Hinter der steigenden Zugewandtheit zu HR Tech stehen zunächst einmal zwei Einsichten. Erstens: HR muss datenbasierter, digitaler, nutzerfreundlicher und vor allem schneller werden, doch die Do-it-Yourself-Ansätze der Vergangenheit sind nur allzu oft gescheitert. Und: Wenn HR nicht absaufen will in den Unmengen an Schlüsselthemen, Daten und zunehmenden Berichtslegungspflichten (das Lieferkettensorgfaltsgesetz ist hier nur ein Beispiel von vielen), wenn es sich nicht aufreiben will im Dauerdilemma „doing more – with less“, wenn es die historische Chance ergreifen will, die für HR im Paradigmenwechsel der letzten Jahre liegt, Beschäftigte nicht mehr vorwiegend als Kostenfaktor und Ressource, sondern im Wettbewerb als wertvollstes und vielfach entscheidendes Asset zu sehen – dann führt kein Weg an digitalen Tools und Prozessen und am Nutzen der Angebotspalette der erwachsen gewordenen Start-up-Szene vorbei.
Neue Partnerschaften – unterschiedliche Welten
Und so werden einst komplexe Prozesse endlich schlanker und mitarbeiterfreundlich, entstehen neue Dienstleistungen für Unternehmen und Beschäftigte, sorgen Datenmengen statt Papierstapel (endlich) für datenbasierte Entscheidungen und ersetzen digitale Tools und Assistenzsysteme den Klammeraffen und händisch gepflegte Excel-Tabellen.
Und auch der Weg dorthin ist anders: Anstatt wie in der Vergangenheit, alles im Unternehmen selbst zu machen und zu entwickeln, erfolgen diese Veränderungen zunehmend in offener Zusammenarbeit mit Start-up-Partnern: Es wird experimentiert, pilotiert, verworfen, verbessert, skaliert. Weil man gelernt hat: Wer es ernst meint, mit der Zielsetzung, schneller, flexibler, günstiger und agiler zu werden, der schafft es häufig nicht allein, dazu braucht es Partner und vor allem HR Tech!
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es trotz aller Offenheit und Einsicht Kooperationen und neue Wege braucht. Dennoch scheitert trotz aller Erfolgsbeispiele die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Start-ups immer wieder. Die anfängliche Begeisterung lässt nach, Hürden erscheinen unüberwindbar, man kommt über den Status eines Experimentierraums oder eine Pilot-Phase nicht hinaus, die angedachte Skalierung und unternehmensweite Roll-out? Fehlanzeige. Woran liegt das? Es ist wie in anderen Beziehungen: Am Anfang steht die Begeisterung über ein gemeinsames Ziel. Die Ernüchterung kommt dann im Alltagsgrau der Umsetzung, wenn es darum geht, in die häufig lästigen Details der Unternehmensrealität abzusteigen und dort die zwei völlig unterschiedlichen Welten aus Start-up und Corporate zusammenkrachen.
Einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren (neben zugegebenermaßen etlichen anderen) ist: Dieser „clash of cultures“ muss aktiv gemanagt werden, er bedarf aktiver und bewusster Steuerung und Begleitung. „Es ist zum verrückt werden“, sagte mir erst kürzlich der Gründer eines erfolgreichen HR-Tech-Start-ups mit Blick auf die Geschwindigkeit im Großkonzern. Er hat ein erfolgreiches, durchdachtes Produkt, das ein konkretes Problem löst und Kosten spart, hat Pilotprojekte mit Bravour bestanden, hat sich durch all die Hürden von Betriebsräten auf verschiedenen Mitbestimmungsebenen bis hin zu unerwarteten Zusatzanforderungen (wie „Barrierefreiheit der IT-Tools“) gekämpft und droht nun dennoch zu scheitern: an unendlich komplizierten Integrationsprozessen beispielsweise am „Auftragsdatenverarbeitungsvertrag“ – den braucht es zur Verarbeitung personenbezogener Daten, den gibt es als EU-Muster standardisiert, nur halten sich die wenigsten Unternehmen an diesen Standard.
Und wenn es dann häufig auch in Großunternehmen letztlich nur eine Person gibt, die sich mit den speziellen Anforderungen des Unternehmens auskennt und Der- oder diejenige dann krank oder im Urlaub ist, dann wird das schnell zum Engpass, einem von vielen. Insbesondere fehlt es an Entscheidungskompetenzen bei unklaren oder beschränkten Zuständigkeiten, nach dem Motto: „Das betrifft ein anderes Ressort, das kann ich nicht entscheiden“.
Das hört sich jetzt nach lästigen Details an. Aber genau darum geht es häufig. Die bunten Slides mit einer gemeinsamen Projektvision ist schnell gemalt. Schwierig wird es erst in der Implementierung, wenn der Start-up-Partner in die komplexen Untiefen der unternehmerischen Prozesse und Strukturen eintaucht. Um dort nicht zu scheitern, muss der beiderseitige Kulturschock bewusst angegangen werden, und zwar auf beiden Seiten: Im Start-up braucht es Resilienz, Durchhaltewille und so etwas altmodisches wie Geduld. Wahre Kundenorientierung meint hier die Bereitschaft, auch aus Start-up-Sicht befremdliche Komplexitäten zu lösen, selbst wenn es zu Lasten der Geschwindigkeit geht.
Und auf Unternehmensseite braucht es schlicht echten Veränderungswillen: Vorstände, die auf bunten Folien Agilität und Geschwindigkeit im Unternehmen propagieren und zugleich an Micromanagement und kleinteiligen Prozessen und Strukturen festhalten, mögen auf Bühnen überzeugen, bewirken aber wenig bis keine Veränderung in der Unternehmensrealität. So lästig und unsexy Detailarbeit auch sein mag: Es bedarf auf Unternehmensseite eines ehrlichen und kritischen Hinterfragens von Anforderungen und Prozessschritten im Einzelnen und es braucht Empowerment nicht nur auf dem Papier. Es braucht echte Entscheidungsbefugnis und wirklichen Freiraum, die Erkenntnisse auch umzusetzen, Prozesse oder unsinnige Anforderungen wirklich auch abzustellen und abzuschalten, ohne sich erneut im komplexen Organisationsdickicht zu verlieren oder – wie häufig – an Ressortgrenzen Halt zu machen, weil „HR bei IT ja nicht mitredet“.
Eine HR-Zukunft ist ohne die technologischen Produkte und Lösungen der wachsenden HR Tech Start-up-Szene nicht denkbar. Um in dieser Zusammenarbeit wirklich erfolgreich zu sein, muss der „clash of cultures“ zwischen Start-up und Unternehmen bewusst gemanagt werden. Aktives Partnermanagement ist gefragt, auf beiden Seiten. Und insbesondere für die Entscheider-Ebene in HR und in den Unternehmen gilt: echtes Empowerment statt plakativer Überschriften.
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