In diesem Artikel analysieren wir wiederkehrende Fehlannahmen und Versäumnisse von HR im Kontext von Restrukturierungen – und leiten daraus konkrete Ansätze für ein vorausschauendes und wirksames Handeln ab, die wir in den nächsten Ausgaben unserer Kolumne noch vertiefen werden.
1. Mitbestimmung zu spät oder nur pro forma einbinden
Der Fehler:
In vielen Restrukturierungsprojekten wird die Mitbestimmung erst dann eingebunden, wenn bereits alles entschieden ist. Häufig geschieht das aus Sorge, Diskussionen könnten Prozesse verlangsamen – oder weil der Einbezug „lästig“ erscheint. Auch fehlt häufig das Vertrauen, dass der Sozialpartner die Vertraulichkeit wahrt, solange Vorüberlegungen noch nicht abgeschlossen sind.
Die Folge:
Rechtsrisiken, Verzögerungen, Eskalationen – und ein dauerhaft beschädigtes Verhältnis zum Betriebsrat. Vor allem aber wird eine wichtige Perspektive verschenkt: die der Belegschaft. Das führt nicht selten zu Lösungen, die auf dem Papier gut aussehen, aber in der Praxis scheitern.
Besser so:
Nutzen Sie die Mitbestimmung als echten Sparringspartner – nicht als nachgelagertes Pflichtformat. Wer Betriebsräte frühzeitig, transparent und ernsthaft einbindet, profitiert mehrfach: Neue Perspektiven und alternative Lösungsansätze kommen früher auf den Tisch, geplante Maßnahmen stoßen auf ein tieferes Verständnis der Arbeitnehmervertreter. Da Vertrauen zumeist belohnt wird, lässt sich so auch Spekulationen und Indiskretionen entgegenwirken. Mitgestaltung fördert Mitverantwortung: für tragfähige Ergebnisse, die nicht nur rechtssicher sind, sondern auch operativ funktionieren und mitgetragen werden.
2. Keine klare Kommunikationsstrategie – besonders in der Führungskaskade
Der Fehler:
Viele Restrukturierungen scheitern weniger an ihren inhaltlichen Zielen als an der Art, wie sie kommuniziert werden. Insbesondere Führungskräfte sind oft unzureichend vorbereitet, unklar instruiert oder widersprechen sich gegenseitig – was in der Belegschaft zu Verunsicherung führt.
Die Folge:
Die Gerüchteküche übernimmt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fühlen sich nicht ernst genommen, wenden sich ab oder leisten passiven Widerstand. Selbst sachlich gut durchdachte Maßnahmen verlieren ihre Akzeptanz. Führungskräfte geraten in die Zwickmühle: Sie müssen Veränderungen „verkaufen“, die sie selbst kaum verstehen.
Besser so:
Kommunikation muss Chefsache sein – und Führungskräfte müssen darauf vorbereitet werden. Führungskräfte benötigen klare Botschaften, Raum für Rückfragen und konkrete Unterstützung in der Kommunikation, zum Beispiel wöchentliche Update-Calls, Argumentationsleitfäden, Q&A-Sessions. Nur was sie selbst verstehen, können sie auch überzeugend vermitteln. Ergebnis: ein einheitliches Narrativ, konsistente Aussagen – und eine Belegschaft, die sich trotz schmerzhafter Einschnitte ernst genommen fühlt.
3. Freiwilligenprogramme ohne Steuerung – Talentverlust mit Ansage
Der Fehler:
„Wer will, darf gehen“ – klingt menschlich, wirkt fair, ist aber brandgefährlich, wenn Freiwilligenprogramme ohne strategische Steuerung aufgesetzt werden. Häufig melden sich gerade diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt schnell einen neuen Arbeitsplatz finden – also oft die Leistungsträgerinnen und Leistungsträger.
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Die Folge:
Talentverlust, Kompetenzlücken, zusätzliche Kosten für die Nachbesetzung und Einarbeitung. Und: Wer bleibt, fühlt sich möglicherweise als „zweite Wahl“ – ein toxisches Signal für die verbleibende Organisation.
