Mehr als ein Weg

Betriebliches Mobilitätsmanagement

Leuchtendes Morgenrot am Himmel. Blaues, glitzerndes Wasser. Wiesen, Bäume und Hügel säumen den Weg. Diese Szenerie erlebt Kevin Fischbach fast jeden Morgen. Rund neun Kilometer radelt der Head of HR Operations der BLG Logistics Group ins Büro – entlang der Weser und des Werdersees.

„In solchen Momenten fühle ich mich glücklich und dankbar. So starte ich mit guter Laune in den Arbeitstag“, sagt Fischbach. „Genauso ist es auf meinem Rückweg. Durch die zwanzig Minuten auf dem Rad lasse ich meinen Arbeitstag hinter mir und freue mich auf die Zeit mit meiner Familie.“

Die Frage, wie wir unseren Arbeitsweg gestalten, beschäftigt viele Menschen. Auf Linkedin finden sich zahlreiche Beiträge: von ästhetischen U-Bahn-Stationen, Sonnenuntergängen und der Lieblingsplaylist für die tägliche Autofahrt bis hin zu überdachten Fahrradstellplätzen, Umkleideräumen und Duschen im Büro.

Umweltbewusste Wege oft ein Privileg

Doch nicht jeder kann den eigenen Arbeitsweg so gestalten, wie er möchte. Laut der Studie Spatial advantages of highly educated individuals in Germany: Is sustainable mobility an expression of privilege? des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und des Leibniz-Instituts aus dem Jahr 2024 entscheiden sich vor allem Menschen mit hohem Bildungsniveau für einen umweltbewussten Arbeitsweg.
Diese Entscheidung sei vor allem an sozialräumliche Faktoren wie den eigenen Wohnort geknüpft. Während urbane Regionen der Studie zufolge meist über ein dichteres öffentliches Verkehrsnetz verfügen – und damit gut an Supermärkte, Schulen oder den Arbeitgeber angebunden sind –, gestalten sich diese alltäglichen Wege in ländlichen Regionen oft komplizierter.

Auch einkommensschwache Einwohner seien, wie die Studie unter anderem am Beispiel München analysiert hat, in ihren Wahlmöglichkeiten benachteiligt, da diese Personengruppe zunehmend aus den zentraleren Stadtgebieten verdrängt werde. Einzelpersonen haben es also nicht immer in der Hand, umweltbewusste Wege einzuschlagen. Doch wie steht es um Unternehmen?

Blick auf die Verursacher

Christian Grotemeier, wissenschaftlicher Beirat des Bundesverbands Betriebliche Mobilität und Professor für Betriebswirtschaftslehre und Mobilitätsmanagement an der Hochschule RheinMain, hält es für wichtig, den Blick nicht nur auf diejenigen zu richten, die „in den Fahrzeugen sitzen“, sondern auch auf diejenigen, die indirekt „Verursacher“ dieses Verkehrs seien: die Unternehmen.

Laut einer Aufteilung der globalen Treibhausgasemissionen habe der Verkehr im Jahr 2019 19 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen ausgemacht. Das schreiben Claudia Falkinger und Andreas Lindinger in ihrem Buch Nachhaltiges Betriebliches Mobilitätsmanagement: So gelingt die Transformation zu einer nachhaltigen, innovativen und inklusiven Mobilität in Unternehmen. Auch im DACH-Raum seien die verkehrsbedingten Emissionen im Jahr 2022 für 20 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich gewesen. Neben den Folgen für das Klima seien diese steigenden Verkehrsemissionen auch gesundheitsschädlich.

Axel Schäfer, Geschäftsführer des Bundesverbands Betriebliche Mobilität, sieht beim Klimaschutz Unternehmen in der gesellschaftlichen Verantwortung. Er plädiert für ein Vertrauen in die Wissenschaft: „Klimawandel ist für mich Fakt“, sagt Schäfer. „Ich glaube lieber Wissenschaftlern, die sich gelegentlich irren, als Irren, die glauben, sie sind Wissenschaftler.“

„Die Mobilität, die wir aktuell haben, passt nicht mit unseren Klimaschutzzielen zusammen“, sagt auch Grotemeier und sieht Handlungsbedarf. Oft hindere die Angst vor hohen Ausgaben Unternehmen daran, klimafreundliche Mobilitätsmaßnahmen zu ergreifen, vermutet Schäfer. Dabei gehe es nicht immer darum, riesige Summen zu investieren. Vielmehr, so Schäfer, müsse man sich fragen: „Wenn wir heute nichts tun, wie teuer wird es dann in der Zukunft?“

