Mit offenen Armen?

Arbeitsmigration

Menschen begegnen ihr mit Skepsis. Machen drei Schritte zurück, wenn May Abdulfattah den Raum betritt. Wegen ihres Kopftuchs, wie sie später erfährt. Dabei will sie nur ihrem Job nachgehen. Abdulfattah kam 2015 von Syrien nach Deutschland. Ein Jahr nach ihrem Mann – auf der Flucht vor dem Krieg. Sie ist Palästinenserin, gelernte Krankenpflegerin und Mutter von vier Kindern. Heute lebt sie in Berlin-Neukölln und arbeitet in Vollzeit in der ambulanten Pflege. Vor kurzem hat sie auch die Einbürgerungsurkunde erhalten. Das erzählt sie, während sie in ihrem Wohnzimmer Kaffee einschenkt und dazu Pistazienkekse anbietet. Wer ihr Zuhause betritt, fühlt sich sofort, als würde er dazugehören. Ein Gefühl, das Abdulfattah in ihrer Arbeitserfahrung in Deutschland oft fehlt.

In Syrien arbeitete Abdulfattah sechs Jahre lang in einem staatlichen Krankenhaus. Auch in Deutschland erhielt sie nach einer zusätzlichen Ausbildung den Status der Gesundheits- und Krankenpflegerin. Auch hier würde sie am liebsten im Krankenhaus arbeiten. Doch auf Bewerbungsgespräche in Krankenhäusern folgten Absagen. Grund dafür sei nicht etwa Abdulfattahs fehlende Qualifikation, sondern ihre Kleidung.

Aufgrund ihrer Religion muss Abdulfattah ihren ganzen Arm bedecken. Doch für die Arbeit im Krankenhaus müsse sie ihre Ellbogen freimachen, so die Begründung der Personalverantwortlichen. Sie versuchte, Kompromisse zu finden, doch es blieb bei den Absagen. In der ambulanten Pflege sind die Hygienevorkehrungen weniger streng. Hier fand Abdulfattah schließlich im September 2023 Arbeit. Der Weg dorthin forderte sie heraus. „Es ist schwierig, alles, was man hat, zurückzulassen. Dann hat man auf einmal nichts mehr und muss von null wieder anfangen“, sagt sie. Besonders die Balance zwischen Kindererziehung und Jobsuche fiel ihr schwer.

Damit ist Abdulfattah nicht allein. Laut dem OECD-Bericht zum Stand der Integration von Eingewanderten in Deutschland 2024 ist das Beschäftigungsgefälle zwischen eingewanderten und im Inland geborenen Müttern mit Kindern zwischen null und vier Jahren in Deutschland größer als in anderen Hauptzielländern. Bei den im Inland geborenen Müttern sind 73 Prozent in Arbeit, bei den eingewanderten nur 42 Prozent. Abdulfattah wünschte sich in Deutschland oft mehr Hilfe. Nach ihrer Ankunft, bei der Jobsuche, im Bewerbungsprozess und schließlich bei der Integration ins Unternehmen.

Bereicherung oder Bedrohung

„Deutschland ist nicht offen für Migration und es ist auch nicht offen für Fachkräfte aus dem Ausland.“ Das ist die Meinung von Elif Tunc, die als Global Head of Human Resources bei einem Biotechnologieunternehmen arbeitet. Tunc, die in Deutschland geboren ist, erinnert sich an einen Satz ihrer Lehrerin aus der Grundschulzeit, der noch immer nachklingt: „Schaut euch mal diese Türkin an. Sie kann besser Grammatik als ihr Deutschen!“

Deutschland ist nach den USA das OECD-Land mit der in absoluten Zahlen zweitgrößten Einwanderungsbevölkerung. 2022 erreichte die durchschnittliche Erwerbstätigenquote von Geflüchteten laut IAB-Forschungsbericht über institutionelle Hürden 64 Prozent – ein merklicher Anstieg seit Ende der Coronapandemie. Doch Deutschland scheint sich mit der Persona des Zuwanderungslands schwerzutun.

