Verfolgt man dieser Tage die Schlagzeilen, so ist kaum zu übersehen, dass ein breit angelegter Stellenabbau gerade in renommierten Konzernen bevorsteht. Ursächlich hierfür sind neben internen Weichenstellungen nicht zuletzt auch die krisenhaften Entwicklungen der vergangenen Jahre und das Voranschreiten der Digitalisierung und der sogenannten Re-Globalisierung, also des Transformationsprozesses, in dem sich die Globalisierung derzeit befindet.
Gleichzeitig ist in vielen Branchen und Berufsfeldern ein massiver Arbeitskräftemangel nicht nur an der Zahl der ausgeschriebenen Positionen ablesbar, sondern vielfach bereits im Alltag spürbar. Sei es im Zusammenhang mit Zugausfällen aufgrund von Personalmangel, angesichts der Anpassung von Öffnungszeiten in Gastronomie und Einzelhandel oder schlichtweg in der Arbeitsrealität vieler Menschen, die mit weniger Kolleginnen und Kollegen das gleiche Pensum bewältigen müssen. Dies lässt sich nicht nur, aber insbesondere mit dem demografischen Wandel erklären, der angesichts des bevorstehenden Eintritts der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand und der, zahlenmäßig deutlich geringeren, nachrückenden Generationen erst richtig an Fahrt aufnimmt. Nicht selten sind beide Phänomene – Stellenabbau und Arbeitskräftemangel – in ein und demselben Unternehmen anzutreffen und in der Konsequenz der Belegschaft und auch der Gesellschaft nur schwer vermittelbar.
HR als „Brückenbauer“ in drei Entwicklungsrichtungen
Eine zentrale Aufgabe in diesem Kontext besteht insofern darin, „Brücken zu bauen“, um einerseits die Folgen für Menschen, denen der Verlust ihres Arbeitsplatzes droht, abzufedern und es andererseits Arbeitgebern zu ermöglichen, ausreichend Personal für die anstehenden Herausforderungen zur Verfügung zu haben. Dabei kommt dem HR-Bereich eine zentrale Rolle zu, als „Brückenbauer“ zu agieren und für einen bedarfsgerechten Einsatz der Menschen im Unternehmen zu sorgen. Es sind insbesondere drei Entwicklungsrichtungen, die hier gleichermaßen zu berücksichtigen sind:
Zunächst geht es um das Up-Skilling der Beschäftigten, also die Befähigung von Arbeitnehmenden, höherwertige Aufgaben in ihrem eigenen Tätigkeitsfeld durch eine aufstiegsorientierte Weiterbildung übernehmen zu können. Ein klassisches Beispiel hierfür wäre die Qualifizierung eines Maschinenbauingenieurs mittleren Alters mit Blick auf digitale Fertigungssysteme, die bislang nicht Gegenstand seiner Ausbildung sowie seines Arbeitsalltags waren, oder die Weiterentwicklung einer Beschäftigten für Führungsaufgaben in ihrem angestammten Arbeitsbereich.
Doch auch die entgegengesetzte Richtung der Entwicklung ist zu bedenken. Durch Automatisierung und Digitalisierung wird der Mensch nicht selten zum „Erfüllungsgehilfen“ oder zur „Erfüllungsgehilfin“ von Robotern, Algorithmen oder der künstlichen Intelligenz. Dabei verringern sich die Anforderungen an die eigenen Kompetenzen, zuvor qualifiziert eingesetzte Mitarbeitende werden zu Basisarbeitenden – es entsteht der Prozess des De-Skilling. Auch mit diesem gilt es umzugehen, sowohl was die Entgeltstrukturen anbelangt als auch bezüglich der psychologischen Folgen dieser Abwertung gegebenenfalls langjährig erworbener und wertgeschätzter Fähigkeiten für die betroffenen Menschen. Diese Entwicklung ist unter anderem in bestimmten Produktionsbereichen anzutreffen, wo in zunehmendem Maße auch manuell anspruchsvolle Aufgaben automatisiert werden können und der menschliche Faktor primär zur Beaufsichtigung beziehungsweise Kontrolle erforderlich ist.
Nicht zuletzt steht Re-Skilling auf der Agenda zukunftsorientierter Personalarbeit.
