Motivation ist der Schlüssel

Kolumne Healthy Workplace

„Twisties“ – ein Wort, das mir bis zu den Olympischen Spielen 2021 unbekannt war. So nennt man eine (gefährliche) mentale Blockade bei Turnerinnen und Turnern, die dazu führt, dass sie bei Sprüngen oder Drehbewegungen jegliche räumliche Orientierung verlieren. Der Körper reagiert plötzlich nicht mehr wie gewohnt. So passierte es der US-amerikanischen Turnerin Simone Biles im Jahr 2021 – eine der erfolgreichsten Athletinnen ihrer Disziplin. Bei den Olympischen Spielen in Tokio zog sie sich überraschend aus mehreren Wettkämpfen zurück. Der Grund: Sie litt unter mentalem Stress und erlebte die oben genannten „Twisties“. Ihr Rückzug löste eine öffentliche Debatte über Motivation, mentale Gesundheit und Burnout aus. Sie machte deutlich, dass äußere Erwartungen und Druck eine zentrale Rolle spielten: „Ich muss mich auf meine mentale Gesundheit konzentrieren. Wir sind auch Menschen – wir müssen unseren Geist und unseren Körper schützen und nicht einfach das tun, was die Welt von uns erwartet.“

In der Arbeitswelt ist es wie im Sport: Motivation ist der Schlüssel zu Spitzenleistungen, sie ist ein essenzieller Treiber für Produktivität und Wohlbefinden. Doch wenn die Erwartungen von außen zu groß werden, wenn intrinsische in extrinsische Motivation übergeht, kann dies schnell zu ungesundem Stress führen. Und wie im Sport können auch unsere Mitarbeitenden „Twisties“ erleben – plötzlich geht nichts mehr, der Körper setzt Grenzen auf und man landet im Burnout. Umso wichtiger ist es für HR, die Motivation im Unternehmen nachhaltig und in einem gesunden Rahmen zu fördern.

Wenn Leidenschaft im Burnout endet

Burnout entsteht nicht über Nacht, sondern bahnt sich über einen längeren Zeitraum an. Es beginnt oft mit einer Leidenschaft für die Sache, mit einer intrinsischen Motivation – was an sich gut und wichtig für unsere Leistung ist. Doch mit der Zeit wächst der äußere Druck: Erwartungen steigen, Anerkennung wird zur treibenden Kraft. Was anfangs Erfüllung bringt, kann unbemerkt in Überlastung kippen.

In der ersten Phase fühlen sich Betroffene oft energiegeladen, arbeiten über ihre Grenzen und genießen die Anerkennung – sie „brennen“ für ihren Job. Doch schon in dieser Phase ist Vorsicht geboten: Die überdurchschnittlichen Leistungen motivierter Mitarbeitender führen oft zu steigenden Erwartungen. Intrinsische wird immer mehr zu extrinsischer Motivation. Betroffenen fehlt es zunehmend schwer, Grenzen zu setzen, der Optimismus geht zurück und der negative Stress nimmt zu.

Heißt das also, HR-Verantwortliche und Führungskräfte sollten Mitarbeitende erst gar nicht zu stark motivieren oder Erwartungen setzen? Meine klare Antwort dazu: Nein, denn Motivation ist ungemein wichtig (dazu später mehr). Aber es bedeutet, dass es umso wichtiger ist, frühe Warnsignale im Auge zu behalten und im Falle darauf zu reagieren. Fällt bei manchen Mitarbeitenden auf, dass sie ihre eigene Gesundheit vernachlässigen? Kommt es zu subtilen Verschiebungen, in denen eine anfängliche Leidenschaft zu einer Belastung wird? Dann ist es an der Zeit zu handeln und betroffene Mitarbeitende zu unterstützen. Dabei ist es wichtig, proaktiv eine gesunde Motivation zu fördern und präventive Maßnahmen einzuführen.

Innerer Antrieb versus externe Anreize

Nicht jede Motivation ist gleich – und nicht jede Form von Motivation führt zu langfristiger Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit. Während intrinsische Motivation aus einem inneren Antrieb entsteht – geprägt von persönlichen Werten, Zielen und einer tiefen Sinnhaftigkeit –, wird extrinsische Motivation durch äußere Faktoren bestimmt, etwa durch Leistungsanreize, Erwartungen oder Druck von Vorgesetzten.