Das zeigt die 2024 veröffentlichte Studie Willkommenskultur in Krisenzeiten. Wahrnehmungen und Einstellungen der Bevölkerung zu Migration und Integration in Deutschland der Bertelsmann Stiftung. Demnach sieht jede vierte befragte Person Geflüchtete als „Gäste auf Zeit“, um deren Integration sich Deutschland nicht bemühen müsse. Forschende der Universität Mannheim und der Humboldt-Universität zu Berlin fanden außerdem in der Studie Outgroup mobility threat – how much intergenerational integration is wanted? heraus, dass besonders türkischstämmige Musliminnen und Muslime und syrische Geflüchtete in Deutschland auf gesellschaftliche Ablehnung stoßen. Viele empfänden den beruflichen Aufstieg dieser Minderheiten, vor allem in politischen oder richterlichen Berufen, als Bedrohung.

Arbeit stiftet Identität

Warum spielt Arbeit so eine große Rolle in der Integration von Migranten? Düzen Tekkal, Autorin, Kriegsberichterstatterin und Start-up-Gründerin mit kurdischen Wurzeln, sprach auf dem Personalmanagementkongress im Juni in Berlin über Arbeit als „einen identitätsstiftenden Wert für Menschen“ und betonte: „Insbesondere für Menschen mit Migrationshintergrund.“ Das bestätigt auch ein Gespräch mit Hussein Hadj.

Hadj floh mit 13 Jahren im Jahr 2015 wie Abdulfattah aus Syrien nach Deutschland. Er besuchte in Deutschland die Schule, lernte Deutsch, machte den Hauptschulabschluss und mehrere Praktika. Im Herbst wird er in Nürnberg eine Ausbildung zum Krankenpflegehelfer beginnen. „Es gibt Menschen, die möchten arbeiten, um Geld zu verdienen“, sagt er, „aber es gibt Menschen wie mich, die arbeiten wollen, um zu lernen und sich zu entwickeln.“

Doch oft wird der eigene Migrationshintergrund auch als Aufforderung zur politischen Debatte verstanden. Abdulfattah wird auf der Arbeit zum Beispiel über ihr Privatleben ausgefragt: „Zwingt dich dein Mann, ein Kopftuch zu tragen? Gehst du auch mit Kopftuch schlafen? Feierst du Weihnachten?“ Bei ihren älteren Patienten und Patientinnen habe sie dafür Verständnis. Die seien aus einer anderen Generation. Aber auch innerhalb der Belegschaft erlebt sie Diskriminierung. Seit dem 7. Oktober 2023 und dem Krieg in Gaza haben sich diese Vorfälle zugespitzt. Menschen laden ihre politischen Meinungen ungefragt bei ihr ab.

Auch Andisheh Ebrahimnejad, Gründerin von Dastan Consulting, Mitglied des Organisationsteams der Initiative von Love HR, hate Racism! und gebürtige Iranerin, wurde aufgrund ihres Migrationshintergrunds in ihrer Karriere oft unfreiwillig Teil von politischen Diskussionen. Auch Mikroaggressionen, wie Witze über ihren Namen, waren Programm. Vor allem als Praktikantin und Werkstudentin verunsicherte sie das: „Ich war da, um die HR-Welt kennenzulernen – und das waren zusätzliche Stressfaktoren.“ Statistiken untermauern diese Erfahrungen. Laut dem OECD-Bericht aus 2024 haben 20 Prozent der Nicht-EU-Migrantinnen und -Migranten und 23 Prozent der Menschen mit eingewanderten Eltern den Eindruck, einer diskriminierten Gruppe anzugehören. Im Vergleich zu anderen Ländern sei das öffentliche Bewusstsein dafür in Deutschland allerdings begrenzt.