Wenngleich Re-Skilling bisher noch nicht als zentrale Strategie in Unternehmen und HR-Abteilungen verankert zu sein scheint – dies zeigt nicht zuletzt der im Februar 2025 erscheinende HR-Report des Instituts für Beschäftigung und Employability IBE im Auftrag der Hays AG –, stellt es dennoch eine entscheidende Stellschraube zum oben beschriebenen „Brückenbau“ dar. Re-Skilling bedeutet schlussendlich die Umschulung von Mitarbeitenden, deren Arbeitsplätze in einem Bereich nicht mehr benötigt werden – beispielsweise aufgrund der Substitution ihrer Tätigkeit durch die Digitalisierung – für Aufgaben in einem anderen Arbeitsbereich, in dem Stellen unbesetzt sind oder bestimmte Kompetenzfelder neu aufgebaut werden. Somit verlassen diese Personen ihr angestammtes Tätigkeitsfeld und werden für die Übernahme einer gleichwertigen Aufgabe in einem anderen Tätigkeitsfeld qualifiziert, in dem eine andere Fachexpertise oder auch bestimmte überfachliche Kompetenzen verlangt werden. Ein Beispiel hierfür findet sich derzeit im Automobilbau, wo Menschen, die zuvor eine hohe Expertise in Bezug auf Verbrennungsmotoren aufgebaut hatten, nun für den Elektromotorenbau qualifiziert werden müssen. Somit muss mit der Reduzierung von Stellen in einem Unternehmen nicht immer zwangsläufig ein Personalabbau einhergehen. Eine Win-win-Situation sowohl für die Mitarbeitenden aus diesen Bereichen, die nicht ihre Beschäftigung verlieren, sondern eine neue Perspektive erhalten, als auch für die Arbeitgeber, die auf erfahrenes Personal zurückgreifen können, ohne am angespannten externen Arbeitsmarkt neu rekrutieren zu müssen. Nicht zuletzt trägt eine ausgewogene Re-Skilling-Strategie in Zeiten des Stellenabbaus auch zur Stärkung der Arbeitgebermarke bei, da diesbezüglich Mitarbeiterbindung und die Investition in die eigene Belegschaft suggeriert werden.
Allen Beschäftigungsgruppen gerecht werden
Es liegt auf der Hand, dass sowohl Re-Skilling als auch Up-Skilling und De-Skilling nur dann den gewünschten Erfolg für ein Unternehmen bewirken können, wenn ihnen eine umfassende strategische Personalplanung vorausgeht. Es gilt, Bedarfe für die Zukunft sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht für unterschiedliche Funktionsbereiche und -ebenen möglichst präzise abzuschätzen und frühzeitig die Weichen für die adäquate Personalausstattung zu stellen. Dabei ist es essenziell, ganzheitlich zu denken und auch den HR-Bereich von Anfang an in die Planungen mit einzubeziehen. Denn es geht in diesem Zusammenhang um weit mehr als um Qualifizierungskonzepte. Vielmehr gilt es, die Menschen mitzunehmen und sicherzustellen, dass sie motiviert und auch gesund den herausfordernden Weg beschreiten – mit einem Wort: beschäftigungsfähig werden und bleiben.
Die drei Säulen eines solchen Employability Managements – Qualifikation, Motivation und Gesundheit – sind dabei im Rahmen eines durchgängigen Konzepts individuell für jedes Unternehmen mit Maßnahmen und Instrumenten zu füllen. Diese sollten allen Beschäftigten gleichermaßen dienen, da es auf jede Einzelne und jeden Einzelnen ankommt, um den mannigfaltigen Anforderungen im Transformationsprozess gerecht zu werden. Nicht selten fokussieren Unternehmens- und Personalvertretende stark auf die Gruppe der Fach- und Führungskräfte, deren Entwicklung und Wohlergehen Gegenstand von Planungen und Diskussionen sind. Vergessen wird dabei häufig die Gruppe der Basisarbeitenden, die immerhin aktuell bereits ein Fünftel der Erwerbsbevölkerung ausmachen und angesichts der beschriebenen Entwicklungen hin zu einem De-Skilling künftig noch an Bedeutung gewinnen dürften. Bei ihnen sollte vor allem eine Steigerung der Wertschätzung ihrer Arbeitsaufgaben und die Sicherstellung angemessener Arbeitsbedingungen im Zentrum der Aktivitäten stehen. Basisarbeit ist dabei in der Regel definiert als eine Tätigkeit, die keiner formalen Qualifikation bedarf und in vergleichsweise kurzer Zeit angelernt werden kann.
