zum Unternehmensergebnis ist“.

Mit dieser Haltung hat es Neopost geschafft, die Zufriedenheitswerte seiner Mitarbeiter stetig zu steigern. Heute sagen 78 Prozent der Belegschaft, dass sie einen direkten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten können. Das sei ein Anstieg um 35 Prozent seit 2010, berichtet der Personalchef.

Trotz der steigenden Umfragewerte gab und gibt es aber auch bei Neopost immer wieder Phasen, in denen der Change-Prozess nicht optimal verläuft. So merkten Sternheimer und seine Kollegen zwischenzeitlich, dass es Probleme im mittleren Management gab, die Leute waren nicht mehr „Träger der Veränderung“. Darauf reagierte das Unternehmen schnell und konsequent: „Wir boten den Führungskräften in dieser Phase Unterstützung im Rahmen einer internen Führungskräfteakademie an“, erklärt er.

Die meisten Maßnahmen, die im Rahmen des Change-Prozesses stattfinden, organisiert Neopost in Eigenregie, punktuelle Unterstützung erhält das Unternehmen darüber hinaus von der Unternehmensberatung Strasser & Strasser. Vor allem in der Führungskräfteausbildung und bei diversen Großgruppenveranstaltungen arbeiten die beiden Firmen zusammen. „Aktuell bereiten wir den Jahres-Kick-off für Neopost vor“, erklärt die Inhaberin Eva Strasser. Bei dieser Veranstaltung informiert die Geschäftsführung jeweils zum Jahresauftakt die 400 Mitarbeiter in Deutschland und Österreich über anstehende Veränderungen und aktuelle Projekte. „Die Leute sollen motiviert und mit Vertrauen ins Jahr gehen.“ Neben diesem jährlichen Event für die gesamte Belegschaft sieht die Beraterin in spezialisierter Kommunikationsarbeit das Mittel der Wahl: Die diversen Botschaften, die im Change-Prozess vermittelt werden müssen, sollten in verschiedenen Formaten zielgruppengerecht aufbereitet werden. Strasser attestiert Neopost ein „hohes Interesse daran, die Potenziale der Mitarbeiter zu entwickeln“. Und man habe dort erkannt, dass Veränderungsarbeit nicht nur punktuelle, sondern stetige Kommunikation und Unterstützung bedeute.

Gefühle nicht ignorieren

Herausfordernd für den Change-Prozess und die Mitarbeitermotivation sind auch die Emotionen der Beteiligten, die in Unternehmen früher oftmals schnell zur Seite geschoben wurden. Laut einer Studie der Beratung Capgemini Deutschland sieht heute fast die Hälfte der befragten Manager die emotionale Dimension bei Veränderungsprozessen als wichtigste Dimension an. 85 Prozent stimmen der Aussage zu, dass man die Menschen emotional erreichen muss, wenn man sie für Wandel begeistern möchte.

Klaus Doppler hat sich in seinem Buch eingehend mit Emotionen im Veränderungsprozess beschäftigt. Für ihn ist es offensichtlich: „Der Antrieb und die Energie kommen nicht von der Ratio, sondern von der Emotion.“ Schon aus diesem Grund sollten Change Manager, Personaler und andere Verantwortliche Emotionen nicht einfach ausblenden, weder diejenigen der Mitarbeiter noch die eigenen. „Man muss, um zu erkunden, was die Menschen bewegt, Emotionen ernst nehmen und ansprechen, auch und vor allem die negativen.“ Nur so könne der Change-Prozess gelingen.

Für Eva Strasser, selbst gelernte Psychologin, ist noch ein anderer Punkt von Bedeutung: Besonders Führungskräfte müssten an ihrer eigenen emotionalen Intelligenz arbeiten, um ihre und die Gefühlslage der Mitarbeiter besser wahrnehmen und folglich auch besser bearbeiten zu können. Im Fusionsprozess bei Neopost spielten ganz konkret Ängste und Ablehnung eine Rolle, erinnert sich Jörg Sternheimer. Dem habe man sich gestellt und durch einen intensiven Dialog über die Zeit die meisten Menschen von der Notwendigkeit des Wandels überzeugen können, sagt er.

Psychologische Berater

Neopost hat für das gelungene Change Management Ende 2012 den HR Excellence Award bekommen. Nach Meinung des Personalleiters liegt der Erfolg seines Unternehmens nicht nur daran, dass man den „durch Literatur, Wissenschaft und Praxis hinreichend bekannten HR-Werkzeugkasten“ angewandt habe. Entscheidend sei ein langer Atem, Herzblut und Konsequenz. Immer noch. Denn Wandel ist inzwischen Alltag bei Neopost und kein Prozess, der irgendwann abgeschlossen ist. Ging es zu Beginn noch um die Fusion verschiedener Firmen, so stehen aktuell die Themen Technologieinnovation und Entrepreneurship im Fokus der Veränderung, sagt Sternheimer.

Entscheidend für die Motivation von Mitarbeitern ist, dass ihre Sorgen und Nöte ernst genommen werden, dass auf sie eingegangen wird. Und sie wollen verstehen, worum es geht. Eigentlich sei das selbstverständlich – egal ob es um Veränderungsprozesse in Profit- oder Non-Profit-Unternehmen gehe, sagt der Arbeitspsychologe Karlheinz Sonntag. Um dies in den Unternehmen aber auch umzusetzen, plädiert er für eine externe Beratung in Change-Prozessen, die die „rein betriebswirtschaftliche Sicht um die arbeits- und organisationspsychologische Dimension“ ergänzt. Man brauche jemanden, der die komplexen und sensiblen Prozesse zwischen Menschen und Organisationsstrukturen versteht und die entsprechenden Kommunikationsabläufe kennt.

Die meisten Veränderungsprozesse scheitern. Das lässt sich zumindest in etlichen Studien nachlesen. Es gibt also noch viel Luft nach oben. Und nichts spricht dagegen, mal eine Alternative zur Bombenwurfstrategie auszuprobieren. Die Mitarbeiter werden es danken.

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Kathrin Justen

Kathrin Justen ist Verantwortliche für People and Culture bei der Digitalberatung Digital Dna und arbeitet nebenberuflich als freie Journalistin.

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