Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel – und mit ihr die Anforderungen an Unternehmen und Mitarbeitende. Die zunehmende Dynamik wirtschaftlicher, technologischer und gesellschaftlicher Veränderungen bringt enorme Chancen, aber auch steigende Herausforderungen mit sich.
Während Unternehmen verstärkt in Digitalisierung, Innovation und agile Strukturen investieren, bleibt ein entscheidender Erfolgsfaktor oft unbeachtet: die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, sich stetig an neue Rahmenbedingungen anzupassen.
Arbeitsverdichtung, hybride Modelle und wirtschaftliche Unsicherheiten setzen viele Beschäftigte unter Druck – mit direkten Auswirkungen auf Motivation, Innovationskraft und Produktivität. Dennoch bleibt mentale Gesundheit in vielen Unternehmensstrategien ein Randthema. Während physischer Arbeitsschutz klar geregelt ist, fehlen systematische Konzepte zur Prävention psychischer Belastungen. Häufig wird das Thema erst dann adressiert, wenn Probleme bereits eskaliert sind – anstatt präventiv gegenzusteuern.
Wie groß der Handlungsbedarf – gerade im Mittelstand – ist, zeigt eine aktuelle Studie der ias Stiftung zur mentalen Gesundheit: 48 Prozent der befragten Führungskräfte in mittelständischen Unternehmen berichten von einer Zunahme psychischer Belastungen in ihren Teams. Dennoch fehlt es in vielen Betrieben an gezielten, langfristigen Strategien. Noch immer gilt mentale Gesundheit als sensibles Thema, das vielfach verdrängt oder allein in die Verantwortung der Einzelnen gelegt wird. Doch Unternehmen, die das Tabu aufbrechen und mentale Gesundheit als strategische Priorität begreifen, profitieren langfristig: Sie
stärken nicht nur die Resilienz ihrer Belegschaft, sondern auch ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit.
Die unterschätzte Krise
Psychische Erkrankungen gehören zu den häufigsten Ursachen für krankheitsbedingte Fehlzeiten – und ihre Bedeutung nimmt weiter zu. Laut dem DAK Psychreport 2024 entfällt mittlerweile jeder zehnte Krankheitstag auf psychische Belastungen, eine Zahl, die in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist.
Noch alarmierender ist die durchschnittliche Krankheitsdauer: Während eine übliche Krankschreibung in Deutschland zwölf Tage dauert, sind es bei psychischen Erkrankungen durchschnittlich 36 Tage – dreimal so lange. Doch die eigentlichen Auswirkungen sind weit tiefgreifender als die offiziellen Krankheitsstatistiken zeigen.
Psychische Belastungen bremsen Innovation, beeinträchtigen Entscheidungen und senken die Produktivität. Besonders tückisch ist Präsentismus: Mitarbeitende arbeiten trotz Erschöpfung weiter, sind jedoch deutlich weniger leistungsfähig. Studien zeigen, dass die Produktivitätsverluste dadurch oft doppelt so hoch sind wie durch Fehlzeiten. Überlastete Mitarbeitende machen mehr Fehler, treffen schlechtere Entscheidungen und verlieren ihre kreative Problemlösungskompetenz – mit direkten Folgen für die
Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens.
Neben individuellen Stressfaktoren spielen tiefgreifende strukturelle Veränderungen eine immer größere Rolle. Hybride Arbeitszeitmodelle und Homeoffice bieten Flexibilität, können jedoch auch das Risiko von Stress verstärken, wenn ihre Einführung im Unternehmen nicht mit passenden Präventionsmaßnahmen begleitet wird. Gleichzeitig sorgen geopolitische Krisen, wirtschaftliche Unsicherheiten und der rasante technologische Wandel für Verunsicherung und steigenden Druck in Belegschaften. Dazu trägt auch
die fortschreitende Digitalisierung bei. Ständige Erreichbarkeit, eine Flut an Informationen und der wachsende Anpassungsdruck durch neue Technologien führen zu digitalem Stress, der ohne gezielte Maßnahmen langfristig zu Erschöpfung und Produktivitätseinbußen führen kann.
Der Mittelstand ist besonders von der Zunahme psychischer Belastungen betroffen – und das mit weitreichenden Folgen. Während Großunternehmen über eigene Gesundheitsabteilungen oder Fachleute aus Psychologie und Sozialberatung verfügen, fehlen in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) oft systematische Präventionskonzepte und Strukturen. Gleichzeitig wirken sich Belastungssituationen hier oft unmittelbarer aus, da die Unternehmensstrukturen agiler und Entscheidungswege kürzer sind.