Zunehmende Erschöpfung durch krisenhafte Ereignisse
Unabhängig vom Qualifikationsgrad ist allerdings festzustellen, dass die Komplexität und Veränderungsgeschwindigkeit sowie die Fragilität und Unvorhersehbarkeit von Entwicklungen zu einer zunehmenden Erschöpfung der in ihnen „gefangenen“ Menschen führen. Nicht selten ist in diesem Zusammenhang gar von der „großen Erschöpfung“ die Rede, eine Begrifflichkeit, die sich gerade bezogen auf das Aufeinanderfolgen krisenhafter Ereignisse in den vergangenen vier Jahren etabliert hat. Psychische Erkrankungen nehmen seit Jahren zu, Fehlzeiten bewegen sich auf Rekordniveau. Nachwuchskräfte sorgen sich bereits vor dem Einstieg in das Berufsleben um ihre Work-Life-Balance und diejenigen, die es sich leisten können, kehren dem Erwerbsleben so früh wie möglich den Rücken. Hinzu kommt, dass alle Skilling-Maßnahmen, insbesondere das Re-Skilling, das Menschen in neue Tätigkeitsbereiche und vielfach auch in ein neues kollegiales Umfeld führt, gerade für lernentwöhnte und über viele Jahre an ein Arbeitsfeld gebundene Personen eine erhebliche Anstrengung bedeuten können. Tragen Unternehmen diesen Phänomenen nicht in ausreichendem Maße Rechnung, erschwert dies unweigerlich den Umgang mit dem Arbeitskräftemangel und auch die Möglichkeiten, Mitarbeitende gerade für Maßnahmen des Re- oder Up-Skilling zu motivieren und zu begeistern.
Lebens- und Berufsphasen in Einklang bringen
Ein Ansatz, dem entgegenzuwirken, liegt in der sogenannten Lebensphasenorientierten Personalpolitik. Immer vielfältiger und schwerer planbar wechseln sich unterschiedliche Lebens- und Berufsphasen für die Beschäftigten ab, und private Belange sind unweigerlich stets auch mit betrieblichen Anforderungen verknüpft. Gelingt es, beide Sphären in Einklang zu bringen und Beschäftigten immer wieder anpassbare Lösungen für ihre jeweils individuellen Bedarfssituationen anzubieten, dann besteht durchaus die Hoffnung, sie über eine große Spanne ihres Erwerbslebenszyklus an sich zu binden und auch für Veränderungen mit Bezug zu ihrem Arbeitsgebiet und ihren Qualifikationserfordernissen zu gewinnen. Das Institut für Beschäftigung und Employability IBE hat ein Konzept für eine Lebensphasenorientierte Personalpolitik entwickelt, das auf ein Matching von Lebens- und Berufsphasen abzielt, in Handlungsfeldern wie Unternehmenskultur, Führung und Organisation bestehende Maßnahmen im Unternehmen in den Kontext der Lebensphasenorientierung stellt und Anstöße zur Entwicklung weiterführender Instrumente gibt. So entsteht ein handhabbarer und gleichzeitig individualisierbarer Ansatz, mit dem Organisationen und HR-Abteilungen die Beschäftigten gewissermaßen „vom ersten bis zum letzten Arbeitstag“ begleiten können.
Angesichts der zuvor beschriebenen vielfältigen Herausforderungen lassen sich so beispielsweise berufliche Phasen der Neuorientierung im Sinne von Up-, Re- und De-Skilling so gestalten, dass sie Beschäftigte in ihren jeweiligen Lebensphasen nicht überfordern und für Unternehmen das Spannungsfeld zwischen dem Wegfall bestimmter Stellen und dem Mangel an Arbeitskräften mit den benötigten Kompetenzen entzerrt wird. Nicht zuletzt steigert ein Konzept, das darauf abzielt, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden in den betrieblichen Planungen nicht außer Acht zu lassen, in hohem Maße die Arbeitgeberattraktivität und trägt damit auch zur Mitarbeitergewinnung und -bindung bei.
Weitere Beiträge zum Thema:
- Quo Vadis Deutschland: Aus dem Archiv 01/2009 Ein Essay über die Anforderungen an künftige Personalarbeit.
- Die Rolle von HR im Employee Lifecycle
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Exzellenz. Das Heft können Sie hier bestellen.