Eine Studie der Universität Witten/Herdecke zu Burnoutfällen bei Hausärzten und -ärztinnen aus dem Jahr 2021 zeigt: Intrinsische Motivation schützt vor Burnout – solange externe Anforderungen nicht überwiegen. Andernfalls drohen Demotivation und emotionale Erschöpfung. Das macht auch Sinn: Mitarbeitende fühlen sich fremdbestimmt, ihre Begeisterung geht verloren, und die Arbeit wird zur reinen Pflichterfüllung.

Für HR-Abteilungen und Führungskräfte bedeutet das: Die richtigen Rahmenbedingungen sind entscheidend. Statt nur auf extrinsische Anreize zu setzen, sollten Unternehmen Strukturen schaffen, die es Mitarbeitenden ermöglichen, ihre eigene Motivation zu entfalten. Dazu gehört auch, regelmäßig aufzuzeigen, welchen Impact ihre Arbeit hat und wie sie zur größeren Vision des Unternehmens beitragen. Denn wer den Sinn und die Wirkung seiner Arbeit erkennt, bleibt langfristig engagiert und motiviert.

Burnout entsteht nicht plötzlich – oft gibt es Warnsignale, die ernst genommen werden müssen und die auf eine Überlastung hindeuten. Dies sind zum Beispiel emotionale Erschöpfung, zunehmenden Zynismus und eine spürbar sinkende Leistungsfähigkeit. Sowohl HR als auch Mitarbeitende selbst können präventiv handeln, um rechtzeitig gegenzusteuern. Regelmäßige Selbstreflexion hilft, die eigene Motivation und Belastung im Blick zu behalten. Bin ich noch mit Freude bei der Sache, oder arbeite ich nur noch aus Pflichtgefühl? Ist meine Energiequelle noch meine eigene Begeisterung – oder nur der Druck von außen?

Handlungsansätze für HR

HR und Führungskräfte haben die Möglichkeit, eine Umgebung zu gestalten, die gesunde Motivation unterstützt:

Einer Kultur der Autonomie fördern: Mitarbeitende sollten in Entscheidungsprozesse einbezogen werden und die Freiheit haben, ihre Arbeit mitzugestalten. Diese Autonomie stärkt das Verantwortungsbewusstsein und die intrinsische Motivation, was zu höherer Arbeitszufriedenheit führt.

Psychologische Sicherheit fördern: Nur wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, Dinge ohne negative Konsequenzen anzusprechen, können sie auch offen über Herausforderungen sprechen und sich frühzeitig Unterstützung suchen.

Unterstützungsangebote bereitstellen: Mentale Gesundheit sollte ein integraler Bestandteil der Unternehmenskultur sein. Unternehmen können durch regelmäßige Schulungen, Workshops und den Zugang zu professioneller Unterstützung das mentale Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden fördern.

Sinnorientierung und Mission betonen: Wenn Mitarbeitende den Zweck ihrer Tätigkeit verstehen und wissen, welchen Beitrag sie zum Unternehmenserfolg leisten, steigt ihre Motivation. Klare Kommunikation über Unternehmensziele und die individuelle Rolle jedes Einzelnen darin kann die intrinsische Motivation stärken.

„Twisties“ gibt es also nicht nur im Sport – auch im Job kann Motivation kippen, wenn aus Begeisterung Druck wird. Doch intrinsische Motivation ist eine wertvolle Kraftquelle, die Menschen antreibt und Sinn stiftet. Damit sie erhalten bleibt, braucht es die richtigen Rahmenbedingungen. HR sollte nicht nur Leistung fördern, sondern auch Strukturen schaffen, die gesunde Motivation ermöglichen. Autonomie, realistische Erwartungen und ein Fokus auf mentale Gesundheit helfen, Begeisterung langfristig zu erhalten.

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Jonas Keil

Jonas Keil ist Co-CEO und Co-Founder vom HR-Tech-Unternehmen Nilo Health, einem Anbieter zur Förderung der mentalen Gesundheit am Arbeitsplatz. Keil ist zudem als Speaker für Organisationsentwicklung, nachhaltige Unternehmenskultur und gesunde Führung tätig. In seiner Kolumne "Healthy Workplace" schreibt er darüber, wie mentale Gesundheit, Performance und eine nachhaltige Unternehmens- und Führungskultur zusammenhängen.

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