Resilienz ­beginnt bei HR

Business Continuity Management

Es ist Montagmorgen, 8 Uhr. Sie starten Ihren Rechner, doch nichts funktioniert wie gewohnt. Laptop und Smartphone zeigen Verbindungsfehler, die Telefonanlage ist tot. Kolleginnen und Kollegen melden sich per Whatsapp: Überall das gleiche Problem. Plötzlich eine kryptische Nachricht auf dem Monitor: „Ihre Dateien wurden verschlüsselt. Zahlen Sie 50 Bitcoin, um den Zugriff wiederzuerlangen.“

Noch weiß niemand, wann das Problem gelöst sein wird. Klar ist aber: An einen Normalbetrieb ist nicht zu denken und das Unternehmen steckt in einer Krise. Wer übernimmt jetzt die Koordination? Wie bleibt das Unternehmen handlungsfähig, wenn kritische Systeme und Kommunikationskanäle ausfallen? Wer informiert die verunsicherte Belegschaft – und wie?

In der Krise ist schnelles und effektives Handeln entscheidend. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob die IT wegen eines Cyberangriffs zusammenbricht, die Produktionsanlagen stillstehen, weil ein quer stehendes Containerschiff die Lieferkette unterbricht, oder ob Naturkatastrophen wie Waldbrände und Hochwasser eine Evakuierung einer Produktionsstätte erfordern.

Keine Firma ist vor solchen Szenarien gefeit. Ebenso wie die Polizei oder Feuerwehr benötigen auch Unternehmen im Ernstfall eine Leitstelle, um den Betrieb aufrechtzuerhalten und das Handeln der Beschäftigten zu koordinieren. Wenn Sie darüber nachdenken, erkennen Sie dann auch die wertvollen Kompetenzen, mit denen Ihre Personalabteilung und interne Kommunikation glänzen können?

Business Continuity Management: Vom Chaos zur Kontrolle

Die Personalabteilung und interne Kommunikation sollten sich sowohl in der Vorbereitung als auch in einer Krisensituation einbringen und die eigenen strategischen Kompetenzen im Business Continuity Management (BCM) beweisen. BCM erfordert einen systematischen Ansatz, um die Handlungsfähigkeit zu wahren und den Geschäftsbetrieb schnell wieder aufzunehmen, und grenzt sich darin vom Risikomanagement ab: Während sich das Risikomanagement mit präventiven Maßnahmen auseinandersetzt, um Risiken und potenzielle Schäden zu minimieren, agiert das HR trägt dazu bei, Geschäftsabläufe auch in Krisenzeiten sicherzustellen. Durch effektives Business Continuity Management behalten Führungskräfte den Überblick und handeln gezielt. prozessorientiert. Die Leitfrage lautet entsprechend: Wie halten wir den Geschäftsbetrieb aufrecht, wenn eine Krise eintritt?

Dafür ist es entscheidend, im Vorfeld die richtigen organisatorischen Prozesse zu etablieren, damit im Ernstfall die Krisenleitstelle möglichst reibungslos auf den Plan treten kann. Sie steuert zum Beispiel die Kommunikation und den Personaleinsatz. Hier kommt der Personalabteilung eine Schlüsselrolle zu. Denn bereits in der Vorbereitung kann das HR-Team zum Beispiel dabei helfen, kritische Schlüsselpositionen in der Organisation zu identifizieren, sich bei der Koordination von Trainings und Schulungen zu engagieren und die interne Krisenkommunikation vorzubereiten.

Beginnen wir bei der Personalplanung: Ein wesentlicher Bestandteil des BCM ist die Identifizierung der Personen, die in Krisenzeiten für den reibungslosen Betrieb unerlässlich sind. HR-Verantwortliche haben die Expertise darin, kritische Positionen und Talente zu erkennen. Diese kann die Abteilung einbringen, um aufzuzeigen, welche Personen bei der internen Informationsverteilung eine besondere Rolle spielen können, wenn die regulären Kanäle blockiert sind.

Wissen ist Macht, Training ist Machbarkeit

Die Schulung und das Informieren der Beschäftigten ist ebenfalls zentral. Die Planung und Bildung eines Krisenstabs, von Prozessen und die Umsetzung von Best Practices ist eine Sache. Sie helfen aber nur dann, wenn sie im Bewusstsein fest verankert sind. Hier kann die HR ihre Stärke als Trainingskoordinator ausspielen und sicherstellen, dass alle Beschäftigten in Schlüsselpositionen ihr Wissen regelmäßig auffrischen oder an Übungen und Krisensimulationen teilnehmen, indem sie die Organisation und Durchführung dieser Schulungen übernehmen. Denn im Ernstfall zählt nicht nur das Wissen, sondern auch die korrekte Umsetzung, um den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten.

Eine weitere Stärke von HR ist das Offboarding von erfolgskritischen Führungskräften oder Fachleuten. In vielen Unternehmen droht selten der Stillstand, aber gerade deshalb wird das Thema BCM beim Offboarding leicht übersehen. HR kann Engpässe vermeiden, indem es Abgänge von Beschäftigten, die entscheidend für den Geschäftsablauf sind, frühzeitig zum Thema macht, einen Ersatz vorschlägt und die Nachfolge trainiert.