Besser so:
Freiwilligenprogramme müssen strategisch gesteuert werden. Wer sie rein nach dem Prinzip der Selbstwahl organisiert, riskiert den Verlust zentraler Kompetenzen. Sinnvoll ist daher eine Kombination aus klaren Kriterien, fundierter Kompetenzanalyse und gezielten Halteangeboten für besonders relevante Zielgruppen. So lassen sich personelle Risiken minimieren, wichtige Rollen sichern – und die verbleibende Belegschaft erhält ein klares Signal der Wertschätzung und Zukunftsperspektive.
4. Kultur, Werte und psychologische Sicherheit außen vor lassen
Der Fehler:
Zu viele Restrukturierungen fokussieren sich auf die Organigramme – nicht auf die Menschen. Kulturelle Aspekte wie Vertrauen, Offenheit oder Zusammenhalt werden als „weich“ abgetan. Dabei entscheidet gerade die gelebte Kultur darüber, ob Veränderung überhaupt möglich ist.
Die Folge:
Ohne kulturelle Verankerung bleiben strukturelle Veränderungen kosmetisch. Schlimmer noch: Zynismus, Rückzug und Widerstand breiten sich aus. Die Organisation funktioniert noch – aber sie lebt nicht mehr.
Besser so:
Veränderung braucht mehr als neue Strukturen – sie braucht emotionale Anschlussfähigkeit. Wer kulturelle Aspekte von Anfang an mitdenkt, schafft Orientierung, Vertrauen und Identifikation. Das gelingt, wenn Führungskräfte ihre Rolle reflektieren, Mitarbeitende beteiligt werden und Raum für Dialog entsteht. So wird aus Restrukturierung nicht nur ein organisatorischer, sondern auch ein kultureller Wandel – mit Wirkung nach innen und außen.
5. HR bleibt reaktiv – statt die Restrukturierung aktiv zu gestalten
Der Fehler:
In zu vielen Fällen wird HR auf die Rolle des Abwicklers reduziert: Sozialplan, Outplacement, Kündigungsgespräche. Die eigentlichen strategischen Fragen – Welche Kompetenzen brauchen wir? Wie sichern wir sie? Welche Verhaltensweisen machen uns in den neuen Strukturen erfolgreich? – werden zu spät adressiert.
Die Folge:
Restrukturierungen werden zwar rechtsicher und kosteneffizient auf den Weg gebracht – aber die Chance, die Organisation inhaltlich und kulturell zu erneuern, bleibt ungenutzt. Statt Zukunft zu gestalten, wird primär Vergangenes abgewickelt. Die Folge: neue Strukturen ohne strategische Weiterentwicklung – was häufig dazu führt, dass der Erfolg der Restrukturierung ausbleibt.
Besser so:
HR muss Restrukturierungen als strategisches Gestaltungsfeld verstehen – und diese Rolle aktiv einfordern. Wer frühzeitig mit klarer Perspektive, belastbaren Daten und einem Konzept zur Weiterentwicklung von Menschen, Kultur und Kompetenzen einsteigt, gestaltet eine zukunftsfeste Organisation mit. Das zahlt nicht nur auf den Wandel ein, sondern macht HR zu einem unverzichtbaren Partner im Transformationsprozess.
Fazit: HR muss mehr sein als Umsetzungshelfer
In Restrukturierungen zeigt sich der wahre Wert von HR: als Brückenbauer, Gestalter und Kulturträger. Wer die fünf genannten Fehler vermeidet, schafft nicht nur arbeitsrechtliche Sicherheit – sondern emotionale Stabilität, grundlegende Erneuerung und Zukunftsfähigkeit.
Was Restrukturierungen langfristig tragfähig macht, sind nicht nur neue Strukturen, sondern belastbare Beziehungen. HR sichert diese Stabilität – wenn es aktiv gestaltet.