Wenn einzelne Mitarbeitende unter anhaltendem Stress oder anhaltender Erschöpfung leiden, kann dies schnell das gesamte Teamgefüge destabilisieren. Fehlzeiten lassen sich in kleineren Teams schwerer kompensieren, was zu einem Teufelskreis aus wachsender Arbeitsbelastung und steigendem Druck führen kann.
Auch Führungskräfte stehen in KMU vor besonderen Herausforderungen: Sie tragen nicht nur wirtschaftliche Verantwortung, sondern sind oft erste Anlaufstelle bei Belastungen im Team – oft ohne die nötige Unterstützung oder Ressourcen. Während von ihnen erwartet wird, für Stabilität zu sorgen, kämpfen viele selbst mit zunehmendem Stress und zunehmender Unsicherheit.
Für Unternehmen bedeutet das: Wer nicht aktiv gegen psychische Belastungen in der Belegschaft vorgeht, riskiert steigende Kosten und einen Rückgang der Produktivität und Innovationsfähigkeit. Mentale Gesundheit darf nicht bloß ein Employer-Branding-Schlagwort sein. Sie muss strategische Priorität haben, ins Betriebliche Gesundheitsmanagement eingebunden und als festes Element der Unternehmenskultur verankert werden. Nur so können Organisationen langfristig erfolgreich bleiben.
Potenziale heben
Anstatt nur auf Risiken zu reagieren, sollten auch mittelständische Unternehmen mentale Gesundheit als wirtschaftlichen Erfolgsfaktor begreifen. Wer gezielt in das psychische Wohlbefinden der Belegschaft investiert, schafft nicht nur ein gesünderes Arbeitsumfeld, sondern sichert sich nachhaltige Wettbewerbsvorteile. Denn eine resiliente Belegschaft ist produktiver, innovativer und loyaler. Gerade in einem umkämpften Arbeitsmarkt setzen immer mehr Fachkräfte auf Arbeitgeber, die mentale Gesundheit
aktiv fördern. Wer präventive Angebote schafft und psychische Belastungen ernst nimmt, kann nicht nur neue Talente gewinnen, sondern auch bestehende Mitarbeitende langfristig binden.
Psychische Belastungen zählen zu den Hauptgründen für innere Kündigung oder Jobwechsel. Unternehmen mit einer starken Gesundheitskultur senken Kündigungsraten und erhöhen die emotionale Bindung der Mitarbeitenden. Gleichzeitig steigen die gesetzlichen Anforderungen an Unternehmen. Arbeitgeber sind verpflichtet, Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen durchzuführen und
geeignete Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Doch richtig genutzt, sind sie weit mehr als eine
gesetzliche Pflicht: Sie bieten wertvolle Einblicke in zentrale Themen wie Produktivität, Führungskultur und Prozessoptimierung. Wer sie strategisch einsetzt, kann nicht nur Belastungen reduzieren, sondern auch gezielt die Leistungsfähigkeit und Resilienz der Organisation stärken.
Die Vorteile einer starken Strategie zur Förderung der mentalen Gesundheit sind offensichtlich – doch wie wird sie mehr als eine Absichtserklärung? Wie gelingt die Verankerung in der Praxis? Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, geeignete Maßnahmen zu identifizieren und nachhaltig zu implementieren. Dabei geht es nicht um Einzelinitiativen, sondern darum, mentale Gesundheit fest im Unternehmen zu integrieren. Während physischer Arbeitsschutz klar geregelt ist, fehlen systematische Konzepte zur Prävention psychischer Belastungen.
Um mentale Gesundheit wirksam in der Unternehmenskultur zu verankern, braucht es konkrete Maßnahmen, die sowohl präventiv wirken als auch Mitarbeitenden und Führungskräften gezielte Unterstützung bieten. Entscheidend ist ein ganzheitlicher Ansatz, der individuelle Beratung, strukturelle Anpassungen und digitale Lösungen miteinander kombiniert:
1. Psychische Gefährdungsbeurteilung als strategischer Hebel
Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen (GB Psych) sind nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern bieten Unternehmen eine wertvolle Chance, ihre Arbeitsorganisation gezielt weiterzuentwickeln. Dennoch schrecken viele Unternehmen davor zurück – oft aus Sorge, unerwartete Belastungen offenzulegen. Dabei zeigt die Praxis: Eine gut umgesetzte GB Psych ist weit mehr als eine Pflichterfüllung. Sie liefert zentrale Erkenntnisse zu Produktivität, Führungskultur und Prozessoptimierung.