HR in die Verantwortung ­ziehen

Tunc sieht in HR eine entscheidende Rolle in der Integration von Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund. Zum einen als Marktbeobachter, zum anderen als vermittelnde und unterstützende Hand. „Es sollte keine Rolle spielen, ob der Bewerber männlich, weiblich, dick, dünn oder divers ist, sondern was er ins Unternehmen bringt“, meint sie. „Diskriminierung hätte keinen Platz, würde HR für die zu besetzenden Stellen genauere Anforderungsanalysen erstellen.“

Außerdem fordert sie dazu auf, mehr Menschen auch mit fehlenden Deutschkenntnissen eine Chance zu geben, wenn alles andere stimmt. Unternehmen müssen in Deutschkurse und Dolmetscher investieren. Die Mentalität, Menschen nur einzustellen, wenn sie sofort einsetzbar sind, sei keine nachhaltige Form der Personalgewinnung. Dastan-Gründerin Embrahimnejad rät Unternehmen dazu, schon in der Stellenanzeige klar zu kennzeichnen, welche Sprachkenntnisse für die Stelle erforderlich sind und ob Deutschkurse angeboten werden. „Bei Menschen, die planen, für die Arbeit ihr ganzes Leben hinter sich zu lassen, ist es nicht fair, falsche Informationen zu geben oder falsche Eindrücke zu vermitteln.“

Integration startet vor dem ­Einstellungsprozess

Unternehmen sollten sich laut Ebrahimnejad fragen, wie das Team aufgestellt ist und was getan werden kann, damit sich Menschen mit Migrationshintergrund wohlfühlen. Wichtig sei auch, das bestehende Team zu sensibilisieren – vor allem jene Führungskräfte, die täglich mit den neuen Fachkräften in Kontakt sein werden. Schon vor der Stellenanzeige brauche es eine gründliche Recherche. Gibt es zum Beispiel in den Herkunftsländern potenzieller Talente bestimmte Netzwerke, Deutschschulen oder Verbände, mit denen sich Unternehmen vernetzen können? Beim Recruiting-Prozess sollten sich Verantwortliche fragen, ob sie den migrantischen Bewerber anders behandeln als deutsch gelesene Personen, rät Ebrahimnejad.

Zum Beispiel, ob sich die Fragen im Bewerbungsgespräch auffällig viel um Sprache oder Kultur drehen. Für das Onboarding müssen sich Unternehmen Zeit nehmen, meint Tunc, vor allem für administrative Prozesse. „Bürokratie in Deutschland wirst du nicht abschaffen können. Aber du kannst den Leuten helfen und sie an die Hand nehmen.“ Das beginne bei dem Erlangen einer Arbeitserlaubnis und gehe bis hin zu Fragen wie: Was ist eine Steuerklasse? Was macht das Finanzamt? Woher kriege ich meine Sozialversicherungsnummer? Tunc unterstützt außerdem gerne bei Telefonaten, zum Beispiel mit Versicherungen oder Behörden.

Das dauere wenige Minuten, könne Menschen aber sofort ein sicheres Gefühl geben. Auch eine aufrichtige Willkommenskultur sollte priorisiert werden. Dazu gehöre laut Tunc, Mitarbeitenden in der Belegschaft die mögliche Angst vor Mitarbeitenden mit migrantischem Hintergrund zu nehmen und die Fachkräfte aus dem Ausland in deutschsprachige Gruppen aufzunehmen, gemeinsame Abendessen zu organisieren, ihnen die deutsche Kultur vorzustellen.

Es brauche vor allem Raum für zwischenmenschliche Verbindungen. Abdulfattah beschreibt aufgeregt kleine Momente wie eine Umarmung einer Kollegin oder Worte wie „meine Liebe“ von ihren Klienten. Die sorgen ein Stückchen weit für das Zugehörigkeitsgefühl, das sie selbst Gästen in ihrem Zuhause beschert. Sie erzählt von einer Weisheit aus dem Islam: „Wenn du einer Person hilfst, dann hilfst du so der ganzen Welt.“

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Weltweit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Salome Häbe

Salome Häbe ist Volontärin beim Magazin Human Resources Manager. Sie hat im Bachelorstudiengang Internationale Kommunikation in den Niederlanden studiert und nebenbei freiberuflich für Magazine und Start-ups im Bereich der Nachhaltigkeit geschrieben.

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