Unternehmensbeispiel Vaude

Dreizehn Kilometer südlich von Ravensburg und rund siebzig Meter über dem Bodensee liegt mit 20.000 Einwohnern die drittgrößte, aber flächengrößte Stadt im Bodenseekreis: Tettnang. Im Ortsteil Obereisenbach hat der Outdoorausrüster Vaude seinen Sitz. Das Gelände sticht heraus. Dort, wo bisher Parkplätze und Asphalt den Weg zum Haupteingang säumten, sei im Rahmen eines Gebäudeumbaus ein campusartiger Innenhof mit Grünflächen entstanden, die unter Berücksichtigung des Biodiversitätskonzepts bepflanzt wurden, erklärt Antje von Dewitz, Geschäftsführerin von Vaude. „Statt parkender Autos blüht hier eine an der Alpenvegetation orientierte Magerrasen-Wildnis“, sagt sie. Im Mittelpunkt des Innenhofs gebe es eine zehn Meter hohe Kletterwand, daneben eine Holzterrasse, wo gearbeitet oder zu Mittag gegessen werden kann. Der begrünte Campus lässt darauf schließen, dass Ökologie bei Vaude großgeschrieben wird. Doch hält der Eindruck, was er verspricht?

In der Unternehmensstrategie verankert

„Wir verfolgen eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie mit ambitionierten Klimazielen – dadurch konnten wir bereits große CO2-Einsparungen erreichen. Mit dazu beigetragen hat auch unser Mobilitätskonzept mit einem starken Fokus auf der betrieblichen Mobilität“, sagt Hilke Patzwall, Nachhaltigkeitsmanagerin bei Vaude.

Das Konzept umfasse eine Mobilitätsrichtlinie für Geschäftsreisen, die Umstellung des eigenen Fuhrparks auf E-Mobilität sowie die Förderung des umweltfreundlichen Pendelns zur Arbeit durch Anreize fürs Radfahren, die Bildung von Fahrgemeinschaften und sogar das Initiieren einer eigenen Buslinie.

Lange Zeit sei Obereisenbach nur mit dem Schulbus zur örtlichen Grundschule an den ÖPNV angebunden gewesen. Doch damit wollte sich Vaude nicht zufriedengeben. Die sogenannte „Bähnlelinie“ wurde in Kooperation mit dem Landkreis Bodenseekreis und einem örtlichen Busunternehmer initiiert und verkehrt heute täglich zwischen 7 und 18 Uhr im Stundentakt. Sie bindet Obereisenbach an den nächsten Bahnhof in Meckenbeuren sowie an den Stadtverkehr Tettnang-Obereisenbach an.

Das Mobilitätskonzept sei, so von Dewitz, auch in der Nachhaltigkeitsstrategie verankert, die von der Geschäftsleitung gestaltet und gesteuert werde. „Unser interdisziplinäres Nachhaltigkeitsteam koordiniert alle Nachhaltigkeitsaktivitäten und -maßnahmen“, führt sie weiter aus. Die Maßnahmen der Mobilität seien wiederum Teil der wissenschaftsbasierten Klimastrategie von Vaude, die auch die Produktion der Materialien sowie die Energienutzung in der Lieferkette berücksichtige.

Interdisziplinarität gefragt

Auch laut Axel Schäfer müsse Mobilität immer interdisziplinär gedacht werden. Gutes Mobilitätsmanagement, so Schäfer, müsse „ökologisch nachhaltig, ökonomisch tragfähig und sozial verträglich“ sein.

Eine Patentlösung gebe es jedoch nicht. Schäfer rät Unternehmen dazu, eine Mobilitätsbedarfsanalyse durchzuführen, um gezielt zu ermitteln, in welchen Bereichen neue Mobilitätskonzepte erforderlich sind – sei es für Pendlerinnen und Pendler, Dienstfahrten, Vertrieb, Außendienst, technischen Service oder Transport. Dann gilt es zu prüfen, wie diese Maßnahmen kostengünstig und nachhaltig umgesetzt werden können.

Bedürfnisse der Belegschaft

So wie jedes Unternehmen andere Voraussetzungen hat, unterscheiden sich auch die Bedürfnisse der Belegschaft. Axel Schäfer hält es daher für wichtig, auch bei Mobilitätsmaßnahmen immer an die Mitarbeitenden – an die Menschen – zu denken. Wer als Arbeitgeber Vorschläge mache, müsse auch prüfen, ob diese realistisch umsetzbar seien. „Wenn ich möchte, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Mobilitätsverhalten ändern, kann ich das nicht erzwingen oder anordnen. Das funktioniert bei erwachsenen Menschen nicht“, sagt Schäfer.

Das weiß er aus eigener Erfahrung. Zur Arbeit radelt er meist – viereinhalb Kilometer in die Mannheimer Innenstadt. „Das ist gut machbar, aber ich bin ein Schönwetter-Radler“, gibt er lachend zu. An regnerischen Tagen bleibt das Fahrrad stehen, dann kommt sein Elektroauto zum Einsatz. Der Wechsel zur E-Mobilität? Anfangs eine echte Herausforderung. „Ich war ziemlich skeptisch“, erinnert er sich. Besonders auf der Autobahn, als der Akku plötzlich nur noch 30 Prozent hatte. Seine Befürchtung: Was, wenn ich liegen bleibe? – Heute kann er darüber nur schmunzeln: „Totaler Blödsinn, ist tatsächlich nie passiert.“

Ökonomische Vorteile

Das Beispiel Vaude lässt vermuten: Klimafreundliche Maßnahmen und Wertschöpfung schließen einander nicht aus. Ein erfolgreich umgesetztes betriebliches Mobilitätsmanagement könne sich für Unternehmen auch ökonomisch lohnen, sagt auch Schäfer – sei es in der Kundenwahrnehmung, Arbeitgeberattraktivität, Wettbewerbsfähigkeit oder Mitarbeiterzufriedenheit.

Auch Falkinger und Lindinger sehen im betrieblichen Mobilitätsmanagement viele Vorteile fürs Unternehmen. „Zusätzlich zu unmittelbar messbaren Effekten im Bereich Verkehr trägt ein gelungenes betriebliches Mobilitätsmanagement auch im Bereich Human Resources zur Erhöhung der Attraktivität des Unternehmens und der Mitarbeiterinnenzufriedenheit entscheidend bei und kann gerade bei Investitionen im Bereich der aktiven Mobilität auch positive Gesundheitsaspekte erzielen“, heißt es in ihrem Fachbuch über das nachhaltige betriebliche Mobilitäts­management.

Gleichzeitig warnt Grotemeier davor, die Vorteile zu überschätzen. „Sonst ist die Fallhöhe zu groß, wenn man nicht alle Effekte erreicht.“ Mobilitätsmanagement müsse als Teil eines Gesamtpakets gedacht werden. Dazu gehörten beispielsweise die betriebliche Altersvorsorge, interessante Angebote zum Gesundheitsmanagement, vielleicht eine zusätzliche private Krankenversicherung und Weiterbildungsmöglichkeiten. „Ich glaube, je größer und umfassender dieser Strauß ist, desto attraktiver werden Unternehmen wahrgenommen.“

Zusammenarbeit mit Politik unerlässlich

Doch Unternehmen sind nicht allein in der Verantwortung. Ein weiterer wichtiger Akteur für nachhaltige Mobilität ist die Politik.

Aus seiner Arbeit im Bundesverband Betriebliche Mobilität weiß Schäfer: „Viele Ideen, die auf politischer Ebene noch so reizvoll klingen, machen in der Umsetzung Probleme.“ Deshalb tritt auch der Verband regelmäßig in den Austausch mit der Politik – sei es im direkten Dialog oder über Positionspapiere – auf nationaler wie auf kommunaler Ebene. Für kleinere Unternehmen, so Christian Grotemeier, können Maßnahmen wie das Jobticket oder das Mobilitätsbudget im Verhältnis zu ihren verfügbaren Ressourcen bereits einen spürbaren Verwaltungsaufwand darstellen.

Sie bräuchten die Mittel, sich darum zu kümmern. Hier sieht Grotemeier auch die Politik in der Verantwortung. Es brauche Förderprogramme, die auch auf KMU zugeschnitten sind. Ebenso hält er eine bessere Fahrradinfrastruktur für unerlässlich. Diese Forderung teilen viele Beschäftigte: Im BBM Mobility Survey 2024 finden 67 Prozent der Befragten gute und sichere Radwege wichtig.

Die verkehrspolitische Debatte sei zunehmend emotional aufgeladen, so Grotemeier, denn Veränderungen zwingen uns im Zweifelsfall, unser Verhalten anzupassen. Deutschland habe außerdem eine besondere Stellung, was das Auto angehe. Es werde nicht nur als Verkehrsmittel diskutiert, sondern sei ein fester Bestandteil unserer Volkswirtschaft. Andere Länder könnten vergleichsweise besser aus der Mobilitätsverkehrsperspektive diskutieren.

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Mit der Entwicklung gehen

Letztlich, so Schäfer, müsse das Ziel sein, „eine verträgliche Variabilität der Mobilität zu haben. Es geht nicht darum, Dinge zu verbieten.“ Sein Rat an Unternehmen: „Verfolgen Sie regelmäßig die Entwicklungen und setzen Sie das um, was Ihnen ­möglich ist.“

Eines zieht sich durch die Gespräche, Eindrücke und Zahlen: Mobilität ist in Bewegung. Wer heute die richtigen Weichen stellt, wird morgen nicht auf der Strecke bleiben.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Struktur. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Salome Häbe

Salome Häbe ist Junior-Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager. Dort absolvierte sie zuvor ihr Volontariat. Sie hat einen Bachelorabschluss in Internationaler Kommunikation und arbeitete neben dem Studium freiberuflich im Bereich der Nachhaltigkeit für mehrere Online-Magazine.

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