Entscheidend ist, die Ergebnisse nicht isoliert zu betrachten, sondern für eine strategische Weiterentwicklung zu nutzen. Die ias-Gruppe setzt hierbei auf den „Business Kompass“ – ein praxisorientiertes Modell, das die Gefährdungsbeurteilung mit einem strukturierten Maßnahmenplan verknüpft. So wird aus einer rechtlichen Vorgabe ein wirksames Steuerungsinstrument, das nicht nur Risiken reduziert, sondern die gesamte Unternehmenskultur nachhaltig stärkt.
2. Personalisierte Lösungen für nachhaltige Wirkung
Mentale Gesundheit ist kein Einheitskonzept – sie erfordert individuelle, lebensphasenspezifische und geschlechtersensible Ansätze. Studien zeigen beispielsweise, dass Männer und Frauen Stress unterschiedlich verarbeiten und auf Belastungen verschieden reagieren. Wirksame Präventionsmaßnahmen müssen daher an persönliche Bedürfnisse, Arbeitskontexte und Lebensrealitäten angepasst sein. Unternehmen, die maßgeschneiderte Gesundheitslösungen bieten, erhöhen die Akzeptanz und Wirksamkeit präventiver Maßnahmen erheblich.
3. Vertrauliche Beratung für Mitarbeitende und Führungskräfte
Ein Beispiel für personalisierte Unterstützungsleistungen sind Employee Assistance Programs (EAP). Sie bieten Mitarbeitenden und Führungskräften anonyme, niedrigschwellige Beratung – von akuten Krisensituationen bis zur Prävention langfristiger Belastungen. Besonders Führungskräfte profitieren von gezielter Unterstützung, um mentale Belastungen im Team frühzeitig zu erkennen und kompetent darauf
zu reagieren. Unternehmen, die solche Programme etablieren schaffen nicht nur eine vertrauensvolle Anlaufstelle für ihre Mitarbeitenden, sondern stärken auch das psychologische Sicherheitsgefühl
in der Organisation.
4. Digitale Lösungen als niedrigschwelliger Zugang
Nicht jede Belastung erfordert ein persönliches Beratungsgespräch – oft reicht bereits ein strukturierter Zugang zu fundierten Informationen und Selbsthilfetools. Digitale Angebote ermöglichen ortsunabhängige Unterstützung und bieten durch interaktive Module wie zum Beispiel E-Learnings, Onlineseminare und -trainings oder virtuelle Coachings eine flexible Lösung für Unternehmen und ihre Beschäftigten. Hybride Ansätze, die digitale Prävention mit persönlicher Beratung kombinieren, haben sich als besonders wirksam erwiesen.
Neues Paradigma für Prävention
Mentale Gesundheit ist mehr als ein Bestandteil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements – sie ist eine strategische Ressource für Unternehmen. Wer in die psychische Widerstandsfähigkeit seiner Belegschaft investiert, stärkt nicht nur deren Wohlbefinden, sondern steigert Innovationskraft, Produktivität und langfristige Wettbewerbsfähigkeit.
Entscheidend ist dabei ein modernes Präventionsverständnis, das über klassische Gesundheitsangebote hinausgeht. Statt isolierter Maßnahmen braucht es einen personalisierten Ansatz, der individuelle Bedürfnisse mit unternehmerischer Verantwortung verbindet und sowohl physische als auch psychologische Anforderungen der Mitarbeitenden in den Fokus rückt.
Dazu gehört eine Gesundheitsvorsorge, die sich gezielt an Alter, Geschlecht, Lebensphase und Arbeitskontext anpasst. Unternehmen, die auf maßgeschneiderte Lösungen setzen, erhöhen nicht nur die Akzeptanz präventiver Angebote, sondern fördern eine Kultur, in der mentale Gesundheit selbstverständlich mitgedacht wird. Jetzt ist der Moment zu handeln. Organisationen, die mentale Gesundheit als strategische Priorität begreifen, werden langfristig erfolgreicher sein – und eine Arbeitswelt schaffen, in der Menschen nicht nur leistungsfähig, sondern auch nachhaltig gesund bleiben.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Struktur. Das Heft können Sie hier bestellen.