Zur Schulung zum Südpol

Leadership

Management-Trainings werden immer extremer und persönlicher. Wer nicht ins ewige Eis möchte, kann im verdunkelten Raum oder im Wald seine eigenen Grenzerfahrungen machen. Die größte Wirkung haben aber oft einfache Methoden.

Die Steinzeit war offenbar gar nicht so übel. Zumindest liefert sie noch heute Vorbilder für ansonsten fortschrittliche Management-Trainer. In deren Kreisen gilt vor allem das als gutes Team-Training, was Instinkte freisetzt – „als würden Führungskräfte gemeinsam vor dem Mammut flüchten“. Natürlich möchte sich mit dem vorzeitlichen Vergleich niemand namentlich zitieren lassen. Aber die Botschaft liegt auf der Hand: Trainings für Führungskräfte und deren Teams werden zur immer größeren Herausforderung. Wie sollen neue Strategien noch wirkungsvoller unter die Mitarbeiter gebracht werden? Weil es kaum eine Schulungsmethode gibt, die deutsche Führungskräfte nicht erprobt, erarbeitet und meist nach mäßigem Erfolg beiseitegelegt haben, gilt es, die meinungsstarke Klientel da zu packen, wo früher die persönliche Tabu-Zone begann: im Reich der Instinkte und beim Sinn des Lebens. Ungewöhnliche Trainingsmethoden in Schauspielkursen, auf Pferdekoppeln oder zur Schweigewoche im Kloster sind zwar keine Neuheit. Doch der Markt für Extremes und Persönliches wächst.

Im ewigen Eis der Antarktis scheint ein solches Extrem-Training gerade richtig. Mehr als 700 Führungskräfte hat Polarforscher und Managementtrainer Robert Swan mit seiner amerikanischen Organisation 2041 in den vergangenen zehn Jahren schon zum Südpol geschleust – ob Manager von Mineralölkonzernen wie BP oder von Handelsunternehmen wie der Metro Group. Der ehemals unberührte Kontinent dient als letzte Bastion. „Kein Ort dieser Erde ist geeigneter, um Führungskompetenz ultimativ herauszufordern”, schreibt Swan auf seiner Internetseite. Sein „Inspire Antarctic Expedition (IAE)”-Programm konzentriert sich auf Führungsfragen, Teamarbeit und persönliche Entwicklung. Rund zwei Wochen dauert die Reise vom Südzipfel Argentiniens zum Südpol, in denen eine internationale Mannschaft mit Managern aus verschiedenen Unternehmen auf einem Eisbrecher an Gletschern vorbeischippert und aus erster Hand die Folgen des Klimawandels beobachten kann. Das Ganze wird durch Internetblogs begleitet, denn die Teilnehmer sollen ihre Einsichten mit ihren Kollegen zuhause teilen können. Es ist eine Mischung aus Umweltschutz-Lehrreise und persönlichem Entwicklungsprogramm mit speziellen Trainern.

Workshop-Müdigkeit

Persönlich extrem ist auch der „Dialog im Dunkeln“ angelegt: ein absolut dunkler Seminarraum, keine optischen Reize, keine Blicke sind möglich. Die Teilnehmer sitzen beieinander, ohne sich zu sehen. Nur das Gehör bietet Orientierung. Immer wieder neue Übungen lassen sich beim Gespräch in der Finsternis ausprobieren: Zum Beispiel gilt es, Stichworte auf Moderationskarten aufzuschreiben – ohne dabei den Lauf des Stiftes mit den Augen verfolgen oder korrigieren zu können. Reflexionsrunden bei Licht stehen jeweils am Ende einer Dunkel-Runde, die Teilnehmer sollen dann ihre Erfahrungen diskutieren und überlegen, wie sie ihre Erkenntnisse in den Arbeitsalltag übertragen können. Begriffe und Ziele prägen sich im Dunkeln besser ein. Wer einmal als Sehender im Dunkeln auf die Worte der anderen angewiesen war, vergisst diesen Moment nicht so schnell wieder: „Wir haben hin und wieder auch Teams, die der klassischen Workshops müde sind“, berichtet Angelika Antz-Hieber, Leiterin des Allianz Dialogue Training Center. „Wenn wir dann ein halbes Jahr später nachfragen, wie das Training im Dunkeln gewirkt hat, bekommen wir immer positive Rückmeldungen. Für die meisten ist es ein Schlüsselerlebnis, in absoluter Dunkelheit zuzuhören und in Dialog zu treten. Das verändert einen persönlich.“ Die Allianz bietet das ungewöhnliche Dunkel-Training seit wenigen Jahren an – verschiedene Automobil-, Pharma-, Energieunternehmen, Banken, Versicherungen und Beratungsunternehmen haben schon teilgenommen. „Teams gehen danach anders miteinander um“, erklärt Antz-Hieber, „denn im Dunkeln werden die Menschen authentischer. Keiner arbeitet auf der Basis von Mutmaßungen weiter, wenn die Stimme zur einzigen Orientierung wird. Die Zensur durch körperliche Reaktionen fällt komplett weg.“ Ein weiterer Effekt: Wer sich im Dunkeln offener verhält, lernt schneller. Sachthemen werden von den Teilnehmern also schneller aufgenommen.

Doch ungewöhnliche Trainingsmethoden haben nicht nur Freunde unter Personalmanagern. Besonders die inzwischen häufig angebotenen Managementtrainings mit spirituellen oder die Grenzen zum Privaten überschreitenden Elementen stoßen bei Viktor Lau, Leiter Personal- und Organisationsentwicklung der Bremer Landesbank, auf Unverständnis. „Davon halte ich nichts“, sagt Lau, der Trainings zu klassischen Führungsqualitäten wie Kommunikation, Entscheidungsverhalten und strategischer Orientierung in der Bank anbietet.

„Persönliche Normen der Mitarbeiter sind deren Privatsache. Jeder kann tun, was er will – aber im Privatleben“, so Lau, „außerdem halte ich es für arbeitsrechtlich bedenklich, wenn Mitarbeiter in einem Training spirituell erschlossen werden sollen.“ Lau hat dazu in diesem Jahr das „Schwarzbuch Personalentwicklung“ veröffentlicht, mit dem er bestimmte Methoden der Personalentwicklung kritisiert.

Grenzen ausloten

„Wir leben in der Postmoderne, in der sich Berufliches und Privates sehr stark vermischen“, meint dagegen Klaus Götz. In einer Studie mit Geschäftsführern kleiner und mittlerer Unternehmen hat Götz belegt, dass eine religiöse oder ethische Ausrichtung von Trainern nicht unbedingt schlecht ankommt. Götz lehrt Betriebspädagogik und Personalentwicklung an der Universität Koblenz-Landau. Trainings, die von ausgebildeten Coaches der katholischen oder evangelischen Kirche durchgeführt werden, können einen Mehrwert bringen, so Götz. Die Befragten betonten, dass Coaches mit christlichem Hintergrund neue Perspektiven wie Ethik, Moral und Werte ansprechen können. Dabei sollte das Coaching aber nicht die Glaubensvermittlung beabsichtigen, sondern an wirtschaftlichen Problemstellungen ansetzen. Götz ist sich sicher: „Wer gute Führungskräfte will, tut gut daran, nicht nur Standardtrainings anzubieten. Denn das Lernen geschieht an Grenzen.“ Trainer müssen die Grenzen sehen, aber nicht überschreiten. Löst beispielsweise eine Trainingsform bei einem Teilnehmer Angstzustände aus, muss ein ausgebildeter Trainer sofort reagieren.

Immer wieder geht es im Kern der modernen Trainingsangebote darum, die Hauptakteure in den Unternehmen mit dem kulturellen Wandel Schritt halten zu lassen. Immer ausgefallenere Coaching-Angebote müssen dabei keine Lösung sein. „Managementtrainings müssen den kompletten Menschen im Blick haben. Sie müssen helfen, Stärken zu identifizieren und auszubauen. Es geht dabei weniger um Methoden, sondern darum, sich selbst zu kennen und zu wissen, worauf man in herausfordernden und immer schneller wechselnden Situationen zurückgreifen kann“, sagt Stefanie Müller, verantwortlich bei Telefónica in Deutschland für HR Strategy & Transformation. Der Mobilfunkkonzern verzichtet weitgehend auf Trainings-Schnickschnack mit ausgefallenen Ideen und konzentriert sich im Wesentlichen bei der Führungskräfteentwicklung auf das Angebot der Oxford Leadership Academy. Deren Ansatz lässt sich mit „weniger ist mehr“ umschreiben. In Team-Runden – nur Stuhlkreise ohne Tische – geht es darum, die eigene Persönlichkeit gegenüber Mitarbeitern einzubringen. Persönliche Erlebnisse, Partnerschafts- und Kindheitserinnerungen spielen ebenso eine Rolle wie persönliche Ziele und Haltungen. „Die Stärkung als Manager kann man über bestimmte Methoden erreichen“, erklärt Müller, „aber der Führungswille muss klar in der Persönlichkeit verankert sein, sonst wirkt der Führungsstil nicht authentisch. Für Themen, die in Zukunft immer wichtiger werden, wie Umgang mit Veränderung oder innerer Rückzug, sind persönliche Erfahrungen und Verhaltensweisen ausschlaggebend.“

Höhen und Tiefen der Menschen

Marie Vergara Jerusalem, Partnerin der Oxford Leadership Academy in Deutschland, beschreibt die Trainings, die als Ansatz zur Kulturveränderung gesehen werden, als schlicht. „Sie bauen nicht auf den neuesten Innovationen auf, sondern auf Weisheit.“ Zu Beginn gehe es um die Menschen selbst, wo sie herkommen, welche Höhen und Tiefen sie in ihrem Leben schon durchschritten haben und woran sie glauben. Erst später spiele das Team und Unternehmensstrategie eine Rolle. „Veränderung der Menschen kann nur von innen heraus erfolgen und gelingen“, sagt Vergara Jerusalem, „erst, wenn sie mit sich und den Zielsetzungen der Organisation im Reinen sind, verspüren sie wieder Sinn in ihrem Beruf. Das ist die Voraussetzung für effektive Veränderung.“ So wie die Top-Manager eines deutschen Traditionskonzerns, die Vergara Jerusalem zur Sinnsuche vier Tage lang auf Wanderungen durch den Wald und zu Lagerfeuer-Abenden begleitete. Am Ende lagen sich die Manager in den Armen, manche weinten vor Erinnerungen. Ein Bild, das die Amerikanerin von deutschen Führungskräften nicht erwartet hatte.

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Petra Schäfer

Online Redaktioni

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