Kommunikation in der Krise: HR als ­Informationsdrehscheibe

Aber nicht nur, wenn jemand den Krisenstab verlässt, können entscheidende Informationen von HR kommen. Krisen selbst erfordern klare und schnelle Kommunikation. Eine HR-Abteilung, die für interne Kommunikation verantwortlich ist, ist als zentrale Leitstelle für den Informationsfluss zwischen Krisenstab und Belegschaft geradezu prädestiniert.

Dazu sind zwei Aspekte zentral: Einerseits kann sie selbst Kommunikationsstrategien entwickeln, um sicherzustellen, dass alle schnell und präzise über aktuelle Entwicklungen informiert werden. Andererseits kann sie den Austausch mit der externen Kommunikation initiieren, damit interne und externe Kommunikation im Krisenfall aus einem Guss sind. Ein gut vorbereiteter und abgestimmter Kommunikationsplan ist der Schlüssel, um Missverständnisse und Panik in Krisensituationen zu vermeiden.

Kulturwandel für Resilienz

Eine weitere wertvolle Funktion von HR liegt in der Förderung einer resilienten Unternehmenskultur, die nicht nur in Krisen, sondern auch im Alltag von großem Nutzen ist. Als Change Agent begleitet die HR-Abteilung den Wandel von einer reaktiven zu einer proaktiven Organisation. Dabei geht es nicht nur um die Entwicklung von Notfallplänen und die Simulation von Krisenszenarien, sondern vor allem darum, BCM fest in den Unternehmenswerten und der Philosophie zu verankern.

Durch gezielte Sensibilisierungsmaßnahmen auf allen Ebenen stellt HR sicher, dass jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin die Bedeutung des BCM versteht, Krisenprozesse verinnerlicht und im Ernstfall besonnen reagiert. Wie die Feuerwehr, die regelmäßig übt, um Einsätze routiniert zu bewältigen, trägt ein gut eingespieltes BCM dazu bei, auch in turbulenten Zeiten handlungsfähig zu bleiben. Eine von Resilienz geprägte Unternehmenskultur kann zudem die Mitarbeiterbindung und -motivation steigern. Die Gewissheit, dass das Unternehmen gut auf Krisen vorbereitet ist, stärkt das Vertrauen der Belegschaft in ihre Arbeitsumgebung.

Standards und Zertifizierung

Die Implementierung eines BCM-Systems (BCMS) ist eine komplexe Aufgabe. Doch wo ist der beste Einstieg? Wie lässt sich die Belastbarkeit und Effektivität eines etablierten BCM-Systems überprüfen? Hier kommen Standards wie ISO 22301 ins Spiel. Diese international anerkannte Norm bietet Unternehmen einen bewährten Rahmen für den Aufbau und Betrieb eines BCMS.

Wenn die Best Practices des Standards im eigenen Unternehmen implementiert wurden, dann können externe Audit- und Zertifizierungsdienstleister dabei helfen, die Umsetzung zu validieren. Dadurch stellen Unternehmen sicher, dass alle relevanten Aspekte der Geschäftskontinuität systematisch identifiziert, bewertet und in wirksame Maßnahmen überführt werden.

Für HR eröffnet eine ISO-22301-Zertifizierung zahlreiche Chancen, die eigene strategische Position zu stärken. Eine erfolgreiche Zertifizierung verbessert nicht nur die Resilienz, sondern stärkt auch das Sicherheitsgefühl der Beschäftigten. Das kann sich positiv auf die Mitarbeiterzufriedenheit und ihr Vertrauen in den Arbeitgeber auswirken. Das betrifft insbesondere Unternehmen, die in besonders risikoreichen Branchen operieren. Durch eine transparente und proaktive Kommunikation trägt HR wesentlich dazu bei, das Vertrauen zu stärken und die Reputation zu verbessern.

HR als Treiber für ein resilientes Unternehmen

HR-Abteilungen haben das Potenzial, Business Continuity Management aktiv mitzugestalten und dadurch ihre strategische Bedeutung im Unternehmen zu stärken. Ob bei der Personalplanung, im Krisentraining oder bei der Koordination der Kommunikation – HR kann in allen Bereichen des BCM einen entscheidenden Beitrag leisten. Business Continuity Management bietet damit nicht nur Schutz in Krisenzeiten, sondern ist auch eine Chance für HR, sich als unverzichtbarer Partner zu positionieren. Durch die Integration von BCM in die Unternehmensstrategie kann die Personalabteilung ihre Rolle von einer rein operativen hin zu einer beratenden, strategischen Funktion erweitern. Dies bedeutet, dass HR nicht nur auf den Ernstfall vorbereitet ist, sondern auch maßgeblich als Innovationstreiber in der Krisenprävention und im Risikomanagement agiert.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Exzellenz. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Guido Eggers

Guido Eggers ist Managing Director und Global Head Center of Excellence Food and Sustainability beim Beratungsunternehmen DQS CFS, Leiter der Zertifizierungsstelle, Qualitätsmanagementbeauftragter, BCM-Auditor und fachlicher Prüfer. Eggers begleitet Unternehmen bei Audits und Assessments rund um Nachhaltigkeits- und Lebensmittelthemen. Bei der DQS hat er seit 2019 verschiedene leitende Positionen inne. Zuvor war er über 30 Jahre in der Lebensmittelbranche für die Qualitätssicherung renommierter Produzenten tätig.

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