Teamgeist, Engagement, Vernetzung – all das wird in vielen Unternehmen großgeschrieben. Doch was, wenn sich dahinter eine wachsende Isolation verbirgt? Studien zeigen, dass sich immer mehr Menschen einsam fühlen. Auch im Job ist dies längst keine Randerscheinung mehr: Laut dem Gallup-Bericht State of the Global Workplace 2024 erleben mehr als 20 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Einsamkeit am Arbeitsplatz. Über die konkreten Gründe hierfür lässt sich spekulieren. Denn Einsamkeit im Kontext von Arbeit spielte sowohl in der Einsamkeits- als auch in der Arbeitsforschung bis vor kurzem keine große Rolle.
Das berichtet Bernd Schäfer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitseinheit für psychologische Methodenlehre an der Ruhr-Universität Bochum, der sich im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Thema Einsamkeit und Arbeit einen entsprechenden Überblick verschafft hat. Als gesichert gilt jedoch, dass Einsamkeit im Job verschiedene Ursachen hat. „Es sind vorwiegend gesellschaftliche Veränderungen wie die zunehmende Individualisierung, die dazu führen, dass sich immer mehr Menschen in der Arbeitswelt einsam fühlen“, weiß Professor Claas Lahmann. Der ärztliche Direktor der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg unterstützt Menschen, die durch ein dauerhaft belastendes Arbeitsumfeld krank geworden sind. Darüber hinaus berät er als Executive Master of Change Unternehmen zum Thema gesunde Arbeit.
Remote Work ist nicht an allem schuld
Schuld an der zunehmenden Isolation von Mitarbeitenden sind nach Meinung von Lahmann des Weiteren die neuen Technologien, da sie eine direkte Interaktion zwischen den Mitarbeitenden oftmals erübrigen. Die Arbeit im Homeoffice indes ist – anders als von vielen vermutet – nicht der hauptsächliche Grund, warum sich Mitarbeitende häufig isoliert fühlen. Dies zeigen neuere Untersuchungen: Einer aktuellen Umfrage der Techniker Krankenkasse zum Thema Einsamkeit unter mehr als 1.400 Menschen zufolge fühlen sich zwar 16 Prozent der Beschäftigten in Deutschland, die mindestens ab und zu im Homeoffice arbeiten, häufig oder manchmal einsam. Bei den Erwerbstätigen, die ausschließlich vor Ort ihrem Job nachgehen, ist der Anteil mit 14 Prozent jedoch ähnlich hoch. Sarah L. Wright, Associate Professor for Organizational Behavior an der University of Canterbury und Constance, und Noonan Hadley, Professorin und Organisationspsychologin an der Boston University, haben darüber hinaus herausgefunden, dass die erlebte Einsamkeit unabhängig davon ist, wie häufig jemand ins Büro kommt. Die beiden appellieren daher an Organisationen, Einsamkeit im Job nicht allein auf Remote Work zu schieben.
Weniger Leistung durch Einsamkeit
Ebenso wenig zielführend ist es, wenn Einsamkeit als Privatsache gesehen wird. In der Untersuchung der beiden Professorinnen unter rund 1.000 US-amerikanischen Büroangestellten zwischen 22 und 50 Jahren gaben viele Teilnehmende an, dass sie sich bei einem Arbeitgeber einsam gefühlt haben, bei einem anderen dagegen nicht. Das heißt: Der Kontext beeinflusst das Gefühl sozialer Verbundenheit. Laut Wright und Hadley sind Einsamkeitsgefühle somit nicht ausschließlich als persönliche Angelegenheit der Betroffenen zu betrachten.
Nach Ansicht von Natalie Lotzmann, Chief Medical Officer und Global Head of Health, Safety & Well-Being bei SAP, sollten sich Unternehmen aus drei Gründen dem Thema Einsamkeit annehmen: aus Fürsorge für die Mitarbeitenden, aus gesellschaftlicher Verantwortung und aus Gründen der ökonomischen Vernunft. „Fühlt ein Mensch sich einsam, ausgeschlossen oder nicht in gutem Kontakt zu sich oder anderen, kann sich dies auf die Qualität der Zusammenarbeit und damit auf den Beitrag zur Teamleistung auswirken“, sagt sie.
Wie die Ergebnisse der Gallup-Studie bestätigen, sind Mitarbeitende, die Einsamkeit erfahren, mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit bei der Arbeit engagiert als ihre Kollegen und Kolleginnen, die sich nicht einsam fühlen. Eine Umfrage des Pinktum Instituts unter mehr als 1.000 erwerbstätigen Menschen in Deutschland hat zudem ergeben, dass Einsamkeit und Isolation fast einem Viertel der Befragten Kraft rauben. Nicht zuletzt zeigt eine Metaanalyse über Einsamkeit am Arbeitsplatz von britischen Wissenschaftlern aus dem Jahr 2023, dass Einsamkeit mit höheren Burn-out-Symptomen verbunden ist. Erforscht ist schon länger, dass chronisch einsame Menschen anfälliger für Depressionen und Angststörungen sind. Aber auch Diabetes und Herz-Kreislauf-Störungen werden mit Einsamkeit in Verbindung gebracht. Es liegt auf der Hand: Einsamkeit steigert Fehlzeiten.
Drastische Kosten durch Einsamkeit
Damit nicht genug: Einsamkeit führt auch zu verstärkter Fluktuation. Darauf verweist der Gallup-Report. Unterm Strich verursacht soziale Isolation enorme Kosten. Ein Bericht der britischen Regierung über Einsamkeit am Arbeitsplatz aus dem Jahr 2023 führt dies eindrücklich vor Augen. Demnach belaufen sich die Kosten der Einsamkeit für britische Arbeitgeber jedes Jahr auf circa 2,5 Milliarden Pfund. Fast zwei Drittel gehen dabei auf eine erhöhte Personalfluktuation zurück, mehr als ein Viertel auf die Auswirkungen auf Wohlbefinden und Produktivität. Mit Einsamkeit verbundene krankheitsbedingte Fehlzeiten machen nur ein Prozent der Gesamtkosten aus, doch sind das immer noch mehr als 20 Millionen Pfund pro Jahr. Alarmierende Zahlen, die unter anderem dazu beigetragen haben, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Arbeitgeber dazu aufgefordert hat, mehr gegen soziale Isolation am Arbeitsplatz zu unternehmen.
Über Einsamkeit aufklären
Das Softwareunternehmen SAP schenkt dem Thema nicht erst seit dem Appell der WHO Beachtung. Wie Natalie Lotzmann berichtet, ist es vielmehr seit mehr als 20 Jahren eingebettet in das Gesundheitsmanagement des Unternehmens – als strategischer Baustein des Human Resources Managements. „Das Phänomen der Einsamkeit muss im Bereich der mentalen Gesundheit integriert sein“, betont Lotzmann. So stellt SAP den Mitarbeitenden auf seiner Plattform für mentale Gesundheit unter anderem Videos und Selbstlern-Kurzprogramme zur Verfügung, um Anzeichen von Einsamkeit bei sich selbst oder anderen frühzeitig zu erkennen. „Einsamkeit hat viele Gesichter.
Nicht nur Menschen, die viel allein sind, können betroffen sein. Auch hinter Arbeitssucht, ständigem Unterwegssein oder selbst hinter sehr extrovertiertem Verhalten können sich Einsamkeit oder Depressionen verstecken“, erläutert Lotzmann. Deswegen sei es wichtig, eine Kultur mit starkem Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln und auf Anzeichen der Unverbundenheit, der Entfremdung oder gar der Isolation zu achten. Dafür wolle man Führungskräfte und Teams im Unternehmen sensibilisieren.
Psychologische Sicherheit – das Gegenmittel für Einsamkeit
Darüber hinaus können Führungskräfte bei SAP spezielle Trainings zur Früherkennung absolvieren. Vorgesetzte haben laut Lotzmann eine besondere Verantwortung im Kontext des Themas „soziale Isolation“ – neben der Selbstverantwortung der Mitarbeitenden und einer Verantwortung der Menschen im Betrieb untereinander. „Die Führungskräfte sind gefordert, so zu agieren, dass sich Mitarbeitende nicht allein beziehungsweise alleingelassen fühlen“, so Lotzmann. Soll heißen: Sie müssen psychologische Sicherheit bieten, wie die BGM-Expertin es im Sinne einer gesunden Führung und einer gesunden Arbeitsplatzgestaltung auch insgesamt propagiert.
Auch nach Ansicht von Mediziner Claas Lahmann ist es im Umgang mit Einsamkeit für Unternehmen wegweisend, psychologische Sicherheit zu vermitteln. Er führt dabei insbesondere an, dass es wichtig ist, Mitarbeitenden das Gefühl von Akzeptanz und Zugehörigkeit zu geben. Laut Lahmann sei es besonders relevant, wenn Führungskräfte ihren Mitarbeitenden vermitteln, dass sie gesehen werden. Das macht er unter anderem auch in seinem kürzlich erschienenen Buch Wie Arbeit glücklich macht deutlich. Er empfiehlt Führungskräften, sich folgende Fragen zu stellen: „Was weiß ich über meine engeren Mitarbeitenden?“, „Kenne ich deren familiäre Situation?“, „Weiß ich, womit ich ihnen eine Freude machen kann?“, „Und weiß ich, worüber sie sich ärgern?“ Persönliches Interesse zu zeigen, schaffe Nähe und Verbindung.
Soziale Interaktion im Unternehmen fördern
Die außerbetriebliche Lebensdomäne von Mitarbeitenden zu kennen, bedeutet aber nicht, dass Führungskräfte in irgendeiner Form Verantwortung für sie übernehmen sollten. „Ist die Einsamkeit vorwiegend auf den privaten Bereich einer Person zurückzuführen, haben Vorgesetzte ohnehin keinen direkten Einfluss darauf“, so Lahmann. Arbeitgeber könnten lediglich darauf einwirken, dass innerhalb des Unternehmens soziale Interaktion gefördert wird – zum Beispiel durch gemeinsame Mittagspausen, Betriebsausflüge oder Warm-ups bei Meetings.
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Über solche präventiven Aktivitäten hinaus bieten große Unternehmen häufig Employee-Assistance-Programme mit einer Hotline für Mitarbeitende in Not an. So können diese sich extern Hilfe holen, um sich aus ihrer Einsamkeit zu befreien. Bei SAP stehen darüber hinaus Live-Chats mit Experten sowie Einzelberatungen zur Verfügung. „Wir möchten Betroffenen auf verschiedenen Wegen Unterstützung bieten, damit sie sich zugehörig fühlen und ihre Einsamkeitsgefühle überwinden können“, sagt Natalie Lotzmann. Dass alle, die Unterstützung suchen, diese auch erhalten müssen, ist für sie ein wichtiger Punkt. Ebenso, dass man sich im Unternehmen gegenseitig hilft. So würden Eins-zu-eins-Beratungen auch häufig von Mitarbeitenden genutzt, die sich Sorgen um einen Kollegen beziehungsweise eine Kollegin machen würden.
Das Phänomen Einsamkeit sichtbarer machen
„Einsamkeit ist ein Tabuthema, von den Betroffenen selbst wird es kaum angesprochen“, weiß Claas Lahmann. Auch wenn das Phänomen des Erlebens von sozialer Isolation seit der Coronapandemie präsenter geworden sei, ist es seiner Meinung nach nötig, das Thema in Zukunft noch stärker sichtbar zu machen. „Die wissenschaftliche Forschung spielt dabei eine Schlüsselrolle“, ist er überzeugt. Auf die Ergebnisse des Forschungsprojekts der Ruhr-Uni Bochum Arbeit und Einsamkeit darf man daher gespannt sein. Wie Bernd Schäfer mitteilt, soll unter anderem analysiert werden, welches die wichtigsten Faktoren sind, die Einsamkeit im Kontext von Arbeit voraussagen, welche Menschen besonders gefährdet sind und welche Schlussfolgerungen sich für die Präventionen ziehen lassen. Mit ersten Ergebnissen ist jedoch erst Ende des Jahres zu rechnen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Struktur. Das Heft können Sie hier